Nachrichten aus meiner Folterkammer.
Es ist lange her – nein: verdammt lange! –, als ich mit der Arbeit an meinem Story-Buch begann. Es ist noch nicht fertig.
Dieses Buch wird aber dann einmal, an seinem Geburtstag, nicht ein Buch sein, sondern einige Bücher gleichzeitig. Das eine nämlich, das du hoffentlich wirklich bald in Händen hältst, und dazu der ganze Stapel ungeschriebener Bücher darunter. Einige davon habe ich begonnen und nicht fertiggestellt, einige hingen in meinem Kopf, wollten aber nicht ins Herz und dann selbstverständlich auch nicht aufs Papier. Manche sind einfach aus dem Ruder gelaufen und treiben jetzt ohne Steuermann hoffnungsleer wie Seelenverkäufer am uferlosen Datenmeer des Servers.
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Zwischenzeitlich habe ich sogar ein ganz anderes rausgebracht.
Mittlerweile gedenke ich fast stündlich des Schriftstellers Maximilan Glanz aus der Fernsehserie „Der ganz normale Wahnsinn“ und seines unvollendeten Werkes „Woran es liegt, dass sich der Einzelne nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen so gut geht“. Zwei auch in mancherlei anderer Hinsichten bis zum heutigen Tag programmatische Titel, fürwahr!
Jeder, der meine Arbeit am Buch, das es noch nicht gibt, in irgendeiner Form mitverfolgt, wird gleich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wetten? Letzten Dienstag habe ich wieder von vorne angefangen. Na, was hab’ ich gesagt.Was für eine Qual, meine Güte! Ich habe nicht gezählt, wie oft ich nun schon damit begonnen und jeden dieser Versuche dann doch wieder verworfen habe. Manche davon waren sogar bereits ein ziemlich weites Stückel über „begonnen“ hinaus.
So etwas ist mir noch nie zuvor passiert, obwohl ich mich schon oft und mit vielen meiner Schreibereien ziemlich plagen musste. Aber die Mühe gehört dazu, das ist der Prozess, die Arbeit selbst. Obwohl man weiß, dass dies unabdingbarer Teil der Übung ist, gibt es Phasen, da bist du überzeugt, es betrifft nur dich, den größten Deppen auf Erden, der einfach nichts kann. Alles Gelungene zuvor war Zufall.
Vielleicht stimmt das ja alles? Schließlich kann man gleichzeitig Flöhe, Läuse und Geburtstag haben.
So viel ist jedenfalls amtlich: diesmal plage ich mich besonders.
Story heißt VerwandlungWarum ich dir das erzähle? Weil es ganz wesentlich mit einer der ursprünglichen Verständnisquellen dieses Buches (das es noch nicht gibt) und von Story zu tun hat und also mit dem, was du dir dann herausschöpfen können wirst.
Lass uns hier eine schneidige Abkürzung durch die ungeschriebenen Bücher nehmen und mich dir sagen, was das fertiggestellte definitv nicht sein wird. Das weiß ich nämlich schon. Es wird:
1. kein Buch über Storytelling. Sicher nicht! Derlei Anleitungen gibt’s bereits zur Genüge, sogar einige sehr gute.
2. kein Buch über Dramaturgie, über den nächsten Clou in Sachen mediale Wirksamkeit oder dergleichen mehr.
3. kein Buch über den honigklebrigen süßen Zauberstaub von Literatur, Filmen oder Theater, selbst wenn sie uns stets genüßlich begleiten, diese vielen wunderbaren Geschichten über Menschen und ihre Verwandlung in … ja: in was?
Und eben das wird es: ein Buch über Verwandlung. Über eine Verwandlung, die ansteht, die in vielen, vielen von uns drückt und drängt und fordert und so vieles von dem, was hier und heute und längst schon schiefläuft, endlich auflösen will: in einer neuen Geschichte, in einer New Story.
Der Verwandlungsschmerz war es dann auch, was mich immer wieder gleichermaßen zurückhielt und trieb, während ich an diesem zähen Ding knabberte, bis es mich fast mürbe ritt.
Ich bemerkte nämlich an mir selbst eine substanzielle Verwandlung.
Mit jedem Blogartikel, den ich verfasste, mit jedem Podcastgespräch, das ich führte, mit jedem Workshop und mit jeder Keynote verschob sich mein Themen-Fokus mehr und mehr. Trug ich ursprünglich meinem Nome de Guerre The Story Dude pflichtschuldigst Rechnung und legte den Schwerpunkt meiner Arbeit stets auf Story wie sie im besten, im seltenen Fall unter Storytelling verstanden wird, also auf die geheimnisvollen Hintergründe und die hohe Kunst des Erzählens, auf die magisch-magnetische Kraft von Geschichten und wie wir sie für unsere mannigfaltigen Aufgaben genauso mannigfaltig nützen können, so verschob ich, verschob sich meine Perspektive zusehends auf den Nukleus von Story im essenziellen Sinn. Also auf ihre mythologischen Ursprünge, die dort zu finden sind, wo wir Menschen uns als – nun ja: als Menschen definieren. Oder versuchen uns dort zu finden. Dort wo wir in uns selbst angewachsen sind, wo sich in uns etwas bewegt.
Immer öfter ging es folglich in meinen Coachings für Unternehmen, Marken, NGOs, Manager und Gründerinnen um diesen Aspekt, und das, was dahinter steckt, was tief drinnen brodelt.
Jedesmal dasselbe: kaum hatten wir begonnen, über die geplante Aufgabenstellung zu sprechen, zogen wir unversehens eine enge Kurve und landeten beim Kern der Sache, bei der inneren Story der Coachees. Bis heute ist das so – jede PowerHour dreht sich im Prinzip darum.
Ja, die innere Story. Das ist es, wovon wir wirklich reden, wenn wir von Story reden, denn dort entsteht unsere Perspektive samt Richtung, Geschwindigkeit und Drall für unsere Erzählungen. Dort entsteht das Momentum für die Bewegung von Menschen, Teams und Gesellschaft und letztlich die Verwandlung, gerade auch die im Außen. Die innere Story ist der nahrhafte Humus der Erzählblütenpracht. Für derlei Erfahrung erzählen wir.
Die Sehnsuchts-Story brennt in uns.Nach und nach weitete ich diesen – ja: philosophischen – Teil in meinen Keynotes und Vorträgen aus. Vorsichtig, mag sein, sogar etwas zu zögerlich, denn aus meinem Team hörte ich durchaus skeptische Stimmen dazu.
Ob denn die Menschen das wirklich verstehen?
Erwarten sich die Leute nicht was anderes?
Ist das nicht zu esoterisch?
Die Antwort darauf gab das Publikum.
Wenn ich mich in großer Dankbarkeit fast schon regelmäßig über wunderbar positives Feedback für mein Anstiften & Brandstiften freuen darf, so ist die Resonanz auf die neue Thementiefe noch deutlich mehr als das. Die Menschen fühlen sich berührt, verstanden, abgeholt. Oft und oft erreichen mich Zuschriften mit dem Tenor „Danke für deinen aktuellen Blogpost, er erreichte mich gerade zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben …“
Warum ist das so?
Offenbar trifft da etwas auf eine wachsende, eine brennende Sehnsucht in vielen Menschen. Einige von uns können das bereits sehen und beschreiben, die meisten, die’s spüren, spüren es latent: Uns fehlt etwas Entscheidendes – als Menschen, als Teams, als Gesellschaft.
Das, was uns fehlt, flackert an unterschiedlichen Ecken, in zunehmender Dichte, unter verschiedenen Bezeichnungen auf, die verstörenden Umstände durch Corona wirken dafür als Brandbeschleuniger der Sonderklasse.
Letztlich geht es dabei immer um den Sinn in uns, in unserer Arbeit, in unserem Dasein. Manche suchen danach und nennen es das „Warum“ oder die „Bestimmung“. Bei Unternehmen sagt man „Purpose“ dazu und meint hoffentlich nicht „Marketing-Gag“ damit.
So wie wir heute leben, leuchtet für eine wachsende Zahl an Menschen in hektischer Taktung Frage um Frage auf:
Was ist das hier?
Was wird sein?
Wozu das alles?
Was wird aus uns werden?
Wer werden wir werden?
Kurz gesagt: Wer bin ich?
Diese Fragen sind nicht neu. Sie sind Ur-Fragen des Menschen, des Lebewesens, das bei seiner Geburt bereits weiß: aus dieser Nummer komm ich nicht lebend raus.
Die Antworten darauf, die sind es, die so weh tun in uns, die rauswollen, die in die Welt wollen. Das ist in gewisser Hinsicht wie eine Geburt. Die ist ja für keinen der Beteiligten angenehm, was heißt! Warum das so schmerzhaft sein muss, weiß kein Mensch. Aber so ist es nun einmal: Wenn etwas raus will in die Welt, dann muss es raus, da hilft nichts.
Das ist bei Babys so und bei unseren Geisteskindern nicht anders. Und schon gar nicht, wenn das verwandelte Ich aus einem selbst raus ins Leben will. Es ist zu groß für die alte Hülle, denn wir sind über uns hinaus gewachsen. Das sind Wachstumsschmerzen in unserer alten Haut, die der Redensart „ich fühle mich wie neu geboren“ plötzlich einen Hauch von ironischer Realität verleihen.
Bleibt uns die Luft weg?Wenn du eine Idee hast, etwas erschaffen willst – gleich, ob das winzigklein oder riesengroß ist, ob es Bedeutung für dich oder die Welt hat, oder für dich die Welt bedeutet, ob du etwas erfindest oder dich selbst er-findest: jeder Schaffensprozess muss über was drüber. Mein Freund Constantin hat kürzlich zu mir sinngemäß gesagt: „Je wichtiger, je nötiger etwas ist, das du in die Welt bringst, desto größer sind die Gegenkräfte, die das verhindern wollen.“ Wenn er recht hat, dann wird mein Buch ziemlich wichtig. Halten wir Constantin die Daumen!
Womöglich ist es auch das, was in so vielen Menschen drängt, treibt und stichelt. Wir Menschen müssen etwas in die Welt bringen, etwas erschaffen oder verbessern. Wir müssen selbst wachsen, aber lernen doch nichts, als zu funktionieren, zu entsprechen und die Leere, die so in uns entsteht, mit Dingen anzufüllen, die wir konsumieren und uns darüber definieren. Von Essen über Medien bis Zeugs.
Wir schwänzen als Menschen in großem Stil unsere einzigartige Aufgabe im Zusammenspiel von allem, und das schon seit unendlich langer Zeit, indem wir versuchen, zu beherrschen, zu erobern, zu besiegen. Das ist die Geschichte, die wir uns selbst und einander unter dem Titel „Einer wird gewinnen“ seit Ewigkeiten erzählen. Wir interpretieren das als ewigen Kampf von Gut gegen Böse und sind von einem fest überzeugt: Wir sind die Guten.
So nützen wir aus, anstatt nützlich zu sein. Wir schaffen im Außen immer mehr, im Innen aber ein Vakuum. Uns bleibt die Luft weg. Dennoch wollen wir nicht und nicht verstehen, dass wir zwar im Außen agieren, aber im Innen leben. Oder eben nicht.
Es geht um unsere innere Geschichte und die schmerzlich gähnende Leere, die entsteht, wenn sie fehlt – und sie fehlt. Oder, wie meine Großmutter, die alte Story Dudette, sagen würde: „No Story. No Glory.“
Wer meine Großmutter kennt, weiß, ihr zu widersprechen ist keine gute Idee. Trust me on this one: Ich kenne nicht nur sie, sondern auch ihren hammerharten rechten Haken, der schneller aus ihrem Ärmelchen fährt als Lucky Luke ziehen kann (der zieht bekanntlich schneller als sein Schatten). Also widerspreche ich nicht, sondern erlaube mir eine aktualisierte Bearbeitung des Stoffes, liebste Omama. Das hat ja bereits für andere bestens funktioniert, zum Beispiel bei „Pygmalion“ und „My Fair Lady“, nicht wahr?
Lasset uns also „New Story. New Glory.“ auf die Premierenankündigung schreiben, die Tore des Welttheaters öffnen und den Vorhang heben. Das Libretto hältst du hoffentlich bald in Händen (wobei ich lieber nix verspreche …). Es trägt derzeit noch den Arbeitstitel „Das Buch, das es noch nicht gibt“ und handelt davon, wie eine Neue Story uns stark macht als Menschen, Teams und Gesellschaft.
Es handelt von dir, von mir und von uns allen und wird somit auch ein ziemlich persönliches Buch für uns. Vermutlich braucht es deshalb so lange, es zu schreiben. Weil es noch nicht so weit war – weil ich noch nicht so weit war.
Aber jetzt!
Und immerhin gibt’s somit über den Werdungsprozess auch eine Story zu erzählen, denn wie meine Großmutter – siehe oben …
No Story. No Glory.
P.S.: Weitere Artikel rund um Storys & Brands findest du im Blog von Markus Gull.
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