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Kommentar: Wie sich Influencer selbst abschaffen

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Erstellt von Nora Turner on 23/10/2019

Kommentar: Wie sich Influencer selbst abschaffen

Wie immer, wenn es um Influencer geht, eine reißerische Headline, aber: ja, Influencer haben ein massives Glaubwürdigkeits-Problem, und zwar vor allem von Firmen-Seite, nicht (nur) in ihrer Community.

Das kann ich sehr gut verstehen. Wenn man sich das Engagement einiger hiesiger Influencer ansieht, wird auch schnell klar, warum. 
Die Beiträge werden kaum gesehen und interessieren niemanden. *mic drop*

Dennoch ist "Anzahl Follower" auf quasi allen Influencer Plattformen diejenige KPI, die die Auswahl der Influencer und den Preis bestimmt. So gibt es zum Beispiel ein paar Kennzahlen, dass ein Feed-Post bei einem Influencer mit einem TKP von 2-10 Euro berechnet wird, wofür man die Anzahl der Follower als Bemessungsgrundlage hernimmt. Das resultiert darin, dass ein durchschnittlicher Österreichischer Lifestyle-Influencer teilweise einen sehr hohen TKP haben - während die bezahlten Beiträge sowieso nur das Publikum eines kleinen 4-stelligen Accounts erreichen. Dass das nicht so sein muss, zeigen diverse andere Influencer, die nach wie vor einen vernünftigen Mehrwert wie kreative Bilder oder spannende (!) Einblicke in den Alltag für ihre Community bieten und entsprechend deutlich mehr Leute erreichen. Und nein, liebe Influencer, dein 37. Besuch bei einem Presse-Event diese Woche ist nicht spannend.

Ja, ich weiß, Reichweite und Engagement sind eigentlich auch keine passenden KPIs für Influencer Marketing mehr, aber logisch betrachtet kann man gar nicht beeinflusst werden, wenn man ein Posting nicht sieht. Und als Bemessungsgrundlage sind Reichweite oder Engagement immerhin noch sinnvoller als die Anzahl der Follower.

Natürlich kommen wir nicht um die Schuld-Frage herum. Und schuldig ist, wenn man den Klagen in den Beiträgen dieser Influencer verfolgt, in erster Linie der Algorithmus. Story-Time: Vor ein paar Monaten war ich bei einem Gründungstreffen einer Influencer-Vereinigung in Österreich es ging darum, die Statuten fest zu legen. Hier jaulten einige besonders laut auf, als ich anklingen ließ, wir sollten Firmen garantieren, dass wir nicht mit Engagement-Automatisierung oder Fake Followern arbeiten. Daraus resultierte eine 30-Minütige Diskussion wie bei keinem anderen Punkt der Statuten (die zum Beispiel lauteten: "Influencer müssen das Briefing mindestens X Tage vor Veröffentlichungstermin erhalten" etc). Da diskutierten dann ein paar Menschen, die scheinbar ihr täglich Brot damit verdienten, Fake-Zahlen an Firmen zu verkaufen, mit mir, die teilweise mehr als die 10-fache Anzahl an Accounts erreicht, dass sie ja gar nichts dafür könnten, "vor ein paar Jahren mal ein paar Follower gekauft zu haben, die jetzt das Engagement so limitieren". Geht's noch? Warum sollte ich für mein Unternehmen eine nicht wirtschaftliche Entscheidung treffen und gefälschte Reichweite oder gefälschtes Engagement kaufen?

 

Wachstum eines "gesunden", organischen Accounts

Hinweis auf Fake-Engagement: punktuelle, starke Follower-Anstiege

Optisch sehr Aufschlussreich: hier wurden mutmaßlich ursprünglich Follower gekauft, seit ungefähr einem Monat automatisiertes Engagement

Zwei Accounts, die wohl ursprünglich durch Follow-Unfollow-Automatismen ihre Follower aufgebaut haben und nun trotz Aktivität Follower verlieren

Klassisches punktuelles Follow-Unfullow: Sprunghafter Anstieg und danach systematisches Abflachen der Followerzahlen

Tja, tatsächlich tun das bis heute sehr viele Unternehmen. Statt sich mit entsprechendem Storytelling auf den Accounts, die wirklich noch Interesse erzeugen, zu positionieren, will man auf die 10-20 Lifestyle-Accounts, die bestenfalls noch als Dauerwerbesendung bezeichnet werden können - und beklagt sich im Nachhinein dann, dass Influencer Marketing gar nicht die gewünschten Conversions gebracht hat und teuer ist. Klar ist es teuer, wenn derzeit gefühlt 95% der Marken auf den selben Accounts werben wollen - denn das treibt den TKP für diese wenigen so enorm in die Höhe. Und so verschwinden diverse Influencer nach und nach in einer Bubble der "Wurschtigkeit", für Follower und für Unternehmen.

Eigentlich schade, denn was "uns" Influencer im Marketing Mix so wichtig macht, ist, dass wir unsere Zahlen deutlich nachvollziehbarer und umfassender offenlegen als Print und TV, auf den TKP gesehen deutlich günstiger sind als die meisten anderen Formate, schnell und spontan reagieren können und, so die Theorie, eine sehr hohe Glaubwürdigkeit haben.

Wie wäre es, wenn wir 2020 das Jahr sein lassen, in dem wir auf Unternehmens-Seite endlich mal wirtschaftlich nachvollziehbare Budget-Entscheidungen treffen und die langweiligen und nervigen Influencer so verschwinden lassen? Wenn wir nicht mehr die gleichen, austauschbaren Gesichter auf den immer gleichen PR-Events mit den immer gleichen Gadgets in der Hand und dem immer gleichen Filter auf dem Gesicht sehen müssen, weil wir ihnen einfach nicht mehr folgen? Es wäre so einfach. Mein Leben ist ohne Lifestyle-Berieselung übrigens deutlich mehr Life und hat womöglich sogar mehr Style. 

PS: Das Tool Likeometer finde ich persönlich übrigens wirklich ganz hervorragend, sogar in der Free-Version. Anzeige, unbezahlt, unbeauftragt, einfach nur, weil leiwand.

Nora arbeitet im digitalen Marketing bei der Factory und hat nebenbei einen der erfolgreichsten Amateursport Instagram-Accounts & Blogs "großgezogen". Außerdem schreibt und fotografiert sie für Magazine, Zeitungen und Marken.