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Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl.

Redaktion 01.06.2017

"15 Minuten Ruhm" - die unbewusste mediale Unterstützung des Terrors

Kreissl: "Bin Laden hat eigentlich gewonnen" - Weg von täterbezogener Berichterstattung.

WIEN. Es geht in vielen Fällen um die berühmten 15 Minuten Ruhm: ein Mal im Leben berühmt sein, prominent in der Zeitung vorkommen. Zwar ist das in Bezug auf Terroristen noch zu wenig untersucht, aber aus anderen Bereichen, etwa im Hooliganismus, gibt es dafür eine Evidenz. Experten machen immer mehr darauf aufmerksam, dass auch die Art der Berichterstattung den Terror so effizient macht.

Die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" fragte vor gut einem Jahr nach den Anschlägen von Brüssel: "Warum sind westliche Gesellschaften, warum sind wir so leichte Opfer des Terrors? Ist es wirklich nur eine Frage der inneren Sicherheit, gut ausgerüsteter Geheimdienste und einer Integrationspolitik, die ihren Namen verdient?" Eine mögliche Antwort gab die Zeitschrift gleich selbst: "Die jungen Terroristen sind in der westlichen Medienwelt aufgewachsen, zwischen Frühstücksfernsehen, Sozialen Netzen, Selfiekultur und Streaming. Sie haben deshalb intuitiv verstanden, welche Macht noch größer ist als die der Kalaschnikows und Sprengstoffgürtel. Ihre wichtigste Waffe sind die Bilder."

Dementsprechend plädiert der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl für einen Wechsel der "Frames" in der Berichterstattung – weg von den täterbezogenen Geschichten als einzige Maxime. "Ich meine, Osama bin Laden hat gewonnen. Er hat die Welt mit einem Anschlag bis heute in eine Hysterie versetzt."
Und die unreflektierte Abbildung von Tätern, ebenso die Berichterstattung über sie, würde nach den Erfahrungen aus anderen Bereichen wie eben dem Hooliganismus oder bei Suiziden weitere Menschen anziehen, das Gleiche zu tun. Kreissl machte darauf aufmerksam, dass Selbstmordattentäter eben genau wenig Selbstwertgefühl haben, Außenseiter sind und mitunter auch an dem sogenannten Werther-Syndrom leiden: Sie wollen ein letztes Mal im Leben Superstar sein, sei es auch ein negativer.

Mit anderen "Frames" meint der Kriminalsoziologe beispielhaft Geschichten über das Engagement der Zivilgesellschaft, das nach solchen Anschlägen immer besonders deutlich wird. Ein Beispiel war die Geschichte über Obdachlose, die sich nach dem Anschlag von Manchester aufopfernd um Obdachlose kümmerten.
Eine weitere Frage, die von der täterbezogenen Berichterstattung weggehen würde, wäre, warum der jeweilige Anschlag nicht verhindert worden ist. "Es wäre eine Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Nach jedem Anschlag wird reflexartig die Forderung nach mehr Befugnissen erhoben. Eine Geschichte wäre: Dieses reflexartige Mehr - bringt's das überhaupt?", sagte Kreissl.

Das Innenministerium hat dazu ebenfalls Überlegungen angestellt: "Terrorismus muss als Akt der Kommunikation gesehen werden", heißt es. Ein Anschlag sei Mittel zu dem Zweck, größtmögliche Kommunikationswirkung zu erreichen sowie Angst und Misstrauen zu verbreiten. Damit komme Medien eine "entscheidende Funktion hinsichtlich gesellschaftlicher Wirkung von Terrorismus" zu. "Bericht erstatten ist das eine, Sensationsgier und Dramatisierung das andere. Mit Fördern von Angst und Misstrauen machen Medien sich zum Instrument des Terrorismus", formulierte es der Sprecher des Ressorts, Karl-Heinz Grundböck.
Er verwies auf eine Analyse des Medienblogs "kobuk.at", in der es darum ging, wie sehr Medien das vorgefertigte Bildmaterial der politischen PR übernehmen. "Dieselbe Frage darf man sich auch für das unreflektierte Übernehmen terroristischer Propaganda stellen", so Grundböck. Zum Beispiel würden das völlig unkritische Übernehmen von "ikonografischen Hinrichtungsszenen" - in der Wüste mit schwarz gekleidetem Henker und dem knieenden Opfer in orangem Gewand - ausschließlich die Erzählung der Terroristen wiedergeben und deren Wirkung verstärken. Doch das spielt Grundböck zufolge eine Rolle in der Radikalisierung und der Rekrutierung: "Was für die einen abstoßend und grausam wirkt, übt auf andere Faszination aus, weil damit Macht und Bedeutsamkeit vermittelt wird."

Der Ministeriumssprecher warnte vor einer "enormen Verdichtung auf die einzelnen Ereignisse". Er nannte in diesem Fall "den medialen Wettbewerb um Details der Grausamkeiten". Grundböck: "Erst achtjährige Opfer werden mit voller Identität in Medien präsentiert, bevor die eigene Mutter davon erfährt. Ermittlungsdetails aus Behördenlecks (technische Details, Zünder, Anm.) werden ohne Rücksicht auf Ermittlungen veröffentlicht. Täter erhalten durch Berichterstattung und öffentliches Ausleuchten ihrer Biografien das, was sie ursächlich als Defizit empfunden haben: Macht und Bedeutsamkeit."

Dagegen gebe es kaum eine Analyse des Phänomens und einen sachlichen Diskurs hinsichtlich Ursachen und Maßnahmen. Grundböck plädierte daher für die "Ausgewogenheit der Berichterstattung" und eine "(Selbst-)Reflexion, inwieweit Ziele des Terrorismus durch die Art der Medienberichte unterstützt werden". (red)

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