Es gibt nichts Gutes, außer you do it.
Die aktuelle Nike-Kampagne bietet allerlei Anschauungsmaterial zum Themenfächer Erich Kästner, Testimonials, Brandstory, Purpose, Authentizität und Eier – unter besonderer Berücksichtigung der vom Aussterben bedrohten aus Stahl gefertigten Sorte, häufig auch als Cojones gepriesen.
Lasst uns des akademischen Versuches halber davon ausgehen, dass Nike es ernst meint mit seinen gesellschaftlichen Verantwortungen und bereits bei der Herstellung der Produkte sich besser benimmt, als jeder dahergelaufene Saubattl, also keine asiatischen Näherinnen ausbeutet, keine Kinder arbeiten lässt, bei Rohstoffen zimperlich ist und so. Lasst uns davon ausgehen, dass alles was man halt auch so liest ganz einfach nicht stimmt, sondern die Nike Initiativen tatsächlich zu einer besseren Welt beitragen, und im Sinne der Nachhaltigkeit jährlich nicht mehr Turnschuhe vom Baum geschüttelt werden als wieder nachwachsen.
Der Claim Just do it ist seit 30 Jahren die zentrale Markenbotschaft von Nike und längst Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs. Just do it dient dem Sportartikelhersteller und seiner Fangemeinde als Schlachtruf für den Kampf um den Glauben an sich selbst, egal, welche Ziele man verfolgt.
Ob du in einem Gitterkäfig im gefährlichsten Viertel der Stadt mit deinen Homies kickst und von einem besseren Leben träumst, das mit einem Sieg bei der Fußball-WM erfüllt wird – fang an, glaub dran, bleib dran: just do it. Ob du endlich deinen inneren Schweinehund bezwingen und mit dem Joggen beginnen willst – geh mal zehn Minuten etwas zügiger aber fang an, glaub dran, bleib dran: just do it.
Wir kaufen keine Produkte, wir kaufen das, was wir sein wollen. Und wir alle wollen Teil von etwas sein, das größer ist als wir sind und dadurch ein wenig größer werden als wir sind. Oder wenigstens so scheinen …
Bei Nike kaufen wir vor allem die Hoffnung auf mehr Selbstwertgefühl. Deshalb ist Nike zwar faktisch im Sportartikel-Business, in Tat und Wahrheit allerdings im Enhancement-Business. Nike, die Siegesgöttin, bezwingt im konkreten Fall den stärksten Gegner allen Erfolges, der sich bekanntlich in einem selbst verschanzt und nur darauf lauert, uns vom ersten Schritt abzuhalten und beim nächsten ein Bein zu stellen. Unsere Beschwörungsformel aber lautet: Just do it.
Dass man in dieser Branche und mit dieser Botschaft in der Kommunikation positive Vorbilder zu Markenbotschaftern und Trägern der Kampagnen macht, liegt nahe – zur Steigerung von Aufmerksamkeit und Begehrlichkeit vorzugsweise Celebrity Testimonials.
Jeder, der einmal mit dieser Methodik arbeitete, kennt die Einwände- und Fragenlawine, die sich – kaum spricht man die Idee aus – augenblicklich Bahn bricht. Die Top Ten lesen sich so:
- A-Lister kosten so viel Geld, verkaufen wir deshalb mehr Turnhosen?
- Sollen wir nicht jemand nehmen, der billiger ist, auch wenn er nicht so bekannt ist?
- Ist die/der allen Lebewesen auf Erden sympathisch?
- Kommt er/sie bei Frauen an?
- Kommt sie/er bei Männern an?
- Kommt er/sie bei Kindern, Alten, Jungen an?
- Echte Menschen polarisieren doch – Promis noch mehr, oder?
- Was ist, wenn sie/er plötzlich keinen Erfolg mehr hat, oder einen Unfall, oder stirbt?
- Was tun wir, wenn er/sie etwas Bescheuertes twittert?
- Und was machen wir, wenn sie/er plötzlich in Doping-Verdacht gerät, einen Skandal auslöst, säuft, Drogen nimmt, ein Escort-Girl würgt, am Grundstück seines Nachbarn verhaftet wird – sich also so benimmt Jan Ullrich?
Antworten auf die ersten sieben Fragen sparen wir uns hier, allerdings sind 8, 9 und 10 Umstände, mit denen man sich beschäftigen muss, weil sie nahezu unkontrollierbaren Einfluss auf die Marke und ihre Beziehung mit ihrem Publikum haben können.
Wie gehst Du als Unternehmen mit Problemen um? Das sagt eine Menge über die Identität einer Marke aus.
Wie verhält sich Mercedes in der Mesut Özil-Geschichte und was wird am Ende der Vertragslaufzeit gesagt & getan?
Wie loyal ist eine Marke, wenn ihr Markenbotschafter-Sportstar wegen eines Unfalls aus dem Rennen ist und vielleicht nie mehr zurückkommt? Die österreichische Raiffeisen hat im Jahr 2001 mit Hermann Maier nach dessen Motorrad-Unfall sogar einen eigenen Film unter dem Titel „Stille Siege” produziert und damit einen Kernwert der Marke aktiviert: „Auch wenn es dir schlecht geht, wir halten zusammen und lassen dich nicht im Stich.”
Und jetzt zeigt also Nike, mit offenem Visier zum Just do it-Jubiläum mit einer neuen Kampagne auf, die die Markenbotschaft vom sportlichen Leistungsgedanken in die gesellschaftspolitische Diskussion verlängert und Diversity und Equality zum Inhalt hat.
Vor zwei Jahren schickte der Quaterback der San Francisco 49ers Colin Kaepernick mit seinem Kniefall und erhobenen Fäusten beim Abspielen der amerikanischen Hymne ein Protestsignal gegen Polizeibrutalität und Rassenungleichheiten in die Welt, viele andere Sportler folgten seinem Vorbild.
Schön, dass Erich Kästner recht behielt: „Wer wagt es, sich den donnernden Zügen entgegenzustellen? Die kleinen Blumen zwischen den Eisenbahnschwellen.“ Manchmal sehen kleine Blumen eben aus wie riesengroße Football-Spieler.
Nicht jeder ist ein Freund von Blumen. Kaepernick hat nun kein Team mehr, steht im Clinch mit der NFL und der Quaterback des Wahnsinns Donald Trump reagierte ausnahmsweise einmal so wie man es von ihm erwarte: wie ein donnernder Zug, der mit massiven Beschimpfungen beladen wurde.
Nike marschiert nun vorwärts. „Glaube an etwas. Auch wenn das bedeutet, dass du alles opferst.“, twittert Kaepernick den Satz, der auf den aktuellen Printsujets zu lesen steht. Der Marken-Vizepräsident von Nike Nordamerika, Gino Fisanotti, sagte: „Wir glauben, Colin ist einer der inspirierendsten Sportler seiner Generation, der die Plattform Sport dazu nutzte, um die Welt zu verbessern.”
Oder, wie es Erich Kästner formulierte: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es …”
Dass man bei Nike nicht wusste, was an Gegenreaktionen zu erwarten wäre, darf man ausschließen. Denn, dass man in unseren Breiten alles was Trump & Co. posaunen mehrheitlich als irre einstuft, ist eine Sache. In den USA sehen viele die Welt anders als wir, nämlich so wie Trump. Und man verbrennt dort – nicht nur in Ermangelung von griffbereiten Büchern – Nike-Schuhe.
Und jetzt tut’s weh: Nikes Aktienkurs fällt.
Glaube an etwas. Auch wenn das bedeutet, dass du alles opferst. Das braucht Mut. Was dir etwas wert ist, zeigt sich in unserer Gesellschaft ganz deutlich darin, wofür du bereit bist, Geld auszugeben. Oder zu verlieren, auch in Form von Börsenwert.
Mut fordert als Konsequenz meist auch Tapferkeit. Und Konsequenz.
Sonst stellt sich rasch eine weitere Frage ein: Meint ihr das wirklich ernst? Ist euch das ein authentisches Anliegen?
Der auf die Printsujets folgende, berührende Film mit Colin Kaepernick ist mit großer Meisterschaft exzellent gemacht, auch wenn wir ihn unter anderem von Apple (Think different) und Samsung (Do what you can’t) bereits kennen. Bei aller bewegender Emotionalität und Stärke der Botschaft Dream crazy ist der Film am Ende dennoch harmlos. Kein Schritt nach vor, sondern einer zurück in die hintere Deckung.
Colin Kaepernick kniet sich mutig hin und steht damit auf, riskiert nicht nur Geld, sondern dass, was er liebt, seinen Sport. Nike hat als Marke weniger Mut als ihr Markenbotschafter. Die Defense läuft auf, der Quaterback hat Pause.
Schade.
Für Nike könnten ROI und ROE – also der Return of Involvement und Return of Engagement alles an Verlusten mehr als wett machen, wenn man nun begänne, ein Stück tiefer in die Angelegenheit einzusteigen als nur Statements zu plakatieren, seinem eigenen Mantra also gerecht wird, und so die Fanbase nachhaltig erweitert. Zum Beispiel mit dem aktiven Start von Diversity- und Integrationsprogrammen, genau dort wo’s weh tut und nötig ist, im eigenen Wirkungsbereich etwa, und dann darüber hinaus. So wie wir das von Ben & Jerry’s, Always und Patagonia kennen. – Just do it, eben.
Gesellschaftspolitisches Engagement ist für Marken eine hoch riskante Sache. Vor allem dann, wenn auch noch Corporate-Blödheit dazu kommt, kann das sowas von nach hinten los gehen. Wir erinnern uns mit leichtem Hirnschmerz an die Pepsi X Kendall Jenner–Einlage und ähnliche Fehlschläge.
Wer sich darauf einlässt, der möge sich bitte in aller Stille und Ehrlichkeit folgende Fragen beatworten:
- Geht es mir um einen Marketing-Spin oder um ein authentisches Anliegen. Würde ich mich auch dafür stark machen, ohne dass es meiner Marke Werbenutzen bringt?
- Liefert der Purpose einen Beitrag zum Nutzen des Publikums und der Gesellschaft?
- Aktiviert meine Kampagne das Publikum?
Wenn du auch nur eine der Fragen mit „Nein” beantwortest, lass die Finger davon.
Wenn du alle drei Fragen mit „Ja!” beantworten kannst, dann gibt es noch die nicht unwesentliche Kontrollfrage:
- Woraus sind meine Cojones gebaut?
Hier wäre „Aus Stahl!” die richtige Antwort.
Wenn dem so ist, dann gibt es hier eine gute Nachricht: Du hast eine Story!
Der Brand Purpose ist das mächtig schlagende Herz einer authentischen Marke. Das muss bitte definitiv nicht immer ein gesellschaftliches Anliegen sein, aber in jedem Fall authentisch. Sonst verbreitest du nur den Lärm vor der Niederlage.
Unternehmen und ihre Marken können in ihrer Kommunikation eine enorme Kraft entwickeln, wie wir alle wissen und im täglichen Share of Noise, den Adverstalking verbreitet, leidvoll wissen. Mit dieser Kraft kann man den Menschen unter Einsatz vieler Milliarden an Werbespendings – excuse my French – ins Hirn scheißen, oder sie gemeinsam zu etwas bewegen, was nicht nur gut ist, sondern gut für etwas. Für uns alle, zum Beispiel.
Wir kaufen keine Produkte, wir kaufen das, was wir sein wollen. Und wir alle wollen Teil von etwas sein, das größer ist als wir sind und dadurch ein wenig größer werden als wir sind. Und am besten nicht nur so scheinen …
Die Welt braucht Menschen, die mit und durch ihre Storys inspirieren und in unseren verstörenden Zeiten Orientierung geben. Unternehmen und Marken haben die Kraft und Verantwortung dafür. Die Kraft entsteht durch das Teilen gemeinsamer Werte. Stoysharing statt Storytelling ist der Dreiklang, auf dem die Partitur errichtet wird, die unsere Instrumente zum Klingen bringen. Instrument, nicht instrumentalisieren – sonst entsteht nicht Resonanz, sondern der zynische Pfeifton namens Zynnitus.
Da fällt mir noch mal Erich Kästner ein: „Dass wir wieder werden wie Kinder, ist eine unerfüllbare Forderung. Aber wir können zu verhüten versuchen, dass die Kinder so werden wie wir.” Und auch, dass Marcel Reich-Ranicki einst Kästner als Deutschlands hoffnungsvollsten Pessimisten bezeichnete …
Die Prinzipien von Story sind sehr einfach und universell gültig, über Generationen und Kulturen hinweg. Die Umsetzung dieser Prinzipien ist verdammt schwierig, durchaus riskant, arbeitsreich und wird nicht von heute auf morgen Wirkung zeigen, wie es eine kurzfristige Preispromotion tut. Tatsächlich ist dieser Weg aber, davon bin ich fest überzeugt, der einzige, den Marken in unserer völlig veränderten Medienwelt gehen können, wenn sie überleben wollen. Der Lohn wird reich sein und oft in Erfüllung erlebt.
Wenn du also nicht nur über den Preis reden, sondern respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann involviere die Menschen mit einer für euch beiden relevanten Story. So macht man das heute, jenseits von Werbung.
Deshalb schrieb meine Großmutter, die alte Story Dudette, am 35. Mai an die Tafel des fliegenden Klassenzimmers: „No Story. No Glory.”