Autonome Mobilität wirkt auf viele Lebensbereiche
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MOBILITY BUSINESS Redaktion 25.10.2018

Autonome Mobilität wirkt auf viele Lebensbereiche

Selbstfahrende Autos bringen Vor- und Nachteile mit sich. Fix ist: Sie verändern nicht nur unser Mobilitätsverhalten.

••• Von Jürgen Zacharias

Die Vision klingt utopisch, Experten zufolge ist sie aber nur noch rund ein Jahrzehnt weit entfernt: Auf Wunsch kann man sich dann auf Knopfdruck ein Fahrzeug vor die Haustür bestellen, einsteigen, das Fahrziel nennen und losfahren. Am Steuer des Elektrowagens sitzt niemand, das Kommando hat ein Computer, und anstelle von Fahrersitz und Beifahrersitz befindet sich eine verkehrt zur Fahrtrichtung montierte Sitzreihe mit kleinem Tisch – das klassische Auto wird zur bequemen Fahrgastzelle.

Irgendwann in den Dreißigerjahren, so schätzt Professor Günter Emberger vom Institut für Verkehrswissenschaften von der TU Wien, könnte diese Vision Realität sein, werden auf unseren Straßen mehr autonom fahrende Autos als von Menschen gelenkte Fahrzeuge unterwegs sein. Der Siegeszug der selbstfahrenden Fahrzeuge ist für ihn nur noch eine Frage der Zeit, damit verbunden ist aber auch ein fundamentaler Wandel unseres Mobilitätsverhaltens.
Wie eine aktuelle Studie der TU Wien, der Boku Wien und der Universität Leeds zeigt, werden selbstfahrende Autos die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, völlig verändern – mit positiven, aber teilweise auch problematischen Folgen.

Autofahren für alle

„Selbstfahrende Autos haben zweifellos viele Vorteile”, sagt Günter Emberger. „Sie könnten die Kapazität unserer Straßen erhöhen, die Gefahr von Verkehrsstaus senken und somit die Effizienz steigern.” Allerdings müsse man auch die negativen Seiten bedenken: „Autofahren wird plötzlich für jeden zugänglich – selbst Kinder können sich im selbstfahrenden Auto zur Schule fahren lassen. Damit wird das Auto zum noch stärkeren Konkurrenten für den öffentlichen Verkehr.”

Unter dem Strich sagen die Berechnungen von TU, Boku und Uni Leeds eine Zunahme der pro Person zurückgelegten Kilometer von 30 bis 40% voraus, erklärt der Experte. „Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegten Strecken gehen hingegen um fünf bis 20 Prozent zurück.”

Positive & negative Folgen

Emberger nennt einen Vorteil, der allerdings ein weiteres Problem zur Folge haben könnte: „Wenn man sich im autonomen Fahrzeug komfortabel ans Ziel kutschieren lässt, kann man die Zeit problemlos für Arbeit oder Freizeitaktivitäten nutzen. Das könnte allerdings dazu führen, dass man längere Pendelstrecken in Kauf nimmt und somit die problematische Zersiedelung des ländlichen Raums weiter verstärkt wird.”

Einen signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse hat jedenfalls die Frage, ob in Zukunft Privatpersonen ihre eigenen selbstfahrenden Autos besitzen werden, oder ob die Fahrzeuge als gemeinschaftlich genutztes Mobilitätssystem allen zur Verfügung stehen. Im Fall geteilter Fahrzeuge sind die Auswirkungen weniger dramatisch und könnten laut Oliver Bertram sogar deutlich positiv sein.
Der CEO des im Palais Collalto in der Wiener Innenstadt angesiedelten Designstudios Wideshot, das sich normalerweise mit der Konzeption von Raumschiffen für Hollywoodfilme, Märchenschlösser für Millionäre, Monster für Videospiele und VIP-Lounges für die Formel 1 beschäftigt, sieht in der autonomen Zukunft viele Chancen: „Damit stehen uns gravierende Änderungen bevor. Nicht nur beim fließenden Verkehr, denn dieser wird auch nach wie vor existieren, sondern vor allem beim stehenden Verkehr – den Parkplätzen.”

Viele neue Nutzungschancen

Bertram rechnet vor: „Ein Auto steht im Schnitt zwischen 22 und 23 Stunden am Tag. Pro Auto stehen allein in Wien etwa 2,5 Parkplätze zur Verfügung. In der Stadt Wien sind etwa 700.000 Autos angemeldet. Heutige Parkplätze benötigen etwa 12,5 Quadratmeter. Hieraus ergibt sich eine geschätzte Fläche von rund 22 Millionen Quadratmeter – das entspricht fünf Prozent des gesamten Wiener Stadtgebiets.”

Worin liegt aber nun genau das Potenzial? Bertram lächelt: „Da Autos bei Abwesenheit des Fahrers in Zukunft nicht mehr zum Stillstand verdammt sind, können sie andere Fahrgäste transportieren, anstatt zu parken. Experten gehen davon aus, dass in weiterer Folge 60 bis 80 Prozent der Stellplätze nicht mehr benötigt werden. Riesige Flächen könnten damit neuen Nutzungen zugeführt werden.”
Im Rahmen der Vienna Designweek präsentierte Bertram vor wenigen Wochen mithilfe von VR-Brillen seine Zukunftsvorstellungen für die Umgebung von drei Wiener Innenstadt-Hot-spots (Burgtheater, Börsegasse, Am Hof), die durch die Reduktion der Stellflächen mit Grünanlagen und anderen Freizeitflächen aufgewertet werden könnten.
„Die Chancen und Möglichkeiten sind riesig. In der Börsegasse könnte anstelle von vier Reihen parkender Autos beispielsweise ein Park entstehen und könnten die Gebäude besser angebunden werden. Und Am Hof könnte die bestehende Parkgarage in einen multifunktionalen Platz mit mehreren Ebenen, Cafés und anderen Geschäftslokalen verwandelt werden.”

Vielfältige Auswirkungen

Für Bertram gehen die durch die Einführung autonom fahrender Autos angestoßenen Veränderungen aber noch weit darüber hinaus: „Die Umgestaltung hat auch Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben, auf die Art und Weise, wie wir Städte und den öffentlichen Raum nutzen; Innenstädte könnten wieder an Reiz gewinnen, und es könnte zu einer Art Trendumkehr der Landflucht der vergangenen Jahrzehnte kommen.”

In einem Punkt sind sich Emberger und Bertram dann trotz gegenteiliger Erwartungen dann trotzdem einig: „Selbstfahrende Autos werden unseren Umgang mit Mobilität in jeder Hinsicht verändern. Wir müssen uns daher heute schon Gedanken darüber machen, welche Auswirkung diese bevorstehende Revolution in der Mobilität auf die verschiedenen Aspekte unseres Zusammenlebens hat, um die Entwicklung selbst aktiv steuern zu können.”
Zweifellos muss politisch auf die technologische Neuerung reagiert werden, aber auch in der Stadt- und Verkehrsplanung, in der Raumordnung und in der Parkraumbewirtschaftung.

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