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Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache

Redaktion 10.12.2018

Ein Jahr Türkis-Blau - Auslandskorrespondenten ziehen gemischte Bilanz

"Welt": Kurz ist 1. Liga, Macron 3. Liga - "NZZ": Nein zum Migrationspakt fragwürdig - "Handelsblatt": Rolle als Brückenbauer verspielt - "FAZ": Einige Reformen gehen in richtige Richtung.

WIEN. Ein Jahr nach Amtsantritt hat die ÖVP-FPÖ-Regierung die Erwartungen der Auslandskorrespondenten erfüllt. Die Korrespondenten internationaler Zeitungen beurteilen in einer APA-Umfrage die Bilanz des EU-Ratsvorsitzes als eher mager, sehen Vorbehalte gegenüber der FPÖ bestätigt, äußern aber zugleich Anerkennung für den Reformeifer und die Popularität der Koalition. "International war die Regierung sehr präsent, was allerdings in den vergangenen Monaten vor allem am EU-Ratsvorsitz lag", meinte Meret Baumann von der "Neuen Zürcher Zeitung". Die Ziele des EU-Vorsitzes seien nicht erreicht worden, erklärten fast alle befragten Journalisten.

Wien habe seine Ziele in der Flüchtlingspolitik, vor allem mit Blick auf einen besseren Außengrenzschutz und die Verabschiedung von Abkommen mit Drittstaaten, nicht erreicht, so Christoph Schiltz, EU-Korrespondent der "Welt" mit zusätzlichem Österreich-Schwerpunkt. "Allerdings haben es einige Regierungschefs und EU-Verantwortliche BK Kurz dabei auch nicht immer einfach gemacht und ihm hin und wieder ein Beinchen gestellt." Stephan Löwenstein ("Frankfurter Allgemeine") warnte: Bundeskanzler Sebastian "Kurz versteht es geschickt, die außenpolitische Agenda auf der innenpolitischen Bühne zu spielen. Er muss aufpassen, dass er es sich da nicht mit seinen Partnern verscherzt."

Kritisch sahen die Auslandskorrespondenten die Ablehnung des UNO-Migrationspakts. Hier nahm Österreich "eine Vorreiterrolle ein", erklärte Joachim Riedl von der Wochenzeitung "Die Zeit". Baumann ergänzte: Das Nein zum Migrationspakt sei "eine für Österreich ungewöhnliche Absage an den Multilateralismus in dieser Frage. Gerade als Ratsvorsitzland war diese Positionierung und vor allem die Begründung fragwürdig." Hans-Peter Siebenhaar vom "Handelsblatt" formulierte es so: "Österreich hat seine Rolle als Brückenbauer in der internationalen Politik verspielt. Die Glaubwürdigkeit des Landes als verlässlicher EU-Partner hat beispielsweise durch das Hofieren des russischen Präsidenten Putin gelitten oder durch die Entscheidung gegen den UN-Migrationspakt."

Die Innenpolitik beurteilten die Auslandskorrespondenten unterschiedlich. Löwenstein etwa erklärte, "einige Reformen weisen die Handschrift einer bürgerlich geführten Regierung auf und gehen in die richtige Richtung: Geringere Steuern für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen beispielsweise, oder ein konsolidierter Haushalt." Ralf Leonhard von der "taz" meinte dagegen: "Exzellentes Marketing. In der Substanz eher dürftig." Die Sozialversicherungsreform sei ein "Marketing-Schmäh, der vor allem der Umfärbung dient. Einsparungen unwahrscheinlich. Ähnliches gilt für die Mindestsicherung. Einsparung null, Hauptsache es geht gegen Migranten. Insofern hat die Regierung meine Erwartungen erfüllt."

Erfüllt haben sich laut den meisten Auslandskorrespondenten auch die Vorbehalte, die es gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gegeben habe. "Die FPÖ-Ministerriege bemüht sich, staatsmännisch und gemäßigt aufzutreten", sagte Baumann. Allerdings zeige sich auch in der Regierung der "Druck seitens des rechten Rands (Migrationspakt) sowie ein Hang zu populistischer Symbolpolitik (Tempo 140, Kopftuchverbot für Kindergartenkinder)". Löwenstein erklärte, dass die Verfassungsschutz-Affäre "eine erhebliche Belastung" sei. "Auf der anderen Seite haben die Zwänge, die mit der Regierungsverantwortung verbunden sind, die Parteiführung zu Klarstellungen in Sachen Rechtsextremismus und Antisemitismus veranlasst." Es sei "gut, wenn eine Partei, die immerhin ein Viertel der Wähler repräsentiert, in das Spektrum des demokratisch Akzeptablen gezogen wird".

Hervorgehoben wird außerdem, dass die Regierung es "schaffte, alle koalitionsinternen Konflikte häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu regeln und den harmonischen Anschein zu wahren", wie Riedl betonte. Schiltz ergänzte: "Die FPÖ spielt inhaltlich fast keine Rolle, dafür erträgt Kurz widerwillig, aber nach außen völlig kontrolliert die Eskapaden von Strache, Waldhäusl & Co." Für den "Welt"-Korrespondenten ist "Kurz 1. Liga, Macron 3. Liga." Der französische Staatspräsident habe seit seinem Amtsantritt Mitte 2017 viel falsch gemacht. Die ÖVP dagegen stehe "nach einem Jahr glänzend da: keine Flügelkämpfe, eine stabile Mehrheit und eine ordentliche EU-Ratspräsidentschaft".

Meret Baumann, "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ, liberal)

APA: Wie beurteilen Sie die Arbeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nach einem Jahr? Hat Sie die Erwartungen erfüllt bzw. Ihre Ankündigungen eingehalten?
Baumann: Ja, die Regierung hat die Erwartungen erfüllt, wenn man sie am Koalitionsabkommen misst. Gegenüber dem Wahlkampf vermisse ich auf Seiten der ÖVP die Erfüllung des großen Veränderungsversprechens. Die Reformen gehen zwar in eine konservativ-bürgerliche Richtung, aber große und wichtige Themen wie die Pensionen oder eine Föderalismusreform wurden nicht angepackt. Die FPÖ musste noch schmerzhaftere Zugeständnisse machen, etwa der weitgehende Verzicht auf mehr direktdemokratische Mitbestimmung, ein Ja zu CETA und das Mittragen der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. All das war aber schon vor einem Jahr aufgrund des Koalitionsabkommens klar.

APA: Wie sehen Sie die außenpolitische Agenda? Wie präsent war die ÖVP-FPÖ-Regierung auf der internationalen Bühne? Gab es da auffallende Tendenzen bzw. Kursänderungen?
Baumann: International war die Regierung im ersten Jahr sehr präsent, was allerdings in den vergangenen Monaten vor allem am EU-Ratsvorsitz lag. Im ersten halben Jahr gab es zahlreiche Misstöne, etwa Heinz-Christian Straches Äußerungen zu Kosovo oder der mit Rom provozierte Konflikt aufgrund der im Koalitionsvertrag verankerten Absicht, deutschsprachigen Südtirolern österreichische Pässe zu verleihen. Während des Ratsvorsitzes hat sich gezeigt, dass Kurz die Spaltung in Bezug auf die Migrationsfrage nicht überwinden konnte. In den Details ist die Frage des stärkeren Außengrenzschutzes ähnlich umstritten wie die Verteilung von Asylsuchenden. Eine Kursänderung gab es im Verhältnis zu Israel - etwa durch die Ankündigung, das Abstimmungsverhalten in UNO-Gremien "israelfreundlicher" auszurichten. Zudem war das Nein zum Migrationspakt eine für Österreich ungewöhnliche Absage an den Multilateralismus in dieser Frage. Gerade als Ratsvorsitzland war diese Positionierung und vor allem die Begründung fragwürdig.

APA: Gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gab es auch Vorbehalte. Haben sich diese bestätigt? Oder wurden sie entkräftet?
Baumann: Sie haben sich bestätigt. Die FPÖ-Ministerriege bemüht sich, staatsmännisch und gemäßigt aufzutreten. Allerdings zeigt sich auch in der Regierung der Druck seitens des rechten Rands (Migrationspakt) sowie ein Hang zu populistischer Symbolpolitik (Tempo 140, Kopftuchverbot für Kindergartenkinder). Einer Regierungspartei unwürdig sind die zahlreichen Skandale von Funktionären wie die Liederbuchaffäre, das rassistische e-Card-Video, das Schüren von Verschwörungstheorien gegen George Soros etc.

Christoph Schiltz, "Die Welt" (konservativ)

APA: Wie beurteilen Sie die Arbeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nach einem Jahr? Hat Sie die Erwartungen erfüllt bzw. Ihre Ankündigungen eingehalten?
Schiltz: Wenn man Kurz mit Macron vergleicht, lässt sich feststellen: Kurz ist 1. Liga, Macron 3. Liga. Der französische Staatspräsident hat seit Amtsantritt Mitte 2017 viel falsch gemacht, den Mund zu voll genommen und sich selbst inszeniert. Er dürfte dafür bei den Europawahlen die Quittung bekommen. All diese Fehler hat Kurz nicht gemacht, die ÖVP steht nach einem Jahr glänzend da: keine Flügelkämpfe, eine stabile Mehrheit und eine ordentliche EU-Ratspräsidentschaft. Die FPÖ spielt inhaltlich fast keine Rolle, dafür erträgt Kurz widerwillig, aber nach außen völlig kontrolliert die Eskapaden von Strache, Waldhäusl & Co.. Ein ausgeglichener Haushalt, mehr Druck auf Migranten und Arbeitssuchende, steuerliche Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen - das sind wichtige Schritte. Nach der EU-Ratspräsidentschaft muss Kurz mehr liefern: Die längst überfällige Reform des Rentensystems, die viele Verlierer produzieren wird , eine Revision der Krankenversicherung und eine Steuerreform - die dicksten Brocken liegen noch vor Kurz. In 18-24 Monaten sollte er sich mal fragen, ob eine möglicherweise konsolidierte SPÖ, die mit Pamela Rendi-Wagner wieder eine reale Machtperspektive haben dürfte, langfristig nicht der bessere Koalitionspartner wäre.

APA: Wie sehen Sie die außenpolitische Agenda? Wie präsent war die ÖVP-FPÖ-Regierung auf der internationalen Bühne?
Schiltz: Eine EU-Ratspräsidentschaft kann nur in beschränktem Umfang eigene Akzente setzen. Sie ist in ein enges inhaltliches und bürokratisches Korsett eingeschnürt. Das war auch bei Österreich der Fall. Insofern sind gravierende Kursänderungen nur sehr schwer möglich. Im Falle Österreichs gab es Befürchtungen mit Blick auf ein Aufweichen der Russland-Sanktionen, sie waren aber völlig unbegründet. Man muss aber auch sagen, dass Wien seine Ziele in der Flüchtlingspolitik, vor allem mit Blick auf einen besseren Außengrenzenschutz und die Verabschiedung von Abkommen mit Drittstaaten, nicht erreicht hat. Allerdings haben es einige Regierungschefs und EU-Verantwortliche BK Kurz dabei auch nicht immer einfach gemacht und ihm hin und wieder ein Beinchen gestellt. Damit hatte Kurz offenbar in diesem Ausmaß nicht gerechnet.

APA: Gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gab es auch Vorbehalte. Haben sich diese bestätigt? Oder wurden sie entkräftet?
Schiltz: Die FPÖ spielt in Brüssel praktisch keine Rolle. Die Rolle von Innenminister Kickl wird allgemein in Diplomatenkreisen als "nicht sonderlich präsent" bezeichnet. Er gilt in Brüssel nicht als starke Figur. In Brüssel wird gewitzelt, dass BK Kurz offenbar alles unternimmt, damit FPÖ-Politiker sich während der Präsidentschaft in der EU-Hauptstadt möglichst wenig blicken lassen. Einzige Ausnahme: Außenministerin Kneissl, die sehr präsent ist und immer wieder starke eigenen Akzente setzt, zB in der Debatte um Saudi-Arabien.

Stephan Löwenstein, "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ, konservativ)

APA: Wie beurteilen Sie die Arbeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nach einem Jahr? Hat Sie die Erwartungen erfüllt bzw. Ihre Ankündigungen eingehalten?
Löwenstein: Einige Reformen weisen die Handschrift einer bürgerlich geführten Regierung auf und gehen in die richtige Richtung: Geringere Steuern für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen beispielsweise, oder ein konsolidierter Haushalt. Beim Thema Subventionen hat Bundeskanzler Kurz noch Spielraum sich zu profilieren, auch gegenüber Interessengruppen, die seiner eigenen Partei nahestehen wie den Landwirten.

APA: Wie sehen Sie die außenpolitische Agenda? Wie präsent war die ÖVP-FPÖ-Regierung auf der internationalen Bühne? Gab es da auffallende Tendenzen bzw. Kursänderungen?
Löwenstein: Kurz versteht es geschickt, die außenpolitische Agenda auf der innenpolitischen Bühne zu spielen. International muss er aufpassen, dass er es sich da nicht mit seinen Partnern verscherzt. Es gibt sicher den einen oder die andere, der oder die ihm beispielsweise einen Achtungserfolg beim EU-Ratsvorsitz eher nicht gönnt.

APA: Gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gab es auch Vorbehalte. Haben sich diese bestätigt? Oder wurden sie entkräftet?
Löwenstein: Die Verfassungsschutz-Affäre ist eine erhebliche Belastung. Was bisher dazu herausgekommen ist, hat den Eindruck nicht entkräftet, dass die Razzia im BVT vom FPÖ-geführten Innenministerium aus vorangetrieben worden ist, im Gegenteil. Und keines der plausiblen Motive ist vertrauenerweckend. Auf der anderen Seite haben die Zwänge, die mit der Regierungsverantwortung verbunden sind, die Parteiführung zu Klarstellungen in Sachen Rechtsextremismus und Antisemitismus veranlasst. Dahinter kommen sie nicht so leicht wieder zurück. Es ist gut, wenn eine Partei, die immerhin ein Viertel der Wähler repräsentiert, in das Spektrum des demokratisch Akzeptablen gezogen wird.

Hans-Peter Siebenhaar, "Handelsblatt"

APA: Wie beurteilen Sie die Arbeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nach einem Jahr? Hat Sie die Erwartungen erfüllt bzw. Ihre Ankündigungen eingehalten?
Siebenhaar: Ein Jahr nach der Wahl der rechtskonservativen Regierung haben Kanzler Kurz und sein Vize Strache Österreich verändert. Sie haben ihre Ankündigungen zu einem wesentlich Teil in der Arbeits-, Sozial-, Wirtschafts- und Personalpolitik umgesetzt - zur Freude ihrer Anhänger, zum Schrecken ihrer Gegner. Strategische Positionen im Land wurden in großer Geschwindigkeit besetzt. Ein professionelles Polit-Marketing sorgt für einen Wohlfühleffekt bei der Mehrheit der Österreicher. Ein handwerklicher Fehler in der cleveren Kommunikationspolitik blieb aus. Das beweisen auch die guten Werte für die beiden Regierungsparteien bei den Umfragen.

APA: Wie sehen Sie die außenpolitische Agenda? Wie präsent war die ÖVP-FPÖ-Regierung auf der internationalen Bühne? Gab es da auffallende Tendenzen bzw. Kursänderungen?
Siebenhaar: Österreich hat seine Rolle als Brückenbauer in der internationalen Politik verspielt. Die Glaubwürdigkeit des Landes als verlässlicher EU-Partner hat beispielsweise durch das Hofieren des russischen Präsidenten Putin gelitten oder durch die Entscheidung gegen den UN-Migrationspakt. Österreich sitzt mittlerweile zwischen den Stühlen. Zunehmend wird es um Österreich außenpolitisch einsam. Das Verhältnis mit der Regierungskoalition in Berlin ist von Misstrauen geprägt. Die EU-Ratspräsidentschaft hat zwar schöne Bilder aus Salzburg geliefert, doch zahlreiche Ziele von der Finanztransaktionssteuer wurden nicht erreicht oder bleiben im Fall der Digitalsteuer bislang ungelöst. Die geplante EU-Erweiterung auf dem Westbalkan kommt wegen des massiven Zollstreits zwischen dem Kosovo und Serbien langsamer als geplant voran.

APA: Gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gab es auch Vorbehalte. Haben sich diese bestätigt? Oder wurden sie entkräftet?
Siebenhaar: Die Vorbehalte haben sich bestätigt. Die FPÖ macht eine Politik für Österreicher und gegen Ausländer. Die Freiheitlichen habe es zusammen mit der ÖVP geschafft, das Land personell umzupolen, um ihre Macht schnell abzusichern. Mit dem Umbau der österreichischen Staatsholding, zu der Beteiligung wie der Ölkonzern OMV, der Stromkonzern Verbund oder die Telekom Austria gehören, verfolgt die Koalition eine Art "Austria first"-Politik nach amerikanischem Vorbild. Bei dieser an nationalen Interessen orientierten Politik wollte der ehemalige Siemens-Chef Peter Löscher als OMV-Aufsichtsratschef nicht mitmachen und warf im September entnervt das Handtuch. Die Regierung betreibt in den staatsnahen Unternehmen eine professionelle Umfärbung. Der Kurz-Parteifreund Thomas Arnolder wurde neuer CEO der Telekom Austria. Er löste den argentinische Vorstandschef Alejandro Plater ab, der kein Deutsch spricht. Der ÖVP-Landesminister Michael Strugl zieht im Januar in den Vorstand des Verbund ein. Der künftige Gouverneur der Österreichischen Nationalbank soll der FPÖ-nahe Ökonom Robert Holzmann werden.

Ralf Leonhard, "taz" (links)

APA: Wie beurteilen Sie die Arbeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nach einem Jahr? Hat Sie die Erwartungen erfüllt bzw. Ihre Ankündigungen eingehalten?
Leonhard: Exzellentes Marketing. In der Substanz eher dürftig. Ideologie überwiegt über Sachkunde oder auch nur das Bestreben, verfassungsrechtlich haltbare oder gesellschaftlich tragbare Lösungen zu finden. Die SV-Reform ist ein Marketing-Schmäh, der vor allem der Umfärbung dient. Einsparungen unwahrscheinlich. Ähnliches gilt für die Mindestsicherung. Einsparung null, Hauptsache es geht gegen Migranten. Insofern hat die Regierung meine Erwartungen erfüllt.

APA: Wie sehen Sie die außenpolitische Agenda? Wie präsent war die ÖVP-FPÖ-Regierung auf der internationalen Bühne? Gab es da auffallende Tendenzen bzw. Kursänderungen?
Leonhard: Außenpolitisch wird vor allem die Annäherung an das Visegrad-Lager wahrgenommen und der Kuschelkurs mit Putin. Die Haltung zum Migrationspakt ist desaströs.
Leonhard: Gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gab es auch Vorbehalte. Haben sich diese bestätigt? Oder wurden sie entkräftet?
Die FPÖ sorgt jede Woche selbst dafür, dass diese Vorbehalte aufrecht bleiben. Strache selbst reißt sich im Außenauftritt merklich zusammen (in den sozialen Medien weniger). Aber die Kickls, Waldhäusls und Burschenschafter sind das wahre Gesicht der FPÖ.

Joachim Riedl, "Die Zeit" (liberal)

APA: Wie beurteilen Sie die Arbeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nach einem Jahr? Hat Sie die Erwartungen erfüllt bzw. Ihre Ankündigungen eingehalten?
Riedl: Die Regierung hatte zunächst einen zaghaften Start und versuchte mit Rücksicht auf den EU-Ratsvorsitz den Anschein eines friedlichen Klimas zu wahren. Auch die groß angekündigte Totalreform des ORF musste deshalb warten (man will sich ja nicht eine Orbánisierung des Landes vorwerfen lassen, während man im Blickpunkt steht). Dennoch riskierte sie nach der Aufwärmphase einige kontroverse Sozialgesetze, die sie im Schnellverfahren durchboxte, etwa die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die auf heftige Gegenwehr stieß. Nach einem Jahr wird das Ziel ihres Kurses - den sie so nicht angekündigt hat - erkennbar: die schrittweise Entmachtung der Sozialpartnerschaft und die Zurückdrängung des sozialdemokratischen Versorgungsstaates. Übertroffen hat sie Erwartungen, indem sie es schaffte, alle koalitionsinterne Konflikte häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu regeln und den harmonischen Anschein zu wahren.

APA: Wie sehen Sie die außenpolitische Agenda? Wie präsent war die ÖVP-FPÖ-Regierung auf der internationalen Bühne? Gab es da auffallende Tendenzen bzw. Kursänderungen?
Riedl: Dass der EU-Ratsvorsitz ein großer Erfolg gewesen sei, glaubt wohl nur die Regierung selber mit großen Tönen verkaufen zu können. Tatsächlich war er kleinlaut, mangelte aller Ideen, wie sich die EU weiterentwickeln könnte. Tatsächlich trifft zu, was die Kollegen von "Bild" die "Dösi-Ösis" nannte. Am auffälligsten ist - wohl auf Drängen der FPÖ - eine Hinwendung zu den nationalistischen Staaten der postkommunistischen Welt. Bei der Ablehnung des UN-Migrationspaktes nahm sie sogar eine Vorreiterrolle ein. Die Vorgängerregierung wäre da wohl dem deutschen Beispiel gefolgt. Das führt auch dazu, dass der früher gute Draht nach Berlin derzeit etwas angespannt ist. Da man international dem Koalitionspartner FPÖ nicht so recht über den Weg traut, ist die internationale Rolle des Landes eher zurückgegangen - siehe BVT-Affäre. Während sich gleichzeitig Sebastian Kurz vor allem in der angloamerikanische Presse den Ruf eingehandelt hat, er sei ein Wegbereiter der "farright" (was nicht schmeichelhaft gemeint ist.)

APA: Gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ gab es auch Vorbehalte. Haben sich diese bestätigt? Oder wurden sie entkräftet?
Riedl: Sie haben sich mehr als bestätigt. Die FPÖ reizt stets aus, wie weit sie gehen kann und wie sehr sie die Rechtsstaatlichkeit umgehen kann - siehe BVT-Affäre, siehe Asyl-Quartiere, siehe eine aktive Politik gegen Migranten. Und um des lieben Friedens willen, schweigen der Kanzler und seine Partei dazu. Doch es wird immer deutlicher, dass die FPÖ einen anderen Staat erzwingen will, einen, den vermutlich auch Sebastian Kurz nicht für erstrebenswert halten wird.

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