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ORF/Hubert Mican

Am Sonntag wird der Austro-"Tatort" mit Adele Neuhauser und Moritz Eisner ausgestrahlt.

Redaktion 18.01.2017

"Schock": Austro-"Tatort" stellt Leistungsgesellschaft an den Pranger

Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning führt Publikum in anspruchsvollen Fall im Wiener Uni-Umfeld.

WIEN. Das Studentenleben ist kein Lotterleben mehr - die Hürden werden zahlreicher und Freiräume kleiner. Mit einer radikalen Form des Protests dagegen bekommt es am Sonntag (20:15 Uhr, ORF 2) das heimische "Tatort"-Ermittlerduo Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) im seinem neuesten Fall "Schock" zu tun. Der Krimi stellt hohe Anforderungen – auch an das Publikum.

Sachlich und ruhig kündigt ein eigentlich unauffälliger Vorzeigestudent aus gutem Hause den Mord an seinen Eltern und seinen Selbstmord an. Da David Frank (Aaron Karl) das per Video über diverse Social-Media-Plattformen tut und sein Vater zudem ein hochdekorierter Mathematiker und Universitätsprofessor ist, zwingt das die Polizei zum schnellen Handeln. Die eingerichtete Sonderkommission versorgt der webcam-affine "Digital Native" einerseits mit Informationsbrocken und lässt sie andererseits gekonnt ins Leere laufen. Die wachsende mediale Aufmerksamkeit bekommt Eisner, Fellner und Co. nicht unbedingt, David nützt sie hingegen geschickt, um die Gründe für sein Handeln philosophisch fundiert darzulegen.

Mithilfe der Sozialwissenschafterin Sarah Adler (Mercedes Echerer) zeichnet Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning ein düsteres Bild der sogenannten Generation Y. Denn gerade den jungen "High Potentials", denen eigentlich die Welt zu Füßen liegen sollte, fehlt in "Schock" die Perspektive: Maximaler Motivation und Beschleunigung des Alltags stehen minimale berufliche Aussichten und bröckelnde gesellschaftliche Visionen gegenüber. Die Karotte vor der Nase löst sich vor vielen jungen Menschen in Luft auf. Was bleibt, sind zunehmend verschulte Studien ohne Freiräume, in denen ein Lernen durch Fehler keinen Platz mehr hat, erklärt die Wissenschafterin.

Inmitten von Wiens eindrucksvoll in Szene gesetzter, stellenweise futuristisch wirkender universitärer Architektur tummeln sich in Hennings zweitem Tatort nach "Grenzfall" (2015) folglich Studenten, die die an sie gestellten Anforderungen des Bildungssystems nur noch mit kleinen Helferlein wie Amphetaminen bewältigen können. Die Fassade der hippen Hochschüler bleibt so weitgehend aufrecht, den älteren Generationen, u.a. repräsentiert von Kommissar Eisner, fehlt völlig der Einblick in die Probleme ihrer Kinder. Den Generationenkonflikt kämpft der Kommissar auch mit seiner Tochter (Tanja Raunig) aus.

Die Sonderkommission, inklusive Ulrike Beimpold als Polizeipsychologin, bekommt dank der unregelmäßig eintrudelnden Videobotschaften immer tiefere Einblicke in die Motivation des von den Auswüchsen der Leistungsgesellschaft Radikalisierten und zweifelt dessen Einzeltäterschaft zunehmend an. Humorig wird es in dem sich schnell entwickelnden Krimi nur selten. Eine Ausnahme sind Dialoge, in denen das Wiener Lokalkolorit durchscheint, etwa wenn Kommissionsmitglieder einander wenig Schmeichelhaftes in geschliffenstem Amtsdeutsch verklausuliert ausrichten.

In "Schock" bringt Henning zwar auf erstaunlich elegante Weise viele brennende gesellschaftliche Fragen aufs Tapet; dem reichlich vorgetragenen, etwas verkopften moralisch-philosophischen Unterbau des Falls in Echtzeit zu folgen, bleibt aber eine Herausforderung. Der Autor und Regisseur ist sich dessen bewusst, lässt er doch an jenen Stellen, wo einander akademischer Hintergrund und Spannungsbogen intensiver ins Gehege kommen, einen der Charaktere anschaulichere Übersetzungen einfordern. Die Grenzen von leichtem sonntäglichen Suspense sprengt Hennings system- und gesellschaftskritischer Krimi allerdings auch mit Erklärungen. (APA)

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