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Hurra, Zwillinge!

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Erstellt von Markus Gull on 16/03/2018

Hurra, Zwillinge!

Jeder ABC-Schütze in der Marketing-Volksschule lernt bereits am ersten Tag seiner Laufbahn, woraus das gepflegte Marketing-Glückskleeblatt besteht: Product, Price, Place, Promotion. Wer an einem zupft, verändert alles.

Das war einmal. Der Marketingkreis hat nämlich Zuwachs bekommen, und zwar: Hurra, Zwillinge! Und das verändert alles.

Ja, das alte absatzwirtschaftliche Herrschaftsdenken hält sich nach wie vor in den Köpfen, Lehrbüchern und Marketingstuben, denn was wir kennen, das machen wir immer und immer wieder, bis einer weint. Selbst dann, wenn mittlerweile auch die, die's nicht zugeben, spüren, dass irgendwas irgendwie überhaupt nicht mehr funktioniert.

Alles bleibt anders.

Die Menschen machen nicht mehr, was wir wollen – also kaufen, nachdem sie Werbung gesehen haben. Vermutlich auch deshalb, weil sie keine Werbung gesehen haben und ihnen die Werbung, die sie gesehen haben, in den allermeisten und in den besten Fällen am Arsch vorbei geht.

Ich habe in einer internationalen Studie gelesen, dass die so genannten Konsumenten rund 74 Prozent aller Marken als überflüssig betrachten. Wenn man bedenkt, dass jährlich über 570 Milliarden Dollar allein in Werbe-Spendings investiert werden, manche sagen, es sei sogar das Doppelte, dann sollten wir mal drüber nachdenken, ob das, was wir tun, so absolut richtig ist, wie es behauptet wird. Und wie es vermutlich auch mal war, damals, als William Procter & James Gamble noch eigenhändig mit dem Marketing-Pflug Furchen in den taufrischen Konsum-Acker zogen.

Product, Price, Place, Promotion. Kauf mich!

Die Welt hat uns ein paar Mal verdreht, seit damals, und nun stehen wir manchmal mit dem Rücken zur Wand, sehen aber gleichzeitig einiges ziemlich deutlich, und das nicht erst seit heute.

Die Endverbraucher oder Konsumenten (fka Menschen) sind überhaupt nicht konsumfeindlich geworden. Allerdings taugt Konsum deutlich weniger zum Betäubungsmittel als es schon mal der Fall war. Dennoch googeln (fka suchen) die Menschen unentwegt nach Produkten, Marken, Tests und Nutzerberichten. Und sie reden, posten und schreiben darüber – bewerten, unboxen und empfehlen, bzw. empfehlen nicht.

Content ist King. Und Queen.

Die meisten Menschen wünschen sich sogar Brand Content und suchen danach, sagen aber gleichzeitig, dass 60 Prozent des gebotenen Content für sie völlig wertlos ist. Hoppla, da tut sich eine Marktlücke schluchtartigen Ausmaßes auf, liebe Kollegenschaft aus der Agenturwelt. Allerdings ganz ausdrücklich jenseits von Werbung.

Denn heute gilt noch mehr als gestern: Wir kaufen keine Produkte, wir kaufen das, was wir sein wollen. Oder andersrum: Wir kaufen etwas nicht, weil wir was sein wollen. Veganer zum Beispiel, drum kaufen wir kein Fleisch. Verzichten können wir uns leisten, seht uns an, wir sind gut – oh ja …

Nur Bedeutung hat Bedeutung.

Mit dem Kauf geben wir einer Marke Bedeutung und nehmen ihre Bedeutung an. Vorausgesetzt, eine Marke hat überhaupt Bedeutung. Das sollte sie nämlich unbedingt. Sonst kaufen wir sie nicht, sondern eine, die eine für uns relevante Bedeutung hat. Die ist dann nämlich made for me.

Wir sinnsuchenden Lebewesen wollen Bedeutung haben. Wir suchen danach, in allem, was wir tun, denn damit finden wir hoffentlich irgendwann heraus, wer wir sind. Wir definieren uns ja längst nicht mehr nur über unsere Herkunft, Religion, Überzeugungen, Werte, Geschlecht, Rasse etc., sondern oft und immer wieder darüber, was wir kaufen. Und trotzdem nennt man das Zivilisation.

Wir Menschen wollen Bedeutung in unseren Käufen und zwar so ausdrücklich, dass seit über zehn Jahren weltweit gemessen wird, dass Marken mit Bedeutung wirtschaftlich massiv erfolgreicher sind als solche, die keine Bedeutung haben. Deutlich bessere KPIs und deutlich höherer Share of Wallet. In den letzten zehn Jahren haben Marken mit Bedeutung die anderen an der Börse um 206 Prozent übertroffen. Das ist richtig Geld.

Noch deutlicher: Unilever wurde nicht zum Bäumeumarmen erfunden, sondern damit die Kasse klingelt. Dort hat man vor Längerem erkannt, dass ihre beiden Marken mit Bedeutung – Dove und Ben & Jerry's – doppelt so schnell wachsen wie die anderen. Deshalb gab Unilevers Global Marketing-Honcho Keith Weed bereits 2016 die Devise aus, jede Marke im Portfolio möge einen Purpose entwickeln. Meine Hoffnung, das wird anständig gemacht und nicht mit dem Purpose-Washing-Shampoo, begleitet dieses kluge Ansinnen.

People, Purpose, Profit.

Und einer der Großmeister des Geldproduzierens, Laurence D. Fink, der als CEO von BlackRock ein Investmentkapital von satten sechs Trillionen Dollar am Tisch hat, schrieb kürzlich in einem offenen Brief an die Wirtschaftswelt: „Contribute to society, or risk losing our support …”

Damit ist das Thema offenbar endgültig dort angekommen, wo es hingehört. Wenn die Geldjungs verstanden haben, was los ist, sollten wir Kommunikations-Leute alles tun, was zu tun ist. Also alles.

Ein Brand Purpose zielt prinzipiell nicht auf die Profit-Maximierung ab, ist aber dennoch der beste – und einzige – profunde Weg dorthin. Und wer ins Herz seines Publikums will, hat sowieso keine andere Möglichkeit.

Zuerst zeichnen wir uns den Marketingkreis neu, mit Zwillingszuwachs. Zu Product, Price, Place und Promotion sind People und Purpose gekommen, um zu bleiben. Denn eine kraftvolle, auf gemeinsame Werte von Marke und Publikum gebaute Brandstory wächst, nährt die Individualität des Einzelnen und verbindet alle zu einer starken Gruppe und hält ewig.

 

 

Und ab sofort denken und machen wir alles neu. Ja, wir machen es NEU, nicht nur anders. Veränderung ist zu wenig. Was vorgestern richtig war und bis gestern erfolgreich, wird uns morgen nichts mehr nützen, denn spätestens seit Albert Einstein wissen wir: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.”

 

Brandstory, Bedeutung und Beziehung sind übrigens keine Frage der Unternehmensgröße, sondern eine Frage der Haltung und eine unverzichtbare Notwendigkeit für erfolgreiche Kommunikation. Egal ob Weltkonzern, KMU oder EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat ein Image, irgendeine Story, steht für etwas, und sei es für nichts.

Wenn du also nicht nur über den Preis reden, sondern respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann involviere die Menschen mit einem für euch beiden relevanten Purpose und zuerst die, die am nächsten beim Unternehmen stehen.

Allen, die sagen: „Bei meiner Marke geht das nicht!” sei das gesagt, was meine Großmutter, die alte Story Dudette, bereits dem kleinen William Procter und seinem Spielgefährten James Gamble mit heißer Nadel in die Kuscheldecken stickte: „No Story. No Glory.”

 

Weitere Artikel rund um Storys & Brands finden Sie im Blog The Story Dude.

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