„Du sollst nicht diskriminieren!“
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Thomas Jaeger, Leiter des Teams Europarecht an der Universität Wien
MOBILITY BUSINESS Thomas Jaeger 27.06.2019

„Du sollst nicht diskriminieren!“

Der Europäische Gerichtshof kippte die Pläne zur deutschen Pkw-Maut. Ein Kommentar von Thomas Jaeger, Leiter des Teams Europarecht an der Universität Wien.

WIEN. „Du sollst nicht diskriminieren“, mit diesem Satz begann der – mittlerweile aus dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ausgeschiedene – Generalanwalt Nils Wahl seine Schlussanträge in Sachen der österreichischen Klage gegen die deutsche Pkw-Maut. Er unterstrich damit zutreffend die fundamentale Bedeutung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Und zwar nicht nur für das Binnenmarktrecht, sondern für die Integration überhaupt. Freilich gelangte Wahl am Ende seiner ausführlichen, aber inhaltlich wenig überzeugenden Ausführungen zum Ergebnis: Die deutsche Maut diskriminiere die Halter ausländischer Pkw keineswegs. Im Gegenteil: Die von österreichischer Seite zur Diskriminierungsfrage vorgebrachten Argumente seien „in methodischer Hinsicht fehlerhaft“ und sogar „paradox“.

Zu Recht wurde der Generalanwalt in Expertenkreisen heftig dafür kritisiert, dass er selbst eine völlig unorthodoxe Methode und Begründung der Diskriminierungsprüfung gewählt habe und insoweit fehlerhaft vorgegangen sei. Tatsächlich hätte der vom Generalanwalt vorgeschlagene Ansatz einiges an Sprengkraft: Es bestand die reale Gefahr, durch die Bildung künstlich formalisierter Vergleichspaare das Diskriminierungsverbot und die Gleichbehandlung in der EU nachhaltig auszuhöhlen. Der Generalanwalt hatte maßgeblich darauf abgestellt, wer im Inland Steuern gezahlt und so bereits die Autobahninfrastruktur vorfinanziert hat. Dies hätte der Schlechterstellung von EU-Ausländern beim Zugang zu diversesten steuerfinanzierten Leistungen Tür und Tor geöffnet – von den Universitäten bis hin zu Sozialleistungen.

Die Kritiker der Schlussanträge wurden nun vom EuGH bestätigt: Die deutschen Mautpläne verstießen tatsächlich gleich gegen mehrere Vorgaben des Primärrechts: Im Einzelnen (hinsichtlich der Straßenbenutzung für wirtschaftliche Tätigkeiten) gegen die Warenverkehrs- und die Dienstleistungsfreiheit sowie gegen Bestimmungen der Verkehrspolitik und (im Übrigen, also für private Nutzer) gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Betrachtet man die Einführung der Autobahnmaut (für alle) nämlich gemeinsam mit der zeitlich und betraglich weitgehend deckungsgleichen Entlastung bei den Kfz-Steuern (nur für deutsche Zulassungsbesitzer), so ergibt sich deutlich, „dass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe de facto nur auf den Haltern und Fahrern von in einem anderen Mitgliedsstaat als Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ruht“. Ausländer werden damit wirtschaftlich schlechter gestellt.

Der EuGH wählte als Maßstab der Gleichbehandlungsprüfung also eine an den faktischen wirtschaftlichen Wirkungen orientierte Betrachtungsweise, die tatsächlich auch die einzig überzeugende Betrachtungsweise ist. Die festgestellte Diskriminierung ließ sich zudem nicht mit Argumenten wie Umweltschutz oder einer Umstellung der Infrastrukturerhaltung von pauschaler Steuerfinanzierung auf ein Verursacherprinzip rechtfertigen. Diese – an sich legitimen – Ziele waren in der Ausgestaltung der Maut nicht in glaubhafter Weise verwirklicht.

Erwartungsgemäß sind die Proponenten des „Projekt[s] aus dem bayerischen Bierzelt“ (so der FDP-Abgeordnete Oliver Luksic) wenig erfreut: Von einem unverständlichen Judikat sprach der geistige Vater der Mautpläne, Ex-CSU-Chef Horst Seehofer. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber meinte gar, man müsse nun als Revanche „sämtliche nationalen Mautgesetze“ ebenso überprüfen lassen wie „die Lkw-Blockabfertigungen in Tirol“. Derlei ist freilich ebenso substanzloser Populismus, wie es bereits die Mautpläne im Grundsatz waren: Die bestehenden Mautsysteme der EU-Staaten – und gerade auch das österreichische – wurden bereits von der EU-Kommission durchleuchtet und (teils nach Anpassungen) für unionsrechtskonform befunden. Dass diese Systeme Bestand haben, liegt schlicht daran, dass sie im Unterschied zur deutschen Maut (und deren geistigen Vätern) einen zentralen Gedanken der europäischen Integration verinnerlicht haben: „Du sollst nicht diskriminieren.“

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