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Redaktion 28.01.2022

Die österreichische Variante des Big Quit

Hierzulande fliehen die Arbeitnehmer nicht wie in den USA aus ihren Jobs. Aber sie werden anspruchsvoller.

••• Von Sabine Bretschneider

WIEN. The Big Quit”, „The Great Resignation” – in den USA schmeißen so viele Menschen ihren Job hin wie nie zuvor. Auch hierzulande werden Arbeitnehmer zusehends fordernder. Wie sollen Firmen damit umgehen? Der Wiener NLP-Lehrtrainer, Wirtschaftswissenschaftler und Gründer von myNLP, Mario Grabner, unterstützt seit mehr als zehn Jahren heimische Führungskräfte bei diesen und ähnlichen Fragen.

medianet: Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die ‚große Kündigungswelle' auch auf den österreichischen Arbeitsmarkt überschwappt?
Mario Grabner: Zu Beginn der Pandemie kam es seitens der Unternehmen, aber auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu großer Unsicherheit – und durch Kündigungen zu einer kurzfristigen Bewegung am Arbeitsmarkt. Durch die Unterstützungsleistungen der Regierung wie zum Beispiel Kurzarbeit, Homeoffice und Umsatzersatz kam es aber schnell zu einer Stagnation. Laut Zahlen des Wifo ergaben sich seither keine unnatürlichen Bewegungen am Arbeitsmarkt. So viel sagen uns zumindest die objektiven Zahlen.

medianet: Das heißt, diese oft zitierte ‚Revolution der Erwartungen an die Arbeit' ist hierzulande nicht angekommen …
Grabner: Dass es statistisch gesehen gerade wenig Veränderung gibt, liegt vor allem an der großen Unsicherheit, die sich durch die Gesellschaft zieht. Psychologisch gesehen, haben Zeiten der Unsicherheit zwei wichtige Facetten: Einerseits hinterfragen sehr viele Menschen ihre derzeitige Situation, andererseits verändern sie noch nichts, weil das Risiko zu hoch wäre und die Sicherheit zu komfortabel. Das ist auch ein entscheidender Unterschied zu den USA, wo das soziale System deutlich weniger Unterstützung bietet und damit zu mehr Risikofreude einlädt. Steigende Unzufriedenheit gipfelt in vielen Fällen in der aktiven Suche nach Alternativen. Und diese werden für Arbeitnehmer aktuell immer größer, weil immer mehr Unternehmen passende Personen suchen.

medianet:
Die Konjunkturerholung erhöht den Bedarf an Arbeitskräften, der demografische Wandel sorgt demnächst für eine Verknappung. Sind Lohnerhöhungen die Lösung?
Grabner: Die Arbeitgeber sind jedenfalls gezwungen, mehr Anreize zu schaffen, wenngleich Geld ein Faktor ist, jedoch nicht der wichtigste. Vor allem jüngere Generationen legen großen Wert auf Image, Weiterentwicklung und Work-Life-Balance. Unternehmen müssen kreative Lösungen finden, um sich von den Mitbewerbern abzuheben.

medianet:
Verschärft haben sich die Probleme in Tourismus und Gastronomie: Immer mehr Beschäftigte kehren der Branche den Rücken. Was machen die Arbeitgeber in dieser Branche falsch?
Grabner: Tourismus und Gastronomie waren immer schon Bereiche mit hoher Fluktuation. Viele nutzen sie als Sprungbrett in andere Branchen oder als Möglichkeit, sich über einen gewissen Zeitraum Geld anzusparen. Darüber hinaus hat die Pandemie dazu beigetragen, dass das Vertrauen in diese scheinbar sichere Einnahmequelle rapide gesunken ist. Für die Betriebe geht es hier vor allem darum, durch bessere Arbeitsbedingungen und mehr Stabilität Vertrauen zurückzugewinnen.

medianet:
Coronabedingt haben viele Unternehmen Personal abgebaut. Wie kann man verhindern, dass negative Emotionen in der Belegschaft ‚ansteckend' wirken?
Grabner: Kündigungen sind unangenehm für alle Beteiligten. Oft sind diese auch für den Fortbestand des Unternehmens unerlässlich. Gerade bei derart schwierigen Themen ist wertschätzende Kommunikation und Transparenz das A und O. Denn Information sucht sich immer einen Weg und wird dieser kein offizieller Rahmen gegeben, werden die Gespräche eben in der Pause oder in der Küche geführt.

medianet:
Wie erkennt man die Unzufriedenheit von Mitarbeitern frühzeitig?
Grabner: Die Grundlage jeder Zusammenarbeit ist eine gute Beziehung. Beruht diese auf gegenseitigem Vertrauen, werden schwierige Themen oft schon im Vorfeld offen angesprochen. Nicht immer bleibt jedoch die Zeit, mit jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter regelmäßige Gespräche zu führen. In solchen Fällen sollte auf Abweichungen im Verhalten geachtet werden. Denn Unzufriedenheit beginnt oft im Kleinen und breitet sich langsam aus. Erkennt die Führungskraft Veränderungen früh, so kann sie das Gespräch aktiv suchen. Eine gute Führungskraft hat immer auch eine gute Wahrnehmung und ein gutes Gefühl für die Gesprächspartner.

Veränderungen zeigen sich durch Kleinigkeiten wie etwa Abweichungen bei der Pünktlichkeit oder eine plötzlich sehr akribische Zeiterfassung. Unzufriedene Mitarbeiter hegen auch oft den Wunsch nach mehr Homeoffice als zuvor, ziehen sich also aus dem Büro und dem dortigen Umfeld zurück.
Gut sichtbare Zeichen für Unzufriedenheit sind auch veränderte Gewohnheiten oder Kommunikationswege innerhalb des Teams: Wo früher gemeinsame Mittagessen üblich waren, fallen diese vielleicht nun weg – wer früher gerne telefoniert oder auch am Flur mit den Kollegen geplaudert hat, stellt das immer öfter ein oder wählt eine weniger persönliche Kommunikation. Der Leistungsabfall kommt häufig erst zeitlich verzögert hinzu.

medianet: Laut einer aktuellen Studie wendet sich die junge Generation zunehmend von der gängigen Arbeitnehmerkultur – mit 40-Stunden-Woche, Präsenzarbeit und Streben nach sicheren Jobs – ab. Wie bringt man die Millennials dennoch an Bord – und wie hält man sie?Grabner: Geld und Sicherheit sind zwar immer noch wichtig, aber andere Themen wie sinnerfülltes Arbeiten, Work Life Balance in Verbindung mit Karriere werden beliebter. Für Unternehmen ergeben sich daraus große Chancen, denn Sinnerfüllung und Work Life Balance oder ein gutes soziales Umfeld binden viel stärker als Geld. Dadurch steigen jedoch auch die Anforderungen, denn es ist mehr Kommunikation und Flexibilität gefragt, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen eingehen zu können. Eine gute Führungskraft muss gleichzeitig auch Coach sein.

medianet:
Was bedeutet das konkret?
Grabner: Wir bilden bei myNLP seit Jahren Führungskräfte in großen Unternehmen zu Coaches aus. Denn Coaches erkennen Probleme und Themen frühzeitig, kennen Lösungsansätze und verstehen die Bedürfnisse ihres Gegenübers. Dieselben Fähigkeiten sind auch für Führungskräfte unerlässlich, werden aber oft nicht anerkannt, weil immer noch viel zu häufig der Fokus auf Zahlen, Daten und Fakten liegt, während der Mensch dahinter übersehen wird.

Führungskräfte lernen in derartigen Coaching-Ausbildungen etwa spezielle Fragetechniken: Mit ihnen können sie im Gespräch mit den Mitarbeitern beispielsweise deren Ambitionen, Motivationen und Werte schneller und besser verstehen. Die Führungskräfte lernen auch, die Körpersprache, kleinste Veränderungen in der Mimik oder konkrete sprachliche Formulierungen bei den Mitarbeitern zu deuten. Ob beim alltäglichen Flur-Plausch oder komplexen Feedbackgesprächen: Dieses Wissen hilft ungemein, gesunde Teamstrukturen zu erhalten und Veränderungen rechtzeitig zu erkennen.


medianet:
Abschließend: Wird aus dem Arbeitgebermarkt mittelfristig ein Arbeitnehmermarkt werden – mit einer Umkehrung der Verhältnisse? Überspitzt formuliert: Der Jobbewerber sucht in Zukunft nicht mehr, sondern wartet darauf, vom passenden Unternehmen gefunden zu werden?
Grabner: Wenn wir jene Generationen, die den heutigen und künftigen Arbeitsmarkt bestimmen, mit den vorigen vergleichen, erkennen wir eine klare Werte-Verschiebung: Mitbestimmung, aktive Gestaltungsmöglichkeiten, zeitliche und örtliche Flexibilität werden da immer wichtiger. Auch die laufende Weiterentwicklung spielt eine Rolle – wir machen heute keine Ausbildung nach Schema F, sind dann ‚fertig ausgebildet' und suchen einen Job, der genau diesen Anforderungen entspricht. Die künftigen Arbeitnehmer betrachten ihr Arbeitsleben vielmehr als Reise, und agile Veränderung ist willkommen.

Ich persönlich denke daher, dass der Arbeitsmarkt der Zukunft vielmehr eine gemeinsame Sache aus Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird: Wer die besten Mitarbeiter haben will, muss bereit sein, mit deren Werten mitwachsen. Aufgabe der Arbeitnehmer wird es sein, das für sie passende Umfeld zu finden und dieses womöglich – im eigenen Sinne – akribischer auszuwählen als zuvor.

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