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© APA/Harald Schneider

Redaktion 15.09.2023

Wann kommt der Ausbau der Kinderbetreuung?

Bis es flächendeckend Kindergartenplätze gibt, werden trotz 4,5 Milliarden Euro Investition Jahre vergehen.

••• Von Alexander Haide

Jahrzehntelang ist der Ruf nach mehr Kinderbetreuung – in jedem Lebensalter – ohne konkrete Ergebnisse verhallt. Mehr Kinderbetreuung wurde zwar bei jeder Wahl – ob in Bund oder Land – versprochen, doch an der grundsätzlichen Problematik hat sich freilich nichts geändert. Noch immer scheitern viele, die gerne einem Vollzeitjob nachgehen würden, an den begrenzten Öffnungszeiten von Kindergärten oder mangelnder Nachmittagsbetreuung in den Schulen. Vor allem in den Bundesländern und in ländlichen Gebieten sind bei Weitem nicht genügend Kindergartenplätze vorhanden. Zudem können die Kosten für Kindergarten & Co. bei Familien mit mehreren Kindern bei mehreren Hundert Euro pro Monat liegen.

Bereits im Vorjahr präsentierte das Land Niederösterreich eine „Kinderbetreuung Neu”, die bis zum Jahr 2027 realisiert werden soll. Das ambitionierte Ziel: Nicht bloß zweijährige Kinder sollen einen Kindergarten besuchen können, sondern ein flächendeckendes Angebot für Null- bis Sechsjährige wird angestrebt.
Der erste Schritt soll bereits im kommenden Jahr realisiert sein – ab dann können bereits zweijährige Kinder (bisher ab dem Alter von zweieinhalb Jahren) einen Kindergarten besuchen. Dafür muss bis ins Jahr 2024 die stolze Anzahl von 600 neuen Kindergruppen in den niederösterreichischen Gemeinden geschaffen werden. Deshalb wird die Umsetzung im gesamten Bundesland wohl eher bis zu sieben Jahre dauern.

Sehr ambitioniert

Das Problem ist kein niederösterreichisches. Auf Bundesebene ortet Bundeskanzler Karl Nehammer generell eine Versorgungslücke in der Altersgruppe zwischen ein bis drei Jahren. „Mein Ziel ist es, dass wir diese Lücke jetzt schließen”, wird der Kanzler im Kurier zitiert. Der Plan sei sehr ambitioniert, koste 4,5 Mrd. € bis 2030 und lasse sich nur mit Bund, Land und Gemeinden gemeinsam bewerkstelligen. „Es darf nicht an der Frage der Kinderbetreuung scheitern, wenn Frauen arbeiten gehen wollen”, so Nehammer.

Eine Zukunftsinvestition

In das gleiche Horn stößt der Handelsverband. „4,5 Mrd. Euro Investitionen für Kinderbetreuung sind eine rentable Zukunftsinvestition, wobei ein rascher Umsetzungshorizont entscheidend ist. Eine flächendeckende und leistbare Kinderbetreuung in ganz Österreich ist der Motor zur Steigerung des Wohlstands”, titelt der Handelsverband in einer Aussendung. Dazu sei auch eine Ausbildungsoffensive für Pädagogen für eine zukunftsfitte Elementarbildung nötig. „Eine bessere Kinderbetreuung und Kinderbildung in Österreich ist überfällig. Die zusätzlichen 4,5 Mrd. Euro werden sich als rentable Zukunftsinvestition für alle erweisen”, ist man sich beim Handelsverband sicher. Zudem: Der Handel ist weiblich, 72% der Beschäftigten sind weiblich. „Frauen, die noch immer den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernehmen, bekommen dadurch mehr Spielraum. Jetzt zählt ein rascher Umsetzungshorizont”, sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Eine weitere Forderung des Handelsverbands ist der Ausbau von ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen. Vor allem die Förderung der Ausbildung von Elementarpädagogen müsse dafür demnach schnellstmöglich erfolgen. Die Öffnungszeiten in den Einrichtungen müssten so gestaltet sein, dass damit eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich und sichergestellt ist.
Das Problem der fehlenden Pädagogen ist weder neu, noch kommt es überraschend. Nachdem man noch in der 1980er- und 1990er-Jahren jungen Menschen die Berufswahl „Lehrer” madig machte – Stichwort Lehrerschwemme –, hat man sich nicht rechtzeitig um eine Trendwende gekümmert. Die Folgen beherrschten Ende August die lokalen Schlagzeilen, als noch nicht sicher war, ob alle Wiener Schüler auch in Klassen mit einem Lehrer sitzen werden. Studenten zum Stopfen der Lücken zu nutzen, kann höchstens ein Übergangsmodell sein. Österreichweit fehlten Anfang September noch zumindest 200 Lehrer, berichtete Heute.

Für Frauenbeschäftigung

Investitionen in die Kinderbetreuung sind wertstiftende Anlagen, stellt der Handelsverband weiter fest; davon würden nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern profitieren. Elementare Betreuungseinrichtungen sind die ersten Orte für Bildung. Je früher hier investiert wird, desto höher ist die Bildungsrendite. Eine im September 2022 veröffentlichte Analyse der Agenda Austria belegt überdies, dass ein gutes Angebot an Ganztageskinderbetreuung eine zentrale Voraussetzung für eine hohe Frauenbeschäftigung ist. Der Handelsverband erneuerte deshalb seine Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr.

An die EU-Spitze

Doch zurück zum Bundeskanzler. Er möchte Österreich zum „Land mit den größten Familienleistungen in der EU” machen und fordert von allen Beteiligten – vor allen von den Gemeinden – „Mut zur Initiative” ein. In Folge wünscht sich Nehammer auch einen Rechtsanspruch auf ausreichende Kinderbetreuung. Sie scheitere bisher an der Infrastruktur und den nötigen Pädagogen.

Bis zum Rechtsanspruch fließt aber wohl noch viel Wasser die Donau hinunter – das weiß auch der Kanzler: „Der Rechtsanspruch kann am Schluss des Prozesses stehen. Wenn ich den Rechtsanspruch vor die Infrastruktur stelle, dann überfordere ich die Gemeinden, die Menschen, schaffe eine falsche Erwartungshaltung.” Das klingt nach „Bitte warten!”.

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