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© APA / Helmut Fohringer

Andrea Brem

Redaktion 03.09.2018

Bei Gewalt gegen Frauen sind die Täter zu oft im Fokus

Führt laut Expertinnen zu Victim Blaming und kann Gerichtsverfahren beeinflussen.

WIEN.  Die mediale Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen muss differenzierter erfolgen und die Opferseite viel stärker beleuchten. Das forderte Andrea Brem, Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser, im Rahmen einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend. Oft stehen vielmehr der Täter und sein Umfeld im Fokus, nicht selten werde eine Mitschuld der Opfer impliziert.

"Opfer von Gewalt brauchen eine gute und professionelle Medienberichterstattung", sagte Brem. "Sie dürfen nicht herausgenommen werden. Oft beginnt dann eine Heroisierung der Täter." Gerade die reißerische Berichterstattung von Boulevardmedien sei zu verurteilen. Dazu gehören etwa die Preisgabe von intimen oder grausamen Details, die Verletzung von Persönlichkeitsrechten der Opfer und deren Identifizierbarkeit sowie eine unsensible Wortwahl, durch die es zu Verharmlosungen oder Dramatisierungen komme. "Gute Berichterstattung kann aber auch ein Denkanstoß sein. Zum Beispiel, wenn sich Frauen, die vielleicht selbst Angst haben, dann an Institutionen wenden", meinte Brem.

Um die Opferseite adäquat darzustellen, sei es auch wichtig, umfassend über die Hintergründe zu berichten, etwa durch das Hinzuziehen von Experten, hielt Brem fest. "Bei Akutfällen, wenn schnell berichtet werden muss, fällt der Hintergrund weg. Die Aussagen des Polizeisprechers oder des Täteranwalts ziehen sich aber von Anfang an durch. Da wäre die Polizei als Player wichtig."

Die juristische Prozessbegleiterin Sonja Aziz betonte, dass eine reißerische Berichterstattung durchaus auch den Verlauf von Gerichtsverhandlungen beeinflusse: "Die männliche Sichtweise tritt in den Medien in den Vordergrund, die Tat an sich kommt viel zu kurz. Die Verteidiger nehmen das auf", kritisierte sie. "Geschworene, die zuvor nicht informiert wurden, worum es geht, erinnern sich dann daran, was sie darüber gelesen haben. Da kommt es oft zu einer sekundären Viktimisierung der Opfer."

In Deutschland habe ein Drittel der zu diesem Thema befragten Richter und Staatsanwälte angegeben, dass die öffentliche Berichterstattung Einfluss auf den Prozess habe, schilderte Aziz. Daher sei auch die juristische Opferbegleitung besonders wichtig: "Der Täter hat einen Verteidiger, und er kann sprechen. Das Opfer oft nicht mehr."

Die Prozessbegleitung solle zudem auf medienrechtliche Verfahren ausgeweitet werden, ist Aziz überzeugt. "Betroffene gehen ein großes finanzielles Risiko ein, wenn sie ein Medienverfahren anstrengen." Sowohl die Berichterstattung als auch der Umgang der Justiz mit diesen Fällen müsse differenzierter werden, sagte sie. "Auch die Richter laden zum Beispiel kaum Angehörige des Opfers ein."

Beide Expertinnen sehen in Weiterbildung einen Weg zur Verbesserung. Die heuer von der Bundesregierung installierte Task Force gegen Gewalt an Frauen und Kindern schien dafür aber bisher nicht offen zu sein: "Seit 30 Jahren fordern wir entsprechende Schulungen für die Justiz. Es wird einfach nicht gehört", meinte Brem. "Da muss auch die Politik Entscheidungen treffen, damit die Justiz tätig wird." (APA)

(S E R V I C E - www.frauenhaeuser-wien.at, Informationen zur Ausstellung "Am Anfang war ich sehr verliebt... 40 Jahre Wiener Frauenhäuser": www.volkskundemuseum.at/frauenhaeuser)


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