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Im ExpertenClub des BFI Wien wurde angeregt diskutiert.

Redaktion 21.03.2018

Programmieren ab der Volksschule – macht das Sinn?

Ein Podium im ExpertenClub des BFI Wien ging dieser Frage nach.

WIEN. Ist es sinnvoll und vielleicht sogar unbedingt notwendig, dass Kinder ab der ersten Klasse Volksschule programmieren lernen, wie es im Regierungsprogramm steht? Oder ist das digitale Rollout des Bildungsministeriums nur ein Unterrichtsangebot an die Wirtschaft, das sich bald überholt hat? Dieser Frage ging ein hochkarätig besetztes Podium im ExpertenClub des BFI Wien nach.

Gastgeber Franz-Josef Lackinger, Geschäftsführer des BFI Wien und Anbieter digitaler Kurse (Digi-Campus), steckte im Eingangsstatement ab, was später auch von Podium und Publikum gespiegelt wurde: Einerseits habe die Schule genug zu tun mit der Vermittlung von Kulturtechniken; andererseits solle man die Digitalisierung nicht den Nerds überlassen und die Funktionsweise von PCs zumindest grundlegend verstehen. Wie digitale Kompetenzen im Unterricht integriert werden könnte, sei allerdings offen: „Denn umgesetzt ist das noch lange nicht.“

Buchautor und Bildungskritiker Andreas Salcher glaubt etwa, dass die Zukunft der Schule im „Flipped Classroom“ liegen wird: Die Schüler erarbeiten sich den Unterrichtsstoff selbstständig und in kleinen Häppchen, etwa über Online-Lehrvideos, und besprechen im Unterricht die Ergebnisse. Salcher: „Bislang ist es so, dass der Lehrer den Unterricht mehr oder weniger frontal taktet.“ Beim digitalen Lernen ändere sich die Funktion des Lehrers. Er werde zum Lernbegleiter, meint Salcher. Ein Freund des Codings an der Volksschule ist Salcher dabei keiner: „Ich warne davor, mit dem Computer auf Gebieten zu konkurrieren, wo er uns schlagen kann.“ Salcher zitiert den russischen Schach-Weltmeister Kasparow, der gemeint habe, er war wütend, weil er gegen den Schachcomputer verloren habe, „aber der Computer konnte sich nicht freuen“. Menschliche Kreativität, die künstliche Intelligenz nutze, sei immer noch die stärkste Kombination, meint Salcher.

Wer meine, dass man Lehrer und Lehrerinnen auf Lernbegleiter oder Coaches reduzieren könne, der würde sich irren, widerspricht Paul Kimberger, oberster Lehrervertreter in der GÖD. „Wir müssen Kinder auf die Welt von morgen vorbereiten, nicht nur auf die Arbeitswelt: Es geht doch auch um menschliche Werte, um Moral, Ethik, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie - hier werden Pädagogen immer eine zentrale Rolle spielen“, meint Kimberger. „Wir brauchen keine kleinen Programmierer in Volksschulen. Wir kämpfen darum, dass wir Kulturtechniken vermitteln, dass wir Kreativität ermöglichen. Motorische Defizite und Entwicklungsrückstände, all das muss berücksichtigt werden.“ Kinder sollten auch Kinder sein dürfen, so Kimberger.

„Bereits bei den Schuleinschreibungen stellen wir fest, dass immer mehr Kinder sensomotorische Defizite aufweisen“, bestätigt Gabriele Prokop, Direktorin an der Volksschule Herbststraße in Wien-Ottakring. Prokop schildert ein aktuelles Beispiel von einem Mädchen, das sich für den bilingualen Zweig einschreiben wollte: „Sie hat fließendes, druckreifes Englisch gesprochen, wie eine CNN-Reporterin. Später ist uns aufgefallen, dass sie einen Stift kaum halten konnte und Farben und Formen nicht erkannt hat. Sie hat uns dann erzählt, dass sie täglich stundenlang YouTube-Videos schaut.“ Grundsätzlich ist Prokop offen für Programmieren, „weil sich die Schule diesen Entwicklungen nicht verschließen darf.“ Von der Politik und der Schulbehörde wünscht sich Prokop dafür aber Rahmenbedingungen, die auch umsetzbar sind.

Die Lanze für Coding ab der Volksschule bricht zuletzt Catrin Meyringer, Geschäftsführerin von RoboManiac, einem Anbieter von Programmier-Workshops für Kinder und Jugendliche. Kinder würden durch Programmieraufgaben, die sie fächerübergreifend im Team lösen könnten, Kreativität, Lösungskompetenz und Innovation lernen, so Meyringer: „Ja, Roboter wird in vielen Bereichen besser sein als wir. Der Mensch muss Roboter bauen und programmieren. Das werden die künftigen Berufsfelder unserer Kinder sein“ - ein Statement, das später in der angeregten Publikumsdebatte mit der lapidaren Meldung versehen wird, dass es neben Coding wohl auch weiterhin andere Berufe geben wird: „Ich glaube nicht, dass uns der Computer die Tapeten an die Wand pickt.“ (red)

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