FINANCENET
© AFP/Daniel Roland

Herr des Euro Mario ­Draghi, Gouverneur der Europäischen Zentralbank, wird die Geld­flut, sprich Wertpapierkäufe, wahrscheinlich frühestens im Dezember eindämmen.

Andre Exner 21.09.2017

Kredite gibt’s weiter fast zum Nulltarif

WIEN. Just am österreichischen Nationalfeiertag ist es so weit: Am 26. Oktober tritt Mario ­Draghi, Gouverneur der Europäischen Zentralbank (EZB), vor die TV-Kameras – doch was er sagen wird, darüber sind alle Experten schon heute einig: Die Leitzinsen werden weder bei der EZB-Sitzung im Oktober, noch bei einem der Termine in den kommenden Monaten erhöht.
Nicht einmal eine Debatte im EZB-Rat zu diesem Thema wird kommen, sagt Rainer Singer, ­Senior Economist Eurozone der Erste Bank. Selbst die – einer Leitzinserhöhung um Monate vorhergehende – Verringerung jener Wertpapierkäufe, mit denen Draghi die Märkte Monat für Monat um Milliarden von Euro stützt, wird nur vorsichtig diskutiert: „Wir erwarten eine Entscheidung dazu frühestens im Oktober, am wahrscheinlichsten aber erst im Dezember“, sagt Singer.

Tiefe Zinsen bleiben
Das sehen auch andere Ökonomen so: „Die Weltwirtschaft leidet noch immer unter einer Reihe struktureller Herausforderungen“, meint Erik Weisman, Chefökonom der Investmentgesellschaft MFS. „Wir bleiben dabei, dass die Langfristzinsen, gemessen an der Vergangenheit, wohl noch weiter eher niedrig bleiben werden.“
Michael Penninger vom Asset Management der Schoellerbank hat im Rahmen einer umfassenden Studie mit dem vielsagenden Titel „Gibt es jemals wieder Zinsen?“ den Blick in die Glaskugel gewagt. Er ist überzeugt: Ob das Leitzinsniveau Null oder nicht Null beträgt, ist letzten Endes nicht entscheidend. „Viel wichtiger als die Entwicklung der Nominalzinsen sind die ­Realzinsen“, so Penninger. Sprich: Bei einer Inflation von derzeit offiziell zwei Prozent (laut Zahlen der Statistik Austria für Juli) liegt das Leitzinsniveau in Wirklichkeit also nicht bei Null, sondern im negativen Bereich. Sollte die Inflation in Österreich aber auf Null fallen oder gar eine Deflation kommen, käme das einer Zinserhöhung gleich – selbst dann, wenn die EZB die Leitzinsen gar nicht erhöhen sollte.
Laut Penningers Analyse ist das Zinsniveau in Europa dabei seit den 1980er-Jahren fallend, und der Ausbruch der Finanzkrise hat diese Entwicklung nur beschleunigt. Mit der Unterstützung der EZB wird die Ära der langfristig fallenden Zinsen aber wohl noch viele Jahre anhalten.

Kreditnehmer profitieren
Die Lehre daraus ist für Anleger ernüchternd, für Unternehmer jedoch erfreulich: Während das Sparbuch wohl auch in den kommenden Jahren eine Geldvernichtungsmaschine bleibt, und sich Privatanleger nur bei einer hohen Risikoneigung auf messbare Erträge freuen können, zahlt sich das kreditbasierte Wachstum für Unternehmen mittelfristig weiterhin aus: „Schulden zu machen, lohnt sich noch immer“, resümiert Penninger. Wichtig ist allerdings, die tiefen Zinsen in Form einer Art von Fixzinsvereinbarung abzusichern. Denn wenn sich die Erwartungen der EZB zu ihrer Tiefzinspolitik erfüllen und die Konjunktur anspringt – erste Signale in Österreich sind dafür laut den jüngsten Prognosen der Wirtschaftsforscher bereits ersichtlich –, wird es dafür zu spät sein.

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