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Kennst du dich aus?

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Erstellt von Markus Gull on 30/10/2020

Kennst du dich aus?

Manche Dinge werden mir vermutlich ewig ein Rätsel bleiben. Das Leben zum Beispiel. Oder die Welt. Damit fängt der Schlamassel ja schon an. Und was sonst alles so geschieht, das kommt noch dazu.

Früher, ja früher, war alles wesentlich leichter zu verstehen, da gab’s bei weitem nicht so viel von allem. Andererseits haben wir damals überhaupt ganz generell viel weniger verstanden. Was denn sonst? Es gab ja noch nicht so viel zu verstehen.

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Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!

Den Blogartikel für die Ohren gibts bei Apple PodcastSpotifySoundcloud und natürlich auf meiner Website.

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Geht’s dir nicht auch so? Fragst du dich nicht auch ständig: Was passiert jetzt, warum passiert es gerade jetzt, und wieso ausgerechnet immer mir? Schon wieder? Wie immer!?! Und mit zunehmender Häufigkeit lautet die Antwort: keine Ahnung!

Von Corona will ich jetzt gar nicht anfangen, denn wer kennt sich bei Corona wirklich aus? Damit fängt’s ja schon an. Was heißt anfangen!?! Da hört sich alles auf! Die Experten kennen sich aus? Ja, so lange, bis ein anderer Experte das Gegenteil expertiert, dass sich die Expertenbalken biegen. Darauf muss man nicht lange warten: Gegenteil to go.

Das hätte sich Aldous Huxley nicht träumen lassen, dass er so recht haben wird, nach Jahrzehnten, mit seinem „overnewsed but underinformed“.

Es ist alles kompliziert.

In seiner Regierungserklärung im Jahre 1983 sagte der damalige österreichische Bundeskanzler Fred Sinowatz: „Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das alles ist sehr kompliziert, so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzu­geben, daß es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann.“ 

Dafür wurde er bis ewig verspottet. „Es ist alles so kompliziert“ wurde aus dem Zusammenhang gerissen und ihm ans Zeug geflickt. Dabei hatte er mindestens so recht wie Aldous Huxley, und das hätten sich weiß Gott beide nicht träumen lassen.   

Ja, der Zusammenhang. Ja, der Kontext. 

Einfach mal was herausgerissen, aus dem Zusammenhang, und schon stehen wir ziemlich betropitzt da mit unseren einfachen Antworten auf die falschen Fragen und haben den Salat. So schnell kann’s gehen.

Nur: Wie kommen wir da bloß wieder raus aus dem Salat, den wir da haben, und aus dem ganzen Schlamassel?

Was ist der Wald, was sind die Bäume, und wo sind wir? Wir kennen uns hinten und vorne nicht aus, können nicht aus und haben deshalb nur einen Ausweg: wir sind vorsichtshalber dagegen. Und wer dafür ist, also nicht auch dagegen, so wie wir, der ist gegen uns. So einfach ist das. Ein Feindbild sagt mehr als tausend Worte.

Was tun?

Man könnte in diesem Zusammenhang „Brave new world“ wieder mal aus dem Bücherregal rausfischen und seine Nase reinstecken, falls man Lust darauf hat, zu verstehen, was jetzt passiert und warum das alles passieren konnte, oder könnte. Ich habe nie mit Aldous Huxley gesprochen, nachdem wir nur ein paar Monate gleichzeitig auf Erden waren, h aber ich habe vermutet, mit „Brave new world“ verhält es sich ähnlich wie mit „1984“ von George Orwell: es war eher als Warnung gedacht, denn als Handlungsanleitung. – Mensch, diese Schriftsteller und ihre Phantasie …  

Es ist alles einfach.

Aber dafür sind solche Geschichten schließlich in die Welt gekommen: damit erklären wir uns selbst und einander die Welt. Unsere Welt, unsere Wahrheit, unsere Wahrheiten und was hinter dem steckt, was uns wichtig ist, hinter unseren Werten. 

„Jede Entscheidung wird einfach, wenn du deine Werte kennst“, sagte Roy Disney. Aber was sind Werte, was halten wir nur dafür, wie finden wir unsere Werte, wie wirken sie für uns als Orientierung, und was bedeutet Wert-Sein? Darüber habe ich mit der dafür höchst zuständigen Person Sigrid Tschiedl gesprochen. Du kannst uns in meiner aktuellen Podcast-Folge zuhören und in Sigrids neuestem Buch mehr darüber lesen.

Es heißt „WertSEIN“, und wer es liest, verputzt mit einem Schnapper gleich drei Bücher auf einmal: „WertSEIN ist nämlich ein Sachbuch, ein Fachbuch und vor allem auch ein Machbuch, denn es liefert Anstoß, Wissen und praktische Tipps in einem. 

Mit unseren Werten als Bausteine errichten wir die Trutzburg unserer inneren Geschichte, das, was uns stabil macht und Halt gibt. Diese unsere innere Geschichte erzählt nicht bloß davon, was war, sondern warum es aus unserer Perspektive war, oder wie’s gewesen sein könnte. Unsere innere Geschichte stellt Zusammenhänge her, erzählt von unserer Wahrheit und von unserem Weg dorthin: von unserem Erkenntnisgewinn und was wir damit tun und daraus machen. Ob wir unsere Werte leben – oder nicht. Das gilt für jeden von uns ganz persönlich, und im selben Maß für jedes Unternehmen, für Teams & Unternehmen, für unsere Gesellschaft. 

Werte sind zur Orientierung im Wald der Möglichkeiten perfekte Navigationshilfen, aber aus dem Zusammenhang gerissen auch wieder Grundzutaten für den Schlamasselsalat, den wir haben. Denn ein Wert sagt mehr als tausend Worte, und wenn wir ihn nicht gleich oder ähnlich verstehen wie andere Menschen, bleibt, denkfaul wie wir sind, nur ein Ausweg. Erraten: dagegen sein. 

Es hängt alles zusammen.

Die Fugenmasse zwischen unseren Werte-Bausteinen nennt sich Zusammenhang oder Kontext. Der Zusammenhang hängt alles zusammen und macht so aus den Einzelteilen ein neues Ganzes, eine ganz neue Geschichte. Deshalb sind unsere Geschichten genau so wie wir Menschen sind: komplex. Und so komplex – manchmal sogar kompliziert – es ist, diese Zusammenhänge herzustellen, so komplex ist auch das Lesen und Entschlüsseln dieser Geschichten. Aber es ist nötig, denn wenn wir Zusammenhänge nicht verstehen, verstehen wir und selbst nicht, verstehen wir einander nicht und die Welt schon gar nicht. Und schon gehen wir aufeinander los, anstatt aufeinander zu. Wir verstehen nicht und sind dagegen, gegeneinander. 

Etwas verstehen bedeutet noch lange nicht, es gut zu finden, sondern den Zusammenhang zu erkennen. Das ist die einzige Chance, die alte Geschichte unserer Welt, die in Summe von Abgrenzung, Erobern, Besiegen, Gewinnen, Übertrumpfen, Beherrschen und Verdrängen, von Erfolg = mehr und mehr = Erfolg, entweder/oder, Freund oder Feind erzählt, neu zu schreiben. Wenn wir nämlich die Zusammenhänge verstehen, verstehen wir, dass alles zusammenhängt und dass wir alle zusammenhängen. Dann verstehen wir, dass diese alte Geschichte über lange, lange Zeit so wirkungsvoll, effektiv und sozusagen erfolgreich war, dass man meinen könnte, sie war richtig, hatte allerdings einen Fehler: sie war falsch. 

Weil es nämlich keine zwei gleichen Menschen auf Erden gibt, kann es naturgemäß keine anderen Menschen geben, sondern nur Vielfalt. Weil nämlich alles zusammenhängt, kann es naturgemäß kein Gegeneinander geben. Gegen sich selbst intolerant sein? – so etwas nennt man in der Medizin Autoimmunerkrankung.

Da gibt’s noch viel zu verstehen, viel zu lernen, viel zu tun. 

Es sind eben die Zusammenhänge, die wir entschlüsseln müssen, damit wir die höchst komplexe Welt wieder besser verstehen können. Wieder und besser. Oder endlich einmal verstehen.

Das gelingt uns nicht mit Verkürzung und Vereinfachung. Dafür taugen keine flotten Sprüche, einfachen Lösungen oder schnellen Antworten, die uns rund um die Welt von in Halbseide eingewickelten Politikerdarstellern als Heilsversprechung angedreht werden. Es gelingt nicht mit der Reduktion von Komplexität, sondern mit ihrer Entschlüsselung.

Darüber hat der famose Wolf Lotter ein Buch geschrieben, das ich hier aufs Allerwildeste empfehle: Es heißt „Zusammenhänge: Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen.“*

Wolf Lotter – er schreibt außer Büchern auch stets den Leitartikel in brand eins, dessen Gründungsmitglied er ist – sagt: „In einer immer komplexer werdenden Welt reden wir zwar viel über die Wissensgesellschaft, aber was mit den Netzwerken der Technik, der Ökonomie, der Kultur oder einer zeitgemäßen Bildung wirklich gemeint ist, durchschaut keiner so richtig. Es fehlt uns nicht nur an Durchblick, wir trauen ihn uns auch kaum noch zu. Wir müssen uns vom blinden Glauben an Positionen verabschieden und stattdessen in eigenes Wissen investieren. Wir müssen lernen, Komplexität zu erschließen und Zusammenhänge herzustellen. Was so entsteht, sind keine intellektuellen Konstruktionen, sondern Bausteine sozialer Gemeinschaft.“ Wolf Lotter ermutigt zu einem neuen Selbstbewusstsein und zu konsequentem Umdenken. Das geht, in dem wir uns Zusammenhänge erschließen und uns selbst den Zusammenhängen öffnen. „Die Wissensgesellschaft ermöglicht uns das, wonach wir uns sehnen, nämlich die Möglichkeit, uns zu unterscheiden, ohne die Welt und die anderen als Feind wahrzunehmen. Jeder kann sein, der er ist, jede darf werden, was sie sein möchte – und in ebendieser Verschiedenheit mit der Welt verbunden.“

Solche Sachen schreibt der gute Wolf auf, in seinem Buch, das ich in Summe auch als Plädoyer für einen neuen Humanismus gelesen habe. Am Ende von „Zusammenhänge“ zitiert er fast konsequent den Poeten, Naturwissenschafter und Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg: „Er konnte einen Gedanken, den jedermann für einfach hielt, in sieben andere spalten wie das Prisma das Sonnenlicht, wovon einer immer schöner war als der andere, und dann einmal eine Menge anderer sammeln und Sonnenweiße hervorbringen, wo andere nichts als bunte Verwirrung sahen.“ 

Ja, so schön kann man das sagen, und wenn ich es mir aussuchen darf, dann finde ich unsere Welt ist neuer und schöner, wenn wir öfter in Lichtenberg Schriften lesen dürfen als wir in den Büchern von Aldous Huxley lesen müssen. Deshalb empfehle ich – für den Übergang – in „Zusammenhänge“ von Wolf Lotter zu schmökern und nächsten Dienstag deine Ohrenspitzen in meinen Podcast zu stecken. Das ist die perfekte Möglichkeit, unser Gespräch zu hören, für das er sich die Zeit genommen hat. Tatsächlich ist das nicht nur die perfekte, sondern die einzige Möglichkeit. Am besten, du abonnierst mein Podcästchen in deinem Lieblingsplayer, dann versäumst du auch in Zukunft nix.

Bald, nachdem wir als Vorgänger-Modell des Menschen aus dem Meer gekrochen sind, haben wir begonnen, uns den Sinn unseres Daseins mit Geschichten unterschiedlichster Form zu erklären: mit Mythen, Sagen, Religionen, Erzählungen von Werten, Moral und Tugend. Wir haben uns damit in der Rückschau Zusammenhänge verständlich gemacht und darauf unsere Zukunft ausgemalt. Und wenn es dann anders gekommen ist, haben wir neue Geschichten darüber erzählt und geteilt, und das werden wir auch in Zukunft tun. Lasst uns also eine neue Geschichte in die Welt bringen, eine Geschichte der Verbundenheit, denn nur die sichert unsere Zukunft. 

Das meinte meine Großmutter, die alte Story Dudette, als sie Aldous Huxley ein Zettelchen unter der Türe seiner Schreibstube durchschob, auf dem zu lesen stand: „No Story. No Glory.“ 

"No Story. No Glory."

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P.S.: Weitere Artikel rund um Storys & Brands findest du im Blog von Markus Gull.

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