HEALTH ECONOMY
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Redaktion 12.07.2024

Firmenchallenge bringt Bewegung im Job

Krankenstände sind auf einem 30-Jahres-Hoch, Erkrankungen am Bewegungsapparat rangieren weit oben. Initiativen wollen helfen.

•• Von Evelyn Holley-Spiess

Die Firmenchallenge Österreich geht heuer in die sechste Runde. Dahinter verbirgt sich das virtuelle
50 Tage-Gesundheitsprogramm für Unternehmen und deren Mitarbeiter – mit dem Ziel, Bewegung regelmäßig in den Arbeitsalltag zu integrieren. Die Initiative richtet sich an alle Betriebe – vom EPU bis zum Großkonzern –, wird von Sports.Selection in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Wien organisiert und findet von 1. Oktober bis 19. November statt. Einer, der die Aktion aus persönlicher und beruflicher Überzeugung gleichermaßen unterstützt, ist Sport- und Gesundheitswissenschafter sowie Trainingstherapeut Michael Koller. „Gemeinsam Sport und Bewegung zu machen, hat den Vorteil, dass man den inneren Schweinehund besser überwindet. Als Führungskraft kann ich auf diese Weise ein gemeinsames Firmenziel für die Mitarbeiter definieren und am Ende einen gemeinsamen Erfolg feiern. Gleichzeitig tut jeder etwas für seine persönliche Gesundheit“, skizziert der Experte die Vorteile des Gesundheitsprogramms.

Defizite bei Bewegung
Dass es Bedarf an mehr Bewegung im (Arbeits)alltag gibt, daran besteht jedenfalls kein Zweifel – die Krankenstände verzeichneten zuletzt das höchste Niveau seit 30 Jahren. Die unselbstständig Beschäftigten verbrachten 2023 durchschnittlich 15,4 Tage im Krankenstand. Die häufigsten Ursachen: Atemwegs-erkrankungen (auch in Zusammenhang mit Covid-19), gefolgt von Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Erkrankungen des Bindegewebes. Diese Top-3 verursachten im Vorjahr 50,5% aller Krankenstandsfälle und 41,3% der Fehlzeiten. Für Koller ist das keine echte Überraschung: „Wir haben in den Bereichen Ernährung und Bewegung in den letzten 20 Jahren eigentlich nur Rückschritte gemacht. Wir bewegen uns immer weniger, haben bei der Ernährungsqualität massiv abgebaut. Das belastet unser Immunsystem und unsere Gesundheit.“

„Den Lift abdrehen“
Gefragt nach konkreten Beispielen, zögert der Wissenschafter nicht lange: „Homeoffice ist ein Bewegungsrückschritt. Die Gehstrecke zum Büro oder auch nur zur U-Bahn fällt weg. Und der Weg vom Schreibtisch zum Kühlschrank zu Hause ist sicher kürzer.“ Der technologische Fortschritt hat aber noch weitere Nachteile auf Kosten der Bewegung mit sich gebracht, Stichwort E-Mobilität in Form von E-Bikes oder Scootern, bei denen die körperliche Aktivität deutlich reduziert ist.

Wie könnte gegengesteuert werden? Koller liefert einen Vorschlag mit Augenzwinkern: „Eine ganz pragmatische Lösung wäre: In den Unternehmen den Lift abdrehen. Sehr einfach, aber sicher wirkungsvoll, gerade auch, wenn man Leute zum Nachdenken anstoßen möchte.“ Nachsatz: „Selbstverständlich müsste es bei einem solchen Schritt Lösungen zur Barrierefreiheit geben.“

Gesunder Arbeitsplatz
Das Angebot von Firmenfahrrädern sei ebenfalls ein guter Akzent. Und last but not least sieht Koller in der Neugestaltung von Meetings eine riesen Chance. „Zu Zeiten von Covid-19 haben Firmen Walk&Talk-Meetings durchgeführt – also Besprechungen im Freien und im Gehen.“ Eine Angewohnheit, die es wert wäre, beibehalten zu werden.

Die Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz ist längst selbst zu einem wirtschaftlichen Faktor geworden. Der jüngste Fehlzeitenreport des Wirtschaftsforschungsinstituts beziffert die direkten und indirekten betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten der Fehlzeiten durch Krankenstände im Jahr 2022 auf 5,3 Mrd. € bzw. 1,2% des BIP. Für Unternehmen bedeute das, „250 Euro je Krankenstandstag, die durch die Kosten der Entgeltfortzahlung und Überstunden von Kolleginnen und Kollegen sowie durch verlorene Wertschöpfung anfallen“, rechnete zuletzt die Wirtschaftskammer vor. Arbeitgeber sind daher mehrfach gefordert: Es geht um die Balance zwischen Arbeitsbelastung einerseits und persönlichen sowie sozialen Ressourcen der Beschäftigten andererseits.

Angebote ausbauen
Von Unternehmensseite könnten hier schon einfache Schritte helfen. Koller: „Als Arbeitgeber kann ich ohne großen Zeit- und finanziellen Aufwand Informationen zur Verfügung stellen, was es an Gesundheitsangeboten in unserem System alles gibt. Das reicht von der Vorsorgeuntersuchung, über Impfprogramme, psychologische Betreuung bis hin zu Angeboten der Arbeiterkammer oder Gewerkschaft. Es gibt hier sehr viel – aber die wenigsten wissen davon.“ In weiterer Folge gehe es darum, „die Wege für die Beschäftigten kurz zu halten“, sagt der Experte. Soll heißen: Sofern es die Betriebsgröße ermöglicht, könnten beispielsweise eigene Gesundheitsstraßen aufgesetzt werden.

Für kleinere Firmen würden sich wiederum Kooperationen mit Gesundheitsdienstleistern anbieten. Das Ziel: „Wege- und Wartezeiten für die Mitarbeiter möglichst effizient zu gestalten, denn beides sind Hemmschwellen bei der Inanspruchnahme von Angeboten.“

Ein Erfolgsfaktor bei der Umsetzung solcher Initiativen ist die – möglichst treffsichere – Bedarfserhebung im Unternehmen. Und hier sind auch die Arbeitnehmer gefragt: „Ich empfehle, Gesundheitszirkel einzurichten, wo die Entscheidungsträger gemeinsam mit leitenden Mitarbeitern evaluieren, welche Gesundheitsprogramme zur Verfügung gestellt werden sollen“, erklärt Koller. Diese Zirkel hätten sich als Steuerungsinstrumente in der Praxis bewährt – durch die Mitbestimmung der Beschäftigten, die bessere Planung und auch Abwicklung der gemeinsam definierten Programme. Damit es hinterher nicht etwa heißt: Warum haben nur 20 von 100 Mitarbeitern bei der Impfaktion oder beim Melanom-Screening teilgenommen.

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