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Lukas Holter (Mitglied der Geschäftsleitung) und Philipp Maderthaner vom Campaigning Bureau im ausführlichen Interview.

Redaktion 10.10.2019

„Viele Leute am Markt nehmen sich zu wichtig“

Mit seinem Campaigning Bureau sorgte Philipp ­Maderthaner abermals für einen Wahlerfolg der ÖVP.

••• Von Dinko Fejzuli

WIEN. Er gilt als das Kampagnen-Mastermind hinter dem Erfolg von Sebastian Kurz. Seit vielen Jahren an seiner Seite, schaffte es Philipp Maderthaner, mit seinem Campaigning Bureau so viele Wählerinnen und Wähler für die ÖVP zu den Urnen zu bringen, wie dies den mittlerweile Türkisen seit Jahren nicht mehr gelungen ist.

medianet traf ihn gemeinsam mit Lukas Holter, Mitglied der Geschäftsleitung, der sich künftig um das Geschäftsfeld Politik, welches nur gut 20% des Umsatzes seines Unternehmens mit gut 50 Mitarbeitern ausmacht, kümmern will.

medianet: Herr Maderthaner, Sie und Herr Holter haben heuer, wie auch schon im vergangenen Nationalratswahlkampf, die Kampagne für die ÖVP und Sebastian Kurz betreut. Sie sagen aber selbst, dass die Politik nur ein kleinerer Teil Ihres Geschäfts ist. Wie geht das zusammen und wie hoch ist Ihr Anteil am Erfolg der ÖVP?
Philipp Maderthaner: Der Erfolg der Volkspartei ist in erster Linie der Erfolg von Sebastian Kurz. Es gibt ausreichend Leute am Markt, die sich zu wichtig nehmen, ich gehöre da nicht dazu. Sebastian Kurz war Grund Nummer eins des Erfolgs, dahinter gibt es viele, die dazu beigetragen haben. Was das Campaigning Bureau angeht, stimmt es, dass Politik nur rund 20 Prozent unseres gesamten Umsatzes ausmacht.

medianet: Die ÖVP hat dieses Mal ‚Wer Kurz will, muss Kurz wählen‘ plakatiert. Kommt es überhaupt noch auf Inhalte an?
Lukas Holter: Man hat bereits 2017 gemerkt, dass es nicht an inhaltlichen Papieren mangelt. Das war auch 2019 so. Natürlich wird je nach Medium zugespitzt. Ein Wahlkampf ist aber mehr als die Kampagne und mehr als eine Person. Wir sagen immer, es sind die 3 C’s – Candidate, Cause und Campaign. Erst wenn alle drei Dinge gegeben sind, kann es zum Erfolg führen.

medianet: Trotzdem müssen Menschen mobilisiert werden, um die eigenen Kandidaten zu wählen. Welche Faktoren mobilisieren überhaupt noch?
Maderthaner: Eine Kampagne ist nur die Spitze des Eisbergs mit Plakaten, Social Media und so weiter. Sebastian Kurz hat zum ersten Mal 2013 begonnen, Vorzugsstimmen zu sammeln, und Lukas Holter war damals schon im Kampagnenteam dabei. Seitdem hat man nicht aufgehört, den Kontakt zu den eigenen Unterstützern zu pflegen und dadurch wurde ein Fundament geschaffen, das jetzt einen entsprechenden Wettbewerbsvorteil bringt.

medianet: Numerisch betrachtet, sind diese Kontakte nicht ausschlaggebend für einen Wahlerfolg. Wie schafft man es, die restlichen Wähler zur Urne zu bekommen, heuer etwa viele Wechselwähler von der FPÖ?
Holter: Der Schlüssel ist, die Kontakte, die man hat, nicht nur als eigene Wähler zu sehen, sondern als potenziellen Hebel. Diese Kontakte haben eine unterschiedliche Tiefe, aber sie sind alle potenziell geeignet, in ihrem persönlichen Umfeld unsere Kampagne in die Breite zu tragen. Was uns dieses Mal auch wieder gut gelungen ist, ist, den Unterstützern Mittel zur Verfügung zu stellen, um einen Beitrag in der Kampagne zu leisten. 2017 war es unsere App, mit der sie von zu Hause einen Beitrag leisten konnten. Dieses Mal war es Social Media-Content, der für sie gedacht war, um Informationen zu bekommen, und endete bei maßgeschneiderten E-Mails im Postfach, mit den Informationen, die man braucht, um einen Beitrag zu leisten, bis hin zur Aufforderung, mit zu Straßenaktionen oder zu Tür zu Tür-Aktionen zu gehen.

medianet: Die ÖVP hat im Vergleich zur letzten Wahl deutlich zugelegt. Wo waren die Unterschiede und Gleichheiten zu den letzten Wahlen? Wurde nachgeschärft oder aufgrund von Learnings Dinge verändert?
Holter: Permanent Campaigning ist der Begriff, der sich etabliert hat. Die Kunst ist, an den Kontakten dranzubleiben und sie mitzunehmen in die Regierung und in den nächsten Wahlkampf.
Maderthaner: 2017 war ein Aufbaujahr, da ist unheimlich viel passiert. Es wurde viel in die Erneuerung und den Aufbau der Volkspartei und auch in die Rekrutierung von neuen Unterstützern investiert. Dieses Mal, und das ist ein fundamentaler Unterschied, war die Chance da, aus diesem vorhandenen Potenzial etwas zu machen. Gleichzeitig hat die SPÖ eine halbe Million Euro allein in Facebook-Werbung investiert, wobei der Mobilisierungseffekt dort überschaubar geblieben ist. Wir haben den Luxus genossen, uns wirklich auf die Dinge konzentrieren zu können, die eine Mobilisierungswirkung ausgelöst haben …

medianet: … wobei man bei der ÖVP bei der Einhaltung der Wahlkampfobergrenze nicht weiß, wie es am Ende aussehen wird. Es steht ja der Vorwurf im Raum, die Grenze deutlich zu überschreiten …
Maderthaner: Das wird halten.

medianet: Das heißt, die ÖVP hat die gesetzliche Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro nicht überschritten. Der Falter spricht ja von Ausgaben von gut neun Millionen Euro, die die Partei in Wahrheit ausgegeben haben soll. Die ÖVP selbst hat für 2019 6,3 Millionen Euro angegeben
Maderthaner: Also ich kann es Ihnen nur aus unserer isolierten Perspektive, als ein Partner von vielen, die die ÖVP in diesem Wahlkampf hatte, sagen, dass wir es alle zu spüren bekommen haben, dass weniger Budget am Tisch war und das Budget auch hart eingehalten werden muss. Das wurde uns zu jedem Zeitpunkt vermittelt. Insofern kann ich Berichte, die der ÖVP Ambitionen in eine andere Richtung unterstellt haben, nicht nachvollziehen. Das hätten wir als Dienstleister nicht so wahrgenommen.

medianet: Weil mehr Geld nicht gleich mehr Erfolg bedeutet?
Holter: Das ist auf jeden Fall richtig. Zum Erfolg der ÖVP haben andere Dinge beigetragen. Auch dahingehend ist 2017 schwer vergleichbar mit 2019. 2017 sind zwei Dinge parallel passiert: Die Übernahme und Neuaufstellung der Volkspartei, die zu einer Markenerneuerung und zu einer Neueinführung der Kommunikation geführt hat, und ein Wahlkampf. Dieses Mal war es ‚nur‘ ein Wahlkampf.

medianet: Im einem Spiegel-
Interview haben Sie gesagt ‚Es gibt zwei Gründe, warum man Dinge ändert. Einer davon ist, dass der Schmerz, der einen zur Erneuerung zwingt, groß genug sein muss. War bei der ÖVP der Schmerz dort, wo er sein musste, im Gegensatz zu den anderen Parteien?
Maderthaner: Die Volkspartei war vor drei Jahren bei Um­fragen auf 18 Prozent. Bei der letzten Wahl wurde mehr als das Doppelte als Wahlergebnis eingefahren. Diese Schmerzgrenze kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Wie das bei den anderen Parteien gelagert ist, müssen die für sich beurteilen.

medianet: Sebastian Kurz hat sein Nationalratsmandat nach dem Ende der letzten Regierung nicht angenommen, sondern ist durch das Land getourt. Welche Rolle spielt die Präsenz des Spitzenkandidaten vor Ort bei den Menschen?
Maderthaner: Ich habe in den letzten 15 Jahren mit vielen Politikern arbeiten dürfen. Der direkte und ungefilterte Kontakt ist für alle Politiker wie ein Seismograf. Diesen direkten Kontakt zur Bevölkerung zu pflegen, hat für Politiker etwas Heilsames. Man hört dort nicht nur Lobeshymnen, auch ein Sebastian Kurz nicht. Man bekommt unmittelbare Anliegen und Problemstellungen vorgelegt, darin liegt ein großer Effekt. Der andere Punkt ist, dass man jede Form von Offline-Aktivität auch online sehen muss. Das eine findet nicht ohne das andere statt.

medianet: Können Sie kategorisieren, welche Bedeutung welche Aktivität hat? Es klingt, als würden Sie Social Media nicht viel beimessen.
Holter: Es geht nicht darum, Social Media zu verteufeln, sondern zu hinterfragen, in welcher Phase ist Social Media relevant? Auch, ob Social Media ein Selbstzweck ist oder ein Teil einer übergeordneten Strategie. Facebook selbst ist ein süßes Gift. Natürlich kann man sich selbst bejubeln, wenn man eine bestimmte Anzahl an Fans oder Interaktionen hat. Es ist aber nur Ausdruck des Budgets, das man investiert hat. Die Kunst ist, die Frage zu beantworten, was man aus diesen Erstkontakten macht. Im besten Fall macht man ­daraus einen Direktkontakt und, darauf aufbauend, eine Beziehung, die im Falle eines Wahlkampfs in einer Wahlstimme endet.

medianet: Worum geht es bei diesen direkten Kontakten? Werden Inhalte kommuniziert oder der Kandidat präsentiert?
Holter: Im besten Fall sowohl als auch. Der gute Mix aus hochgradig politischem Inhalt und auch einem Austausch mit der Community, bei der man merkt, man ist nicht allein und es gibt Menschen von Wien bis Vorarlberg, die für die gleiche Sache brennen.

medianet: Die anderen Parteien werden ähnlich mit ihren Communities arbeiten. Worin liegt dann der Unterschied?
Maderthaner: Wir haben keine Tricks, und alle Parteien arbeiten mit vergleichbaren Technologien. Wir verstehen aber Kampagne und Beziehungsarbeit als Dauerjob. Das ist ein Aspekt. Ein weiterer wäre, dass es um einen direkten Aufbau von unterschiedlichen Beziehungskanälen geht. Wir schauen ganzheitlich auf die Dinge. Wir als Campaigning Bureau sind fünf oder sechs Agenturen unter einem Dach. Wir haben alles Schritt für Schritt zusammengebaut. Wir haben eine tolle Kreationsunit, die mit großen Werbeagenturen mithalten kann, eine Technologieunit, eine paid-media unit. Das ist, zusammen mit unserer Methode, die Secret Sauce, wenn man so will.

medianet: Sie haben sich auch viel in den USA angesehen. Wie weit ist man hier in Europa im Vergleich dazu?
Maderthaner: Das, was wir hier tun, beinhaltet sehr viel von dem, was wir dort in den innovativen Grassroots-Bewegungen gesehen haben. Personalisierung und Individualisierung werden sicher auch hier künftig eine ­größere Rolle spielen, genauso wie Virtual Reality oder Augmented Reality, um dieses Erlebnis der Nähe in einem Wahlkampf wiederzugeben. Generell gilt: TV ist das Plakat der USA. Wir haben bei uns ein irrationales Verhältnis zum Thema ­Plakat, im Vergleich dazu ist in den USA das Thema TV über­bordend.

medianet: Lässt sich die Art und Weise, wie Sie zu Menschen kommen, auch auf andere Bereiche übertragen?
Holter: Unsere Kunden sind in allen Branchen beheimatet – egal ob Reiseveranstalter, das Rote Kreuz oder ein Medienhaus. Alles, was wir tun, läuft nach dem gleichen Standard ab.

medianet: Mit dem Unterschied, dass das Risiko, mit einem Testimonial in der Politik oder der Werbung zu arbeiten, höher ist.
Maderthaner: In den Anfängen meiner politischen Laufbahn habe ich einmal gesagt ‚Das Spannende am Produkt Politik ist, es kann sprechen.‘ Das macht es aufregender. Wenn man aber für jemanden wie ­Sebastian Kurz arbeiten darf,
ist das eine Luxusherausforderung, nachdem er die größte Stärke seiner eigenen Kampagne ist.

medianet: Würde es Sie auch reizen, für eine andere politische Partei zu arbeiten?
Maderthaner: Das wäre dann wohl ein klassischer Interessenskonflikt.

medianet: Würde es Sie reizen?
Maderthaner: Mein persönlicher Bedarf an politischen Wahlkämpfen ist gesättigt. Dieser Wahlkampf war ein Ausnahmesituation mit der durch das ­Ibiza-Video gesprengten Koalition. Da ich aber mit so etwas nicht mehr rechne, kann ich für mich sagen, dass dies mein letzter Wahlkampf gewesen sein wird.

medianet: Gab es in Ihrer Arbeit mit Sebastian Kurz Dinge, die ihm ausgeredet werden mussten? Wer war der Lead in der Zusammenarbeit?
Maderthaner: Das Schöne am Erfolgskonzept der Kampagne war, dass es ein eingespieltes Team war, in dem Eitelkeiten keine Rolle gespielt haben. Das hat ermöglicht, sich in der Sache auch einmal hart einzuschenken und leidenschaftlich zu diskutieren. Wer mich kennt, weiß, dass es mir in solchen Debatten nicht an Leidenschaft mangelt. Man diskutiert die Dinge aus und manchmal kommt man selbst darauf, dass man einen Blickwinkel vergessen hat, und manchmal ist es umgekehrt.

medianet: Kommen wir zum Abschluss noch zur Ihrer Agentur selbst. Sie beschäftigen gut 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wachsen weiter. Die Frage ist, in welche Richtung?
Maderthaner: Lukas Holter verantwortet in Hinkunft unser Politik-Business. Hier ist der Bedarf sicher steigend, liegt aber weiter bei nur gut 20 Prozent unseres Gesamtgeschäfts. Wir wachsen immer noch in unserem Kernbereich, Kampagnen für Mobilisierung, Aktivierung und Involvierung von Interessensgruppen aller Art, vor allem für Unter­nehmen. All das unter der Führung von Stefanie Winkler-Schloffer.

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