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Ist Deine Marke depressiv?

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Erstellt von Markus Gull on 22/05/2018

Ist Deine Marke depressiv?

Gibt es Depression auch bei Marken und Unternehmen? – Ja! Meiner Erfahrung nach sogar häufiger als man denkt. Das besonders perfide an der Marken-Depression: sie ist auf Menschen übertragbar, höchst ansteckend und verbreitet sich wie eine Seuche.

Die gute Nachricht: Marken-Depression ist vermeidbar. Und heilbar.

Marken- bzw. Unternehmens-Depression erkennt man unter anderem an folgenden schleichend wuchernden Symptomen.

  1. Das Unternehmen befasst sich in zunehmendem Maße mit der Konkurrenz und immer weniger mit den eigenen Zielen.

  2. Im Unternehmen werden zunehmend die sogenannten Umstände diskutiert, in denen man sich befindet.

  3. Die Mitarbeiter reden öfter übereinander als miteinander.

  4. Der Preis gewinnt als Argument an Bedeutung.

  5. Du findest die Arbeit, die deine Kommunikationsagentur für ihre anderen Klienten macht, besser als die, die sie für dich macht.

  6. Die Kommunikation – z.B. Werbekampagne – wird häufig verändert.

  7. Man kann sich im Unternehmen die Zukunft nicht mehr vorstellen. – Autsch!

    Bei der menschlichen Depression vermutet man fehlende Botenstoffe als Auslöser, bei der Marken-Depression ist es definitiv so. Der fehlende Botenstoff heißt Purpose, auch Sinn genannt.

    Wir Menschen können ohne Sinn nicht gut leben. Der Sinn in den Dingen gibt uns Orientierung und stillt unsere Sehnsucht, uns als Teil von etwas Größerem zu fühlen.

  8. Dadurch entsteht Beziehung und Bedeutung und das gibt uns wiederum Sinn und Orientierung.

    Eine Nährstoff-Kaskade in der Endlosschleife.

    Deshalb suchen wir Menschen unterbewusst und automatisch Sinn, den Botenstoff unserer Seele. Überall, auch in Marken, in Unternehmen – als Mitarbeiter und als Kunden gleichermaßen. Denn wir definieren uns eben in beträchtlichem Ausmaß darüber, was und wo wir arbeiten und was wir kaufen. Oder nicht kaufen. Kaufen im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn, also: wofür wir sind und wogegen.

    Wenn ich mit Markenverantwortlichen, Unternehmerinnen oder CEOs ins Gespräch komme, dann meistens wegen eines vordergründigen Kommunikations-Themas. Ganz gleich, ob der Anlass tatsächlich dem Marketing oder der Kommunikation entspringt, oder der Digitalisierung und ihren mannigfaltigen Konsequenzen, dem Employer Branding oder einer Innovations-Aufgabe – das Gespräch dauert meistens keine fünf Minuten, dann geht es um die Frage: „Ja, wer sind wir denn eigentlich wirklich? Und wenn ja, warum?”

    Öfter als man denkt, lautet die Antwort darauf: „Hm …?” Durchaus auch bei großen, erfolgreichen, renommierten Unternehmen. Als Schüler Mark Aurels habe ich mittlerweile gelernt, in diesen Situationen mein Staunen hinter stoischem Antlitz zu verbergen.

    Profit, Sinn, Wert & Value …

    Was ist der Zweck deines Unternehmens? – „Hm …?”

    Die schnelle Antwort lautet: „Geld verdienen, Profit machen!” Shareholder Value, also. Darum kann’s natürlich nicht gehen. Das wäre ja, als würde es beim Essen um die Kalorien gehen, die ins System kommen. Ja auch, aber es gibt gute und schlechte Kalorien, und außerdem könnten wir uns dann ja längst ganz einfach aus Tuben oder von handlich gepressten Würfelchen ernähren. Macht aber niemand, glaube ich.

    Und wohin uns die schnöde Shareholder Value-Denke bringt, konnte man ja mittlerweile so oft an so vielen Stellen nachlesen, dass außer Milton Friedman keiner mehr dort hinwill. Und nicht mal er, glaube ich …

    Der Sinn einer Marke, jenseits von Produktnutzen und Preis, ist das Einzige, was gegen Markendepression wirkt, sogar vorbeugend. Ja mehr noch: Sinn ist für die Marke Botenstoff, Vitaminkomplex sowie Wachstums- und Glückshormon in einem. Für die regelmäßige innere und äußere Anwendung empfohlen und nicht einmal apothekenpflichtig.

    Das ist endlich mal etwas wirklich Praktisches, oder?

    Wie kommst du also ran, an dieses Wundermittel? Da empfiehlt sich die Picasso-Methode. Der Künstler sagte einst den schönen Satz: „Ich suche nicht, ich finde.” Und in Sachen Sinn darf ich ergänzen: „Bitte finden, nicht er-finden!”

    Geh zurück an den Ursprung des Unternehmens. Warum wurde es gegründet? Welches Problem wartete auf eine Lösung? Was gab’s noch nicht und wurde dringend gebraucht? Vielleicht wusste das noch niemand, bevor es das Unternehmen gab … Was ist besser, seit es das Unternehmen, das Produkt, die Dienstleistung, die Marke gibt? Was würde fehlen? Worum geht’s dir eigentlich? Und was steckt dahinter, emotional?

    Sinn erblüht, entfaltet und verteilt sich – wie so vieles in unserem Leben – in unseren Storys. Da wird’s lebendig in buntester Vielfalt. Bei Marken in der Brandstory, bei Menschen in ihrer Bestimmung – der Lebensgeschichte, bei Unternehmen, Organisationen und allen miteinander im sogenannten Anliegen. Im innersten Kern wurzelt das in mindestens einem Wert oder einem Wertegeflecht. Für diese Werte gilt es zu kämpfen, denn ohne uns sind sie in Gefahr. Wenn wir diese Werte hegen, pflegen und vertreten, dann ändert sich etwas in der Welt – am besten zum Besten.

    Story ist immer Veränderung, wenn auch nicht notwendigerweise zum Guten, denn die Mechanik von Story ist im Prinzip wertneutral, wie auch nicht jeder Wert für alle dieselbe Bedeutung hat.

    Hast du Lust auf einen vorsichtigen Blick in mein Schatzkästchen?

    Also bitte, hier: Eine ganz einfache Methode als Anregung zum Finden oder als Test des Gefundenen bietet dieser Satz:

    „Wäre es nicht phantastisch, wenn … (Wert-Vision)? Wenn wir es also schaffen … dann wird es … geben / wird … sein / wird … besser (Mission). Wenn wir es nicht schaffen, dann bleibt … / passiert … (Pain). Deshalb machen wir … (Strategie).”

    Das könnte zum Beispiel so aussehen: „Wäre es nicht phantastisch, wenn die Menschen in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten an einem gesicherten Ort nichts als die Wahrheit finden könnten? Wenn wir es also schaffen, die besten Nachrichten, Fakten und Informationen zu verbreiten, dann wird es diesen Ort der Wahrheit geben und die Menschen können sich in ihrer Orientierung in dieser unübersichtlichen Welt sicher sein. Wenn wir es nicht schaffen, dann wird die Wahrheit von Lärm, Gebrüll und Fake News verschüttet und mit ihr unsere Demokratie und unsere Freiheit. Deshalb machen wir ein Medium, das ausschließlich der Wahrheit verpflichtet ist.”

Das ist ein wirklich simples Modell und gerade deshalb wirkungsvoll. Aber schwierig in der Anwendung, ich weiß. Die einfachen Dinge sind meistens nicht leicht zu erreichen. Damit kann man sich schon mal ein paar Tage herumquälen. Und es soll auch schon vorgekommen sein, dass man die Lösung nicht findet, sondern von ihr gefunden wird. Hurra, Epiphanie! Aber wie!

Wert-Vision – Mission – Pain – Strategie … das sind unterschiedliche Elemente, die einander nährend bedingen und zusammen ein starkes Gewebe ergeben. Die Positionierung ist in dieser Phase noch nicht einmal Thema, sehr oft aber dann die geschmeidige logische Konsequenz daraus.

Wenn du es einmal soweit geschafft hast, dann wird das Leben leichter. In der Entwicklung deiner Story sowieso, aber plötzlich verschwinden auch die Marken-Depressions-Symptome nach und nach.

Ist eigentlich nur Gutes gut?

Schnell und oft steht man bei Brand Purpose-Überlegungen auf einem Acker, auf dem CSR, Nachhaltigkeit, Charity und ähnliches gedeihen.

Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, solange es ernst gemeint ist und auch aus dem Urkern der Marke genährt wird. Aufgesetzte Maßnahmen, die einem hauptsächlich selbst ein gutes Gefühl geben, tragen den Keim des Scheiterns in sich und sind selten mehr als der Lärm vor der Niederlage.

Die Menschen wittern Marketing-Bullshit meilenweit gegen den Wind, und das ist gut so.

Aber auch im positiven Gegenteil: Wenn es Unternehmen wirklich um etwas geht, und es ihnen gelingt, dieses Anliegen in breiter Vielfalt mit einem großen Publikum zu teilen, dann gibt’s als gerechte Belohnung verdienten Erfolg.

Oft werden Unternehmen – also ganz ausdrücklich Profit-Business, nicht Charity – sogar auf der Basis eines echten Anliegens gegründet. Social Entrepreneurship boomt, ist aber überhaupt nicht neu – wenn man zum Beispiel an die Anfänge der Raiffeisen-Organisation denkt.

Eines meiner Lieblinsgbeispiele in diesem Bereich ist Patagonia, auch wegen des Gründers Yvon Chouinard, einer außergewöhnlich inspirierenden Unternehmerpersönlichkeit.

Sein Buch „Let my people go surfing” hat er mit Naomi Klein geschrieben, und ich kann es dir sehr ans Herz legen, genauso wie den Erwerb desselben in der lokalen Buchhandlung in deiner Nähe. Der Gründungsgedanke von Patagonia aus dem Jahr 1973 dient bis heute als Mission-Statement: „Build the best product, cause no unnecessary harm, use business to inspire and implement solutions to the environmental crisis.” Mittlerweile gibt es von Patagonia sogar Lebensmittel, und das Unternehmen engagiert sich gemeinsam mit seinem Publikum in vielerlei Aktivitäten rund um das Mission-Statement – als lebendiges Beispiel für Sinnstiftung jenseits von Profit und Shareholder Value. Schau dich mal auf der Website um, du wirst verstehen, was ich meine. Jedenfalls darf ich eine Ferndiagnose stellen: Dieses Unternehmen ist gegen Marken-Depression mit der großen Sinn-Spritze geimpft.

Ähnlich sieht’s bei Warby Parker aus, einem wesentlich jüngeren Unternehmen als Patagonia. Dort sagt man: „When we started the company, we had two goals: 1. Offer an alternative to the overpriced and underwhelming eyewear that was available to us. 2.Build a business that could solve problems instead of creating them.”

Das funktioniert natürlich nicht nur in den USA. Das Berliner Unternehmen Einhorn ist auch deshalb so beispielhaft, weil alles was Brandstory, Marketing und Kommunikation bis hin zur Umsetzung angeht, dort von einem insgesamt kleinen Team inhouse gemacht wird und mit einer riesen Menge Spaß noch dazu.

 

Auch Happiness macht Sinn!

Das sind großartige Marken auf dem Fundament von Social Change im engeren Sinne. Doch denken wir an eine der ältesten Marken der Welt, Coca-Cola. Dort gibt es einen ganz starken Kernwert, der seit ich denken kann in den unterschiedlichsten Varianten lebendig bleibt: Happiness. Derzeit in der Form von Moments of Happiness.

Happiness ist eine hervorragende Sinn-Quelle für eine vitale Brandstory, die sich gerade in der heutigen Zeit in unzählige involvierende Aktivitäten ausrollen ließe. Man bräuchte sich ja nur ein paar Inspirationsfragen stellen, wie:

  1. Welche Momente bringen Happiness und welche bräuchten mehr?

  2. Was bedeutet Happiness in unterschiedlichen Ländern und Kulturen und wie könnten wir diese zu neuer Happiness verbinden?

  3. Was brauchen die Menschen, damit sie in Zukunft Happiness erleben können?

  4. Muss Happiness immer und ausschließlich mit dem Genuss von Coca-Cola verbunden sein?

  5. etc.

Umso rätselhafter bleibt, warum der Markenikone Coca-Cola nicht wesentlich mehr gelingt und es bei allem was sie tun letztlich bei oberflächlicher Werbung bleibt. Also, liebe Coca-Cola-Leute: macht was draus! Oder schickt mir einen Sack voll Geld und ein paar Flaschen Coke Zero, dann sag ich euch noch ein paar Fragen mehr und die Antworten dazu …

Ein Unternehmen ohne Sinn ist sinnlos, eine Marke ohne Werte ist wertlos. Darum geht’s bei Story.

Story ist eine Frage der Haltung und eine unverzichtbare Notwendigkeit für erfolgreiche Kommunikation sowieso, aber für ein erfolgreiches Unternehmen und für den Bestand einer Marke ebenso. Egal ob Weltkonzern, KMU oder EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat eine Story und steht für etwas. Wenn nicht, wird es depressiv und es bleibt nur noch ein einziges Thema, so oder so: der Preis.

Deshalb sagte auch meine Großmutter, die alte Story Dudette, als sie sich einst in der Wiener Berggasse 19 dank eines epiphanischem Erkenntnisschubes lächelnd von der Couch erhob: „Read my lips, Sigmund – No Story. No Glory.”

Weitere Artikel rund um Storys & Brands finden Sie im Blog The Story Dude.

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Copyrights: New York Times, Warby Parker, Einhorn, Yvon Couinard