Kann eine Brandstory wirklich Veränderung bewirken?
In den letzten Wochen war ich zu einer ganzen Reihe von Vorträgen und Keynotes bei Unternehmen, Gründern und unterschiedlichen Unternehmer-Vereinigungen eingeladen. Im Publikum saßen CEOs, Führungskräfte und eben – angehende – Unternehmer. Da kommt es immer wieder zu wirklich interessanten Begegnungen mit Menschen, die ihr Stück der Welt verbessern, Probleme lösen, Chancen erkennen und nützen, also etwas auf die Beine stellen wollen und stellen. Menschen, die etwas bewirken.
Diese Veranstaltungen bieten reichlich Gelegenheit zum anregenden Austausch mit Speaker-Kollegen, aber vor allem auch mit Teilnehmern bei den Veranstaltungen. Häufig sind es dann die Fragen, die im inoffiziellen Teil nach meinen Auftritten gestellt werden, oft noch zwischen Tür und Angel, wenn ich schon fast wieder weg bin, die mir zeigen, was die Menschen in ihrer Arbeit tagtäglich beschäftigt.
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In unseren Zeiten mannigfaltiger Umbrüche dreht sich naturgemäß vieles um Innovation, Digitalisierung, Transformation, neues Arbeiten und unterm Strich in allem immer wieder um Führungskultur. Eine Frage höre ich dabei besonders häufig: „Wenn eine (Marken-)Story wahr sein muss, wie kann ich damit in die Zukunft führen? Das, worüber ich erzähle, gibt’s ja jetzt alles noch nicht …“
Diese Frage zeigt mir zweierlei: Einerseits wissen immer mehr Führungskräfte, dass die Tage von effektheischenden Marketinggags, durchsichtigem Motivationssprücheklopfen und hohlem Visionsgequatsche gezählt sind, weil die Menschen – ganz gleich ob in einem Unternehmen oder außerhalb – Bullshit gegen den Wind riechen und mit zugehaltener Nase am Absatz kehrtmachen. Authentizität ist in jeder Hinsicht viel mehr als ein Erfolgsfaktor, Authentizität ist ein lebenswichtiges Vitamin.
Andererseits setzt sich offenbar die Erkenntnis durch, dass die richtige Story der beste Leitstern in Richtung Zukunft ist, zumal ja über die Zukunft sowieso keinerlei Fakten bekannt sind. Jedenfalls mir nicht. Es muss also etwas anderes her, das uns treibt – viel besser noch: zieht. Eine gemeinsame Geschichte ist in Tat und Wahrheit das Beste und Einzige, was bislang funktioniert hat. Eine Geschichte, die nicht von der Marke oder vom Unternehmen handelt, sondern von unseren gemeinsamen Werten und der besseren Welt, in der wir durch sie leben wollen. Der Wertekompass nordet uns am Weg in die Zukunft ein.
Story führt in eine bessere Welt.Manchmal sieht diese bessere Welt tatsächlich aus wie eine bessere Welt. Manchmal sieht sie aus wie ein Innovationsprogramm, dann wieder wie ein Schulungskonzept, wie eine Produkt- oder eine Dienstleistungsidee, mitunter wie ein Sparprogramm oder wie ein Spielplatz für den Kindergarten im Ort, dann wieder wie gemergte Konzerne oder wie Schüler, die am Freitag für den Klimaschutz auf die Straße gehen. Immer sieht diese unsere Welt in der Zukunft anders aus als heute.
Veränderung ist allermeistens eine bittere Pille, die nur schwer zu schlucken ist, denn kaum ist sie unten, kommt uns das Gewohnte hoch, das uns zwar vielleicht längst im Magen liegt, aber doch ein Teil von uns ist, bekannt und vertraut. Veränderung mieft säuerlich nach Mühe.
Ein neues, erstrebenswertes Ziel schmeckt hingegen wesentlich erfrischender! Vor allem dann, wenn jeder Betroffene weiß, warum ihn das Neue erfrischt, denn dann wird er nicht nur Adressat einer Botschaft sein, sondern ihr beteiligter Träger, Miteigentümerin der neuen Welt und nicht nur ihre Bewohnerin, Evangelist der neuen Hoffnung und nicht nur Glaubender. Auf los geht’s los!
Führen wie Goethe?Wenn ich über Führung von Unternehmen, Menschen und Marken spreche, kommt mir stets der Satz von Johann Wolfgang von Goethe in den Sinn, den er über Kindererziehung (also über Führung unter besonderen Gegebenheiten) gesagt hat: „Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“
Die österreichische Lebensmittelhandelskette Merkur hat im Jahr 1988 beginnend eine wunderbare Erfolgsgeschichte geschrieben, die zeigt, wie so etwas funktionieren kann.
1988 war der Lebensmittelhandel insgesamt weit entfernt von heutigen Qualitätsstandards, Merkur – damals noch nicht Teil des REWE-Konzerns – war ein Diskont-artiger so genannter Verbrauchermarkt, der seit seiner Gründung 1969 in Sachen Frische kaum etwas zu bieten hatte – bis man in der Unternehmensführung beschloss, das gesamte Konzept zu erneuern und auf Frische & Qualität zu setzen, Obst und Feinkost inklusive. Das ist kein kleines Ziel! Das gesamte Merkur-Format wurde neu aufgesetzt und die Latte gleich einmal hoch gelegt, verpackt im Claim als Mission Statement: „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein.“ Ergänzt wurde dieses Statement durch die Werbefigur Ano Nym, der als gezeichnete Silhouette eines Mannes mit Hut und Trenchcoat den Kontrollor gab, der im Hörfunk auch stets erklärte, woran die Kunden Frische und Qualität tatsächlich erkennen können – zum Beispiel am Ton, den eine Wassermelone abgibt, wenn man an die Schale klopft.
Diese Kampagne war bei ihrem Start zweifellos viel weiter vorne als das Unternehmen selbst, was nach innen und außen durchaus zu Irritationen führte, aber mehr noch: alle zum Erfolg zog. Denn die gemeinsame Motivation, wirklich besser zu sein als alle anderen, etwas ganz Neues auf die Beine zu stellen und Teil eines besonderen, großen Projektes zu sein, das Merkur abhebt von allen anderen, diese Kraft wirkt zuerst einmal nach innen, dort, wo das Neue seinen Anfang nehmen muss, wenn es Bestand haben soll.
Wer auf seiner Arbeitskleidung den Satz stehen hat: „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein.“, ist automatisch eine der Besten, eine, die sich auskennt; Profi, überlegen und etwas Besonderes. Bruce Springsteen würde sagen „… tougher than the rest“.
Wer sich so etwas auf die Unternehmenszentrale, die Märkte, die Lkw, die Werbesujets und die Arbeitskleidung schreibt, gibt ein überprüfbares Glaubensbekenntnis ab, der muss es ernst meinen. Sonst implodiert die Sache, und der Claim ist der erste Satz in der Geschichte, die über den Niedergang berichtet.
Was heute noch gnadenloser gilt als es 1988 und zuvor schon galt: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Die Brand Experience, das konkrete Erleben, entscheidet am Ende, ob eine Story geglaubt wird und Erfolg verdient. Ano Nym und Merkur waren 27 Jahre glücklich vereint, der Claim wurde zum geflügelten Wort in der Alltagssprache, genauso wie die Werbefigur, oft parodiert, mitunter imitiert, nie erreicht.
Die Kraft einer großen gemeinsamen Geschichte, die jeden als wertvollen Teil mitnimmt und wachsen lässt, bewegt Welten und zieht in die Zukunft.
Wie erklären wir der Welt unsere Welt?So gesehen sind die Versuche von Städten und Ländern, ihr Branding professionell zu steuern, absolut sinnvoll, geht es den meisten Ländern doch wie Merkur im Jahre 1988: Man verbindet mit den meisten Regionen das, was ist, und öfter noch das, was war, aber nicht das, was wäre, wenn das ist, was sein soll: also Zukunft. Verkürzende Klischees dominieren zumeist die Wahrnehmung, manchmal lösen sie sich auf, aber nur, wenn sich substanzielle Veränderungen ergeben.
Die Stadt Linz wurde lange unter ihrem Wert geschlagen und auf ihre Rolle als provinzielle Industrie-Arbeiter-Stadt verkürzt. Diesen alten Underdog-Hut wollte man loswerden, was mit gelebter Erneuerung und begleitender Kommunikation tatsächlich gelang und weit mehr bedeutet als klassisches Stadtmarketing. Zwischen Voest, Brucknerhaus, Ars Electronica findet weit mehr statt als man vermutet. Das wissen mittlerweile nicht nur die Linzer.
Durch gelebte Veränderung und Kommunikation weiß man inzwischen über die florierende Start-up-Szene Israels Bescheid, über die besonders glücklichen Finnen, die aktuelle beliebte Hygge-Häuslichkeit der Dänen und das besondere Design-Gespür der Schweden, während man mit Italien nach wie vor Italianità verbindet, die abseits touristischer Romantik kaum nutzbare Relevanz hat. Und Österreich dreht sich im Walzertakt zwischen intakter Natur, altmodischer Kaisertümelei und Hochkulturgenuss, während aber eine Menge Hidden Champions weltweit mit Innovationen und Wirtschaftskraft reüssieren. Die Welt liebt Red Bull, kennt Österreich allerdings für die Sacher-Torte … Ja: „Wir sind in den Augen der Öffentlichkeit nicht das, was wir sind, sondern das, wofür wie gehalten werden.“ Paul Lazarsfeld rechter Haken trifft wie immer gnadenlos.
Im verschärften globalen Wettbewerb, nicht zuletzt am Standort- und Mitarbeitermarkt, kann so ein Befund zu chronischem Leiden führen, wenn etwa erstklassige Fachkräfte auf der Suche nach dem idealen Arbeitgeber Österreich nicht einmal auf der Landkarte haben, vom gespeicherten Ziel im Navi ganz zu schweigen.
Die aktuellen Bemühungen für ein neues österreichisches Nation Branding sind schon allein deshalb absolut klug und richtig, selbst wenn die Geschichte des Nation Branding auch international zeigt, dass die nachhaltigste Veränderung dieser Projekte vor allem am funkelnden Kontostand der gescheiterten Berater zu sehen ist.
Ich erinnere mich mit Schaudern daran, selbst einmal in der Jury für das Finden einer Regionalmarke eines österreichischen Bundeslandes gesessen zu sein. Für die Beschreibung der Sieger-Arbeit, die ich nicht verhindern konnte, muss als bestes Attribut – excuse my french! – Scheißdreck genügen.
Nun also brachten die Bemühungen in und für Österreich als erstes publiziertes Ergebnis ein neues Logo ans Tageslicht, verbunden mit dem Positioning Statement „Österreich verbindet Welten.“ Über die Gestaltung des Logos gibt es unterschiedliche Meinungen; ich finde, es stört unseren Alltag nicht.
Story baut Brücken in die Zukunft.
Das Positioning Statement liegt nahe und wurde bereits in unterschiedlichen Iterationen – wie etwa beim Eurovision Song Contest 2015–immer wieder verwendet, hat also durchaus Wurzeln im Goetheschen Sinn.
Und „Österreich verbindet Welten“ hat auch Flügel – besonders mächtige sogar! Dieser Claim kann auf unterschiedlichen Ebenen nach innen wirken, wenn er kundig lebendig gemacht wird – ob bei Bemühungen in Richtung Innovation Leadership, die ohne Kollaboration gegensätzlicher Welten nicht funktioniert, ob in der Ausweitung des Kunst- & Kultur-Bogens, ob für das Zusammenspiel von Stadt und Land, von Ökologie und Ökonomie, von Traditionsverbundenheit und Pioniergeist, im Tourismus sowieso.
Diese Geschichte spielt in der Zukunft. Sie gibt Hoffnung und steht auf dem sicheren Fundament gemeinsamer Werte und hat das Potenzial in der Interpretation für jeden im Lande, sich als Teil eines großen besonderen Projektes zu fühlen.
Das innere Lebensgefühl später lebendig und kraftvoll nach außen zu spiegeln ist dann fast nur noch eine Frage des Handwerks sowie des dazu passenden nötigen Budgets.
Da kann sich wirklich etwas bewegen. Das kann etwas bewegen.
Story als Katalysator von Zeitgeist und LebensgefühlSignifikante Kennzeichen unserer Zeit sind Unsicherheit und Orientierungslosigkeit als Grundrauschen des Zeitgeistes. Weltweit wächst die Gier nach Individualität bis hin zu narzisstischer Vereinzelung, und das Gegeneinander scheint die offiziell angesagte Marschrichtung zu sein. Europa dreht sich in einer Zentrifuge, die kaum noch von der wachsenden, schier undurchschaubaren Macht Chinas und der Internet-Monopolisten gebremst wird.
Gegeneinander hilft weder der kleinsten Gemeinschaft, nützt keinem Lande und erleichtert schon gar nicht das Zusammenleben in der globalisierten Gesellschaft unseres Planeten mit dem Global Village als Hauptstadt, jener Stadt mit den meisten Einwohnern auf Erden, der einzigen Stadt, die weder Gemeinderat noch Bürgermeister hat.
Ein Gegeneinander kann auf Sicht nicht einmal im Sinne seiner destruktiven Betreiber sein, was sie vermutlich wissen, aber ignorieren. Shareholder Value für Gesellschaftspolitiker quasi.
Jeder Trend wird bekanntlich nach einer gewissen Zeit vom Gegentrend abgelöst, so oder so, früher oder später. (An diese Erkenntnis klammert sich unter anderem die Modebranche angesichts der Skinny Jeans, die seit nunmehr 15 Jahren das Gebein der Menschheit bewohnt …) So spüre ich bei meinen Auftritten als Speaker eine anschwellende Gegensehnsucht nach Gemeinschaft und Orientierung – also nach einer gemeinsamen Geschichte, die uns verbindet und leitet. Zukunftsforscher sprechen bereits von Mitgefühl und Resonanz als Erfolgsfaktoren der Zukunft.
Entstehende Initiativen wie Menschen.Würde.Österreich, Deutschland/Österreich spricht von Die Zeit und Der Standard getragen oder Die offene Gesellschaft sowie der rege Zulauf zu den Veranstaltungen dieser Organisationen sprechen für sich.
Welten verbinden, Brücken bauen, das Komplementäre stärken – im eigenen Land und universell, das hat in der Tat das Potenzial zu einer wirklich mächtigen Brandstory für ein Nation Branding, das seine Wurzeln in die erlebte Tradition schlägt und dem der Zeitgeist Wind unter die Flügel treibt, damit sie abhebt und begeisternd gelebt wird.
„Österreich verbindet Welten“ als gemeinsame Geschichte hat die besten theoretischen Erfolgsaussichten und wird praktisch von größter gesamtgesellschaftlicher Notwendigkeit getragen, nach innen wie nach außen. Weltweit.
Diese Story hat allerdings einen nicht unwesentlichen Schwachpunkt: Sie stimmt nicht. Weder nach innen noch nach außen.
Story ist mehr als ein G’schichterl.Wer sich nämlich die Wirklichkeit ansieht, der erlebt und erkennt Österreich seit Monaten massiv als das Gegenteil eines Brückenbauers, und zwar so auffällig, dass es ausgiebig Earned Media dafür gibt. Eine Regierung, deren Claim to Fame sich aus dem Weghalten, Routenschließen, Zurückschicken, Abgrenzen, Ausgrenzen und Verbieten nährt, nach innen wie nach außen, führt ein Land nicht an eine Brücke, sondern an mindestens eine Grenze. Man kann mit aller Berechtigung sagen: Genau dafür wurde die amtierende Regierung doch gewählt – was der Brandstory „Österreich verbindet Welten“ gleich noch einmal die Luft auslässt.
Die wunderbare Story, die gemeinsame Geschichte, verwandelt sich so durch die unzähmbare Kraft der Brand Experience in ein so genanntes G’schichterl. Zwar erwächst damit förmlich über die österreichische Version des Haupteinganges, die Hintertür, eine subkutane Form des Nation Branding, kennt man ja Österreich auch als Land des Ungefähren, des Vielleicht, des Schlampigen, des „Passt schon!“ für alles, was nicht passt, aber jedem egal ist, als Heimat des G’schichterls.
All das kann nicht im Sinne der (Er-)Finder des Mission Statements sein, und so stehen die Chancen gut, dass „Österreich verbindet Welten“ tatsächlich eine kraftvolle Brücke schlägt, und zwar zwischen Lärm und Niederlage. Fast als hätte Merkur dem Satz „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein.“ durchs eigene Unvermögen ins Leben geholfen.
Wie gesagt: Authentizität ist in jeder Hinsicht viel mehr als ein Erfolgsfaktor, Authentizität ist ein lebenswichtiges Vitamin. Das wissen immer mehr Führungskräfte, das wissen wir alle.
Egal ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen oder heldenhafte Einzelkämpfer als EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen, jede Gesellschaft und jede Nation braucht Orientierung über eine authentische gemeinsame Geschichte, mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. Diese Geschichte kann, ja soll durchaus von der Sehnsucht nach einer Zukunft handeln, wie sie sein soll. Dann kann man sich darauf zubewegen. Dann gibt es ein gemeinsames Ziel – für Unternehmen, Organisationen und Marken. Die Hoffnung darauf, dass morgen besser sein wird als heute, ist die Hefe in unserem täglichen Brot.
Auf die Frage: „Wenn eine (Marken-)Story wahr sein muss, wie kann ich damit in die Zukunft führen?“ gibt es eine ganz einfache Antwort: „Nur so! Wenn Du nämlich Deine Wurzeln kennst und Deine wahren Werte lebst, dann hast Du den präzisesten Kompass, den es gibt, in der Hand: deine Story.“
Allen, die also sagen: „Für mich und meine Marke gilt das nicht!“ seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, Ano Nym auf seine Shoppingliste schrieb: „No Story. No Glory.“
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