Geh leck!
Wie hast Du den Earth Overshoot Day verbracht? Mit schwitzen, nehme ich an.
Per 1. August, dem Welt-Erschöpfungstag, haben wir heuer weltweit die Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres erneuern kann, aufgebraucht. Die Menschheit lebt bis Ende des Jahres auf Öko-Pump. Die Menschheit, das sind übrigens unter anderem wir beide …
In Österreich waren wir ausnahmsweise einmal ein bisschen schneller als andere, wir hatten das Thema bereits am 15. April erledigt. Die Freunde aus Deutschland ließen es sich noch bis 2. Mai gut gehen, die Schweizer bis zum 7. Mai, die USA hatten ihre Ressourcen bereits am 15. März verputzt. Jeder tut ebenso schnell wie er kann.
So gesehen passt es ja ganz gut dazu, dass uns dank einer amtlichen Hitzewelle derzeit der Schweiß literweise waagrecht aus den Poren spritzt. Falls du dieser Tage jemandem die Hand schütteln willst, stehen die Chance gut, dass deine Pfote gleich bis unter die Achsel weiter rutscht. Hurra!
Dem Österreicher entweicht angesichts solcher Umstände gerne ein herzhaftes „Geh leck!”, was ins Bundesdeutsche mit „Och menno!” übersetzt werden kann, bzw. ins Amerikanische mit: „Fuck a duck!”
Wer sich wirklich auskennt, kühlt sich mit warmem Tee ab. Wir anderen gehen lieber Eislecken.
Unternehmen ohne Sinn sind sinnlos.Uns Story Insidern schmeckt das von Ben & Jerry’s besonders gut, weil wir wissen: Niemand kauft Produkte, sondern das, was er sein will und hat gerne Produkte, die mehr können als nur – wie im gegenständlichen Fall – kalt sein und gut schmecken. Bedeutung heißt das Zauberwort.
Das funktioniert dann besonders gut, wenn die Bedeutung nicht als anhübschende Garnierung drübergestreut wird, sondern tief und fest mit dem Unternehmen verwurzelt ist, am besten im Gründungstraum. Dann ist die Bedeutung echt, authentisch und glaubwürdig, und kann also mit allem Respekt vor dem Publikum nachhaltig wirksam sein. Ich denke, dass man in Wahrheit erst dann von einer echten Marke sprechen kann. Alle Kombinationen von Produkten, Kommunikation und Werbeg’schichten erzeugen ja bestenfalls den Eindruck einer Marke. Das mag durchaus Erfolge zeitigen, das zeigen ja die letzten 150 Jahre, doch solide ist das nicht mehr heutzutage.
Vor 40 Jahren – so weiß es die Legende – gründeten die beiden eingetragenen Hippies Ben Cohen & Jerry Greenfield in einer aufgelassenen Tankstelle in Vermont ihre Eisbude, weil sie außer der Verbreitung von Love & Peace nicht wirklich viel mit ihrem Tag anzufangen wussten. Nach drei Jahren bemerkte Ben Cohen allerdings, dass sich aus seiner Arbeit nicht nur kein Sinn einstellte, im Gegenteil. Er hatte sich in etwas verwandelt, was er zutiefst ablehnte: Er war ein Business Man geworden.
Was fehlte, war die Story, also der Sinn – für das Unternehmen Ben & Jerry’s ebenso wie für die Gründer selbst. Die beiden waren knapp davor, das Unternehmen zu verkaufen, als ihnen ein Freund und Mentor riet: „Wenn es euch nicht passt, wie die Business-Welt funktioniert, dann ändert doch mal die Art wie ihr euer eigenes Business führt.” Ein epihanischer Moment für Ben Cohen!
„Zwei Kugeln Bedeutung, bitte!”Seit damals entstand mit Ben & Jerry’s eine Company, die in Sachen gesellschaftliches Engagement rund um Ökologie, Frieden, Fairness etc. beispielgebend ist. Authentisch, glaubwürdig, kämpferisch und mit viel Spaß, ganz ohne verzopften Weltverbesserungs-Mief. Und vor allem auch ohne superpeinlichen Pepsi & Kendall Jenner-Irrwitz.
Die Ben & Jerry’s-Story macht gute Laune und passt sehr ins Lebensmodell von Menschen, die Eis essen, anstatt warmen Tee zu trinken. Herrlich! Das ist die Zauberformel: Bedeutung + Beziehung = Begeisterung.
So wird aus oberflächlichem Storytelling wirksames Storysharing: Marke und Publikum teilen eine gemeinsame Sehnsucht. Am Anfang steht sau-köstliches Eis. Das essen die Leute gerne. Mit jedem Becher Ben & Jerry’s kaufen sie allerdings eine große Portion „So will ich sein”-mit und löffeln sie mit Genuss. Und teilen die Story weiter, weil sie so über sich erzählen kann.
Das änderte sich auch nicht, als Ben & Jerry’s vor einigen Jahren an Unilever verkauft wurde und sich die Gründer aus dem operativen Tagesgeschäft zurückzogen, aber nach wie vor als Gesichter nach Außen und Mentoren der Marke mitmischen. Mittlerweile beschäftigen Ben & Jerry’s mit Chris Miller einen Activism Manager, damit das Engagement der Marke weiter ausgebaut werden kann.
Das Vorbild Ben & Jerry’s dürfte auch im Hause Unilever einiges an Positivem ausgelöst haben. Dort war ja mit Dove bereits eine Marke zuhause, die ebenfalls bei ihrem Marketing neue Wege in Richtung Brand with Purpose ging. Die Erkenntnis, dass sich eine ernsthafte und ernst gemeinte Kommunikation, verbunden mit der entsprechenden Haltung durchaus positiv auf das Geschäftsergebnis auswirkt führte dazu, dass man sich im Konzern insgesamt, angeführt vom Marketing-Honcho Keith Weed massiv umorientieren will.
Das macht aus einem Konzern keine Gemeinschaft von Heiligen, bewegt aber jedenfalls viel in eine positive Richtung was die Art des Business und die Art der Kommunikation betrifft gleichermaßen.
Geh lies!Eis kann man auch lesen, gerade jetzt in der Urlaubszeit. Weil’s so schön passt empfehle ich hiermit das aktuellste Werk von Andrea De Carlo, seit vielen Jahren einer meiner Lieblingsautoren. „Ein fast perfektes Wunder” wird dir großes Lesevergnügen bereiten* – am besten im Schatten, eine Tasse warmen Tee in Griffweite. Die Geschichte handelt von … hm … vom Zauber der Leidenschaft(en), vom Ruf der inneren Stimme und von – das Cover der italienischen Originalausgabe deutet es an …
Aus „Muh!” wird „Wow!”
Wenn wir schon beim Thema sind: Seit einigen Jahren gibt es den Eis Greissler in Österreich. Der Eis Greissler wurde von einer niederösterreichischen Bauernfamilie gegründet, weil man als Lieferant von Bio-Schulmilch des Sommers naturgemäß beim Absatz ihres weißen Goldes auf enge Grenzen stieß. Also kreierten die Blochbergers regionales, saisonales Eis in klassischen und ganz ungewöhnlichen Sorten. Mittlerweile beschäftigen sie 150 MitarbeiterInnen und haben ein wirklich beeindruckendes Unternehmen auf die Beine gestellt, das mit liebevollem Corporate-Design, einigen Geschäften und einem Besuchsprogramm in der Manufaktur strahlend glänzt. Die Schulkinder der Region müssen vermutlich Cola trinken.
Das erste Geschäft sperrten die klugen Leute direkt neben meinem Büro auf, was dazu führte, dass ich alleine den Eis Greissler-Deckungsbeitrag erfressen habe und ich empfehle dringend Allen, die es noch nicht tun, diese Köstlichkeiten von einem anderen Stern zu beheben. Geduld ist angesagt, denn in aller Regel stehen die Menschen Schlange vor dem Geschäft … Mehr über diese Geschichte gibt’s hier zu hören
Was die Brandstory betrifft, hat der Eis-Greissler noch eine Menge ungenutztes Potenzial vor sich, also jede Möglichkeit für eine spannende Zukunft mit facettenreichem Storysharing, damit die Marke über ihre Bedeutung nicht nur am Gaumen, sondern auch in den Herzen der Menschen fest anwächst.
Story ist eine Frage der Haltung und eine unverzichtbare Notwendigkeit für erfolgreiche Kommunikation sowieso, aber für ein erfolgreiches Unternehmen, für den Bestand einer Marke ebenso. Wer es schafft, rund um die Werte seiner Marke ein Movement aufzubauen, der ist ganz, ganz weit vorne. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies die beste Methode für zeitgemäße Marketingkommunikation ist. Mit jedem Werbeblock, den ich im Fernsehen sehe oder im Radio höre verdichtet sich diese Überzeugung zur diamantenharten Gewissheit.
Und nur damit es keine Missverständnisse gibt: Bei Bedeutung und Movement muss es nicht unbedingt um Ökothemen, Baum-Umarmungen und die Rettung der Menschheit gehen. Diese Themenwelt bietet sich oft an und ist für manche Produkte durchaus naheliegend, aber vielleicht gerade aus diesem Grund verkehrt. Oft werden diejenigen am reichsten belohnt, die beherzt gegen den Strich bürsten. Amen.
Egal ob Weltkonzern, KMU oder EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat eine Story und steht für etwas. Oder für nichts, denn man kann nicht keine Story haben. Im schlimmsten – und durchaus häufigen – Fall bleibt dann allerdings nur noch ein einziges Thema: der Preis.
Deshalb rief auch meine Großmutter, die alte Story Dudette, die dafür bekannt war, zwar ihren Erfahrungsschatz gerne, keinesfalls aber ihr Eis zu teilen: „No Story. No Glory.”
__________________________
*) Der Link zu Amazon ist übrigens als Service zum Weiterschnüffeln gedacht und dafür, falls du sofort deinen Kindle füttern willst. Jeder stationäre Buchhändler freut sich über einen Einkauf und besorgt jedes Buch von Andrea De Carlo im Handumdrehen – mitunter wird die Hand halt zwei- oder dreimal umgedreht … Die Belohnung dafür: Bei einem Besuch in der Buchhandlung gibt es immer wieder vieles zu entdecken, und auch ich freue mich über einschlägige Tipps – nicht nur aus der Sach- & Fachbuch-Ecke, sondern ganz ausdrücklich auch aus der Belletristik.
Bildhinweise:
Titelbild: depositphotos.com
Collage: Giunti Editore, andreadecarlo.com
Eis: Blochberger Eisproduktion GmbH
Weitere Artikel rund um Storys & Brands finden Sie im Blog The Story Dude.