Welche Grenzen sprengst du heuer?
Hast du’s auch schon bemerkt?
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!
Was Eduard Mörike bereits 1829 lyrisch erkannte, ist für uns Irdische mittlerweile auch nicht mehr zu übersehen: Schoko-Osterhasen besiedeln schon längst die Supermarktregale, Schneeglöckchen klingeln, die ersten kecken Krokusse blühen bereits, die Tage werden merklich länger, die Ärmel kürzer – Veronika, der Lenz ist da! Und nachdem die Faschingssaison mittlerweile auch überlebt ist, wird mancher Neujahrsvorsatz in Sachen „Weg mit dem Hüftgold!” spät, aber doch in Angriff genommen. Die Zahl derer, die ihre ehemaligen Tanzbeine schnaubend auf die Laufstrecken schwingen, um sich auf den Weg dorthin zu machen, wo sie ihren Strandbad-Body erhoffen, vermutlich aber beim Orthopäden landen werden, steigt auffallend. Trainingspläne werden erstellt und gepostet, große sportliche Ziele mit der Community geteilt, Fahrräder abgestaubt – in diesem Frühling aber wirklich!
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Zu faul zum Weiterlesen? Dann hör mir zu.
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Ja, Mutter Natur atmet spürbar ein, erlaubt sich allerdings auch manchen Schabernack. Zum Beispiel hat sie mich – das vermutlich unsportlichste Lebewesen in der Geschichte der Evolution – mit einer Physiognomie ausgerüstet, die mich zum Dauerläufer mit erstaunlich guten Leistungswerten macht. Damit sich dieser Umstand nicht in sündhaftes Verschwenden der guten Gabe materialisiert, laufe ich viel und lang. Die damit verbundene unvermeidliche körperliche Ertüchtigung nehme ich billigend zur Kenntnis. Aber schon auch ein bissel dankbar, weil man ja nicht jünger wird. Tatsächlich laufe ich jedoch für meinen Kopf: Birnenbefreiung am Feuerschuh. Deshalb auch vorzugsweise immer dieselbe Strecke, ohne besondere Navigationsanforderungen und ohne Musik, Podcasts oder sonst etwas in den Ohren. Keinerlei Ablenkung! Nur ich und meine Gedanken. The long and winding Road in der morgendlichen Finsternis – Freiheit, die ich meine.
In meiner mittlerweile fast 30-jährigen Laufbahn habe ich haufenweise Konzepte entwickelt, härteste dramaturgische Story-Nüsse geknackt, Erkenntnisse gewonnen, gelacht, geweint und manch kapitalen Bauchfleck hingelegt, weil meine Aufmerksamkeit allzu weit entrückt war. Jedenfalls deutlich weiter als die Wurzeln am weichen Weg der Prater-Hauptallee im schönen Wien oder eine eisige Stelle am Salzachufer. Verlaufen habe ich mich dabei mehrmals, weil ich mich völlig in meiner Gedankenwelt bewegte und die Abzweigung ins reale Dasein einfach übersah.
Nur was quält, zählt?
Neulich kam mir dabei die Frage in den Sinn, weshalb sich immer mehr Menschen in High-Performance-Sportarten betätigen, also sich ins Extrem begeben. Einmal sehen, was man so alles aushält.
Wenn früher die erfolgreiche Teilnahme an einem Marathon auf der „Einmal im Leben”-Liste stand, steht das inzwischen bei vielen am Standardprogramm jeden Monats. Triathlon, Iron(wo)man, Ultra-dies-und-das … Wer am Montag noch sitzen kann, ist am Wochenende nicht wirklich Fahrrad gefahren. Wer heutzutage noch Golf spielt, anstatt sich regelmäßig vor Erschöpfung anzukotzen, braucht seine Weicheier-Freizeitaktivitäten-Selfies überhaupt nicht mehr zu posten. Jakobsweg? Mount Everest? – dort spielt sich’s ja bereits ab wie in der Shopping Mall am letzten Samstag im Advent.
Es geht offenbar gar nicht mehr um die Betätigung, sondern um die Bestätigung. Und zwar um jene, dass man, falls man denn irgendwelche Grenzen haben sollte, sie sprengen kann. Es geht vor allem auch um die Geschichte, die wir darüber erzählen können. Das Theme dieser Story: Ich kann über mich selbst hinauswachsen. Aber wie!
Warum ist uns das so wichtig? Ganz einfach: weil das für uns Menschen wichtig ist. Lebenswichtig, überlebenswichtig. Wir müssen wachsen. Wir müssen unsere Möglichkeitsräume ausdehnen. Das ist der monomythische Antrieb jeder Geschichte: Heldin verlässt die gewohnte Welt, bewährt sich tapferst in der neuen und kehrt – zum Besseren verwandelt – in die alte Welt zurück, um dort das Erreichte und Gelernte mit den ihrigen[OL1] zu teilen. Separation – Initiation – Heimkehr nennt das Joseph Campbell, Aufbruch – Bewährung – Comeback heisst’s im Kleinen Story ABCvon El Story Dudelino.
Allerdings hat die Bewährung nichts mit höher, schneller, weiter, länger oder öfter zu tun – und wenn, dann nur bedingt. Denn, jetzt kommt die schlechte Nachricht, und ich bedauere zutiefst, dass ich sie überbringen muss: Irgendwann geht’s nämlich nicht mehr länger, öfter, schneller, höher. Dann geht’s schlichtweg nicht mehr weiter. Dieses übernatürliche Hinauswachsen über uns selbst im Körperlichen hat natürliche Grenzen.
Limit? Was ist das?
Warum ist dieses spektakuläre Übertreffen seiner bisherigen Leistungslimits für eine auffällig steigende Zahl von Menschen überhaupt von solch immenser Bedeutung? Eine Modeerscheinung, die bald verschwindet? Ein Trend, der dann auch wieder einmal abflacht? So wie ich die Sache sehe, ist das nur eine Variante dessen, was wir an anderen Stellen und in anderer Form schon lange erleben: Selbstoptimierung. Eine großartige berufliche Karriere hinlegen, zum Beispiel. Morgen mehr verdienen als heute. Vom Tellerwäscher zum Millionär.
Oder Shopping-Marathon, bis der Kreditkartenmuskel brennt. Wann ist eigentlich der Umstand, dass man eine Bluse, eine Tasche, Schuhe oder sonst etwas braucht (oder meinetwegen auch einfach nur will) zu einer Freizeitbeschäftigung geworden? Man geht shoppen und findet dabei heraus, was man hätte wollen können. Vielleicht ein neues Bike für den nächsten Wettbewerb gegen sich selbst und seinen Überdruss?
Im Buch und im gleichnamigen Film „Fight Club” sagt Tyler Durden sinngemäß: „Wir kaufen mit Geld, das wir nicht haben, Sachen, die wir nicht brauchen, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen.” Irgendwie klingt mir das nach dem kategorischen Imperativ für Sinnstiftung in unserer sogenannten Zivilisation. Hauptsache mehr, größer, neuer. Irgendetwas halt aufs Besehende obendrauf, mehr ist besser. Tyler sagt aber auch: „Die Dinge, die du besitzt, besitzen am Ende dich.”
In vielen, vielen Unternehmen erkennt man genau und nur daran Erfolg. Umsatz rauf, Marktanteil rauf, Profit rauf. Mehr ist besser. Was denn bitte sonst?
Weil wir schon bei den schlechten Nachrichten sind: Die Freude an den gebrochenen Rekorden, den verschobenen Grenzen, den übertroffenen Zielen währt nur kurz. Dann muss das nächste draufgelegt werden. Aber hüben wie drüben, dort wie da bleibt die Nachricht gleich schlecht: Irgendwann geht’s nicht mehr weiter. Geld aus, Kraft aus, Zeit aus.
Was dann?
Was tun?
Alles aus?
Eine unendliche Geschichte?
Für Unzählige von uns sind derlei Leistungsbeweise, diese äußeren Erfolgsgeschichten tatsächlich die einzigen Möglichkeiten, das uns ins Betriebssystem einprogrammierte Bedürfnis nach Wachstum zu erleben. Denn wir haben schlichtweg verlernt oder es gar nie gelernt, dass die Verhaftung im Materiellen, im Außen, in der Erzählung zwar Freude machen kann, uns aber nicht dauerhaft nährt.
Die seit Jahrzehnten vermittelten Geschichten darüber, was Erfolg bedeutet und dass Selbstverwirklichung, das höchste aller möglichen Ziele, das Happy End ist, haben unser inneres Auge geblendet. So bleiben wir in einer fatalen Dauerschleife hängen und verheddern uns im Fallstrick, den wir uns selbst über den Weg spannen.
Selbstverwirklichung ist gut und wichtig, tatsächlich allerdings kein Ziel, sondern die Basis – eine hervorragende Basis zumal – für den nächsten Schritt: wachsen über das verwirklichte Selbst hinaus. In dem Augenblick, in dem wir beginnen, Beiträge für etwas zu leisten, das größer und wertvoller als unsere äußeren Bedürfnisse ist, beginnt ein Wachstum von innen, das kein Ende kennt. Wir bewegen uns aus dem (vermeintlichen) Mangelzustand in die wahrhaftige Wachstumszone. Wir schreiben unsere innere Story neu, über das Happy End hinaus. Dort, wo Erkenntnis gewonnen wird, anstatt eines Ultra-Marathons, dort wo Sinn-Erlebnisse steigen und nicht nur Umsatzkurven, dort finden wir Erfüllung.
Das gilt für jeden von uns, das gilt für unsere Teams, Marken, Unternehmen – das ist universell.
Das ist die große, ewige unendliche Geschichte, die von uns allen handelt und nicht weniger beschreibt als warum wir Menschen als Spezies da sind. Oder sein könnten. Wir sind diejenigen, die wachsen müssen, damit sie gesund bleiben, und nur daran wirklich wachsen können, dass sie etwas erschaffen, verbessern, heilen. Für die einen mag das in ihrem Beruf stattfinden, für andere im Elternsein, manche gründen ein Unternehmen, andere reparieren Häuser oder Herzklappen. Am Ende ist etwas besser als vorher. Dann ist eine Aufgabe erfüllt – miteinander, füreinander.
Gegen Leistungssport, auch gegen Hochleistungssport ist genauso wenig einzuwenden wie gegen die Freude an einem famosen Restaurantbesuch oder an Klamotten, in denen man so rattenscharf aussieht, als würde Mutter Natur an uns demonstrieren, dass ein prachtvoller Frühling längst nicht alles ist, was sie draufhat. Damit das aber am richtigen Platz einsortiert wird, müssen wir verstehen, was uns wirklich fehlt. Das, was wir wollen, und das, was wir brauchen, sind oft grundverschiedene Angelegenheiten und werden allzu oft verwechselt. Vor allem in den Geschichten, die wir uns selbst darüber erzählen.
Bevor sich etwas verändert, verändert sich die Geschichte dazu. Bei unseren sogenannten Erfolgsgeschichten sollte das dringend geschehen. Denn, wenn wir das Happy End unserer Erfolgsgeschichten weiterhin nur am Angehäuften erkennen, am Sprengen materieller oder körperlicher Grenzen, werden wir erschöpfter[OL2] sein, als wären wir einen Ultra-Marathon auf einem Bein gehüpft.
Wenn du für dich selbst, im Job, bei der Gründung oder Führung deines Unternehmens, deines Teams oder deiner Marke deine Erfolgsgeschichte neu schreiben willst, also eine von einer Aufgabe getragene Story finden willst, dann begleite ich dich sehr gerne als Mentor dabei. Gemeinsam drehen wir deinen Wegweiser in die richtige Richtung. Dafür habe ich zwei Angebote:
- Die „PowerHour“ – mein kraftvolles Kurz-Mentoring mit sofortiger Wirkung. Dazu findest du alle Infos und Buchungsmöglichkeiten hier.
- Das „New-Story-Mentoring“, ein strukturiertes One-on-One-Programm über etwa drei Monate. Hier sind aktuell wieder zwei exklusive Plätze frei, und – so steht’s geschrieben: „Die Ersten werden die Ersten sein!“ Wenn das etwas für dich wäre, schreibe mir am besten gleich eine Direct Message.
So oder so soll uns im Geiste meine Großmutter, die alte Story-Dudette, begleiten, die auf Windsandalen in Eduard Mörikes biedermeierische lyrische Fußstapfen trat und dabei pfiffig reimte: „No Story. No Glory.”