HEALTH ECONOMY
© APA/Helmut Fohringer

23.10.2015

Gesundheitswirtschaft steht vor neuem Wachstumsschub

Weil die Zinsen niedrig sind, lockt die Gesundheitsbranche Anleger mit satten Gewinnen. Experten erwarten ein starkes Wachstum.

Die Gesundheitswirtschaft befindet sich derzeit in einer Expansionsphase. Zu diesem Ergebnis kommen nun auch unabhängig von einander Fondsgesellschaften und Beratungsgesellschaften. „Alle Zeichen stehen auf Innovation. Die vielen neuartigen Medikamente kurbeln das Umsatzwachstum an; dadurch profitiert der Sektor zukünftig enorm”, sagt Christophe Eggmann, Manager des JB Health Innovation Fund. Laut dem Fondsmanager setzen die Pharmaunternehmen nun die medizinischen Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre in Produkte um. So ermöglichen etwa neue Diagnoseverfahren eine noch gezieltere medizinische Behandlung.

„Besonders große Fortschritte erzielt der Sektor derzeit in der Krebs- und Gentherapie”, meint der Fondsmanager. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Brust- und Hautkrebs liege bereits bei über 90 Prozent. Bei vielen anderen Krebserkrankungen sei die Rate von 49 Prozent in den 70er-Jahren auf über 70 Prozent gestiegen. „Die Produkt-Pipelines sind voll. Das neue Forschungsfeld der Immun-Onkologie könnte sogar gewisse Krebstypen zu chronischen Erkrankungen machen”, erklärt Eggmann. Dabei setze die Immun-Onkologie auf Medikamente, die das körpereigene Immunsystem gegen Krebszellen aktiviert. „Analysten schätzen das Umsatzpotenzial auf mehr als 40 Milliarden Dollar – allein in den USA”, rechnet der Fondsmanager vor.

Medizintechnik wächst

Die Medizintechnik-Branche wiederum präsentiert ebenso robuste Kennzahlen und profitiert von der guten Lage am Kapitalmarkt: So viel Geld durch Kreditaufnahmen oder Börsengänge konnten die Unternehmen noch nie anziehen, heißt es im „Medizintechnik-Report 2015” der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Gleichzeitig treiben die Unternehmen Fusionen und Übernahmen auf einem hohen Niveau voran. Das Finanzierungsvolumen in dem im Juni endenden Zwölfmonatszeitraum beträgt fast 50 Milliarden US-Dollar – und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdoppelt; da lag das Gesamtvolumen noch bei 28,1 Milliarden US-Dollar. Getrieben wurde diese Entwicklung insbesondere durch die historisch niedrigen Zinsen, „die vor allem reifere Unternehmen für umfangreiche Fremdkapitalfinanzierungen nutzen konnten. Das hat allein das Volumen an Kreditaufnahmen von 19,8 Milliarden US-Dollar auf 40,8 Milliarden US-Dollar hochschnellen lassen.” Im Gegensatz dazu leiden viele Start-up-Unternehmen unter einer sich weiter verschlechternden Finanzierung durch Risikokapital.

Das zahlt sich auch für Investoren aus, erklärt Fondsmanager Eggmann. Nach seiner Ansicht wird der Healthcare-Sektor langfristig wachsen und damit seine Erfolgsstory fortsetzen: „Der Gesundheitssektor ist unter Rendite-Risiko-Aspekten der attraktivste Sektor der vergangenen 25 Jahre.” So erzielte beispielsweise der S&P 500 Healthcare-Index zwischen 1990 und 2014 eine deutlich bessere risikobereinigte Gesamtrendite (0,58 Sharpe Ratio) als der S&P-500-Index (0,44 Sharpe Ratio).
Der Fondsmanager nennt vier Eckpfeiler, die auch in Zukunft das Wachstum der Branche stützen werden: Zum einen die personalisierte Medizin, die die Behandlung von Patienten revolutionieren werde. „Das große Potenzial für bessere Therapieresultate bei gleichzeitig tieferen Kosten treibt Produkt- und Dienstleistungsinnovationen”, ist der Fondsmanager überzeugt. Ein weiterer Motor ist die stärkere Unterstützung neuer Therapien durch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA: „Die immense Unterstützung der FDA bei der Entwicklung neuer Medikamente hat die Zuversicht der Anleger gesteigert und zur Neubewertung vieler ­Unternehmen geführt”, sagt Eggmann.

Kosten-Nutzen-Analysen der Kassen

Einen Turbo bringt auch die veränderte Marktdynamik: Zum einem hänge die Kostenerstattung für Behandlungen künftig vor allem vom Behandlungserfolg ab. Damit werde die Kosten-Nutzen-Analyse für Unternehmen aus dem Gesundheitssektor immer wichtiger, denn die Marktentwicklungen gehen weg von einer Dienstleistungspauschale hin zu einem performanceorientierten Vergütungsmodell; zum anderen geht Eggmann davon aus, dass die privaten Gesundheitsausgaben ansteigen. „Die Menschen nehmen eine immer aktivere Rolle ein. In Zukunft werden sich Patienten eher wie Konsumenten verhalten, mehr Geld für Gesundheitsleistungen ausgeben und zwischen verschiedenen Produkten und Dienstleistungen wählen können.” Der vierte Eckpfeiler ist wie in der Medizintechnik das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen.

Insgesamt scheint das Wachstum aus ­eigener Kraft in vielen Bereichen jedoch begrenzt, wie die jüngsten Zukäufe von Produktentwicklungen durch große Konzerne bei Start-ups zeigen. Beispiel ist das Hepatitis C-Medikament Sovaldi, das vom Biotech-Konzern Gilead in einem Bieterstreit teuer eingekauft worden ist. Das gilt sowohl für Pharma- wie auch Medizintechnikbranche. Insgesamt konnte laut Erich Lehner, zuständiger Partner für Life Sciences bei EY Österreich, die Medtech-Branche ihren Umsatz im Jahr 2014 nur um zwei Prozent auf 341,8 Milliarden US-Dollar steigern – das sind zwei Prozentpunkte Wachstum weniger als im Jahr davor. Auch die Pharmabranche wächst insgesamt nun noch einstellig. „Die niedrigen einstelligen Wachstumszahlen der Branche geben Anlass zur Sorge. Innovationen, die wirklichen Durchbruch bringen, sind in der Medizintechnikbranche selten – dabei wären sie wichtige Wachstumstreiber. Weil organisches Wachstum so schwer ist, versuchen viele Medizintechnikunternehmen durch Übernahmen bereits erfolgreiche Produkte in ihr Portfolio zu holen. Deswegen bleibt der M&A-Markt auf einem sehr hohen Niveau.”

Plus auch in Österreich

Für die Medizintechnik in Österreich erwartet sich Lehner speziell aus Oberösterreich in den nächsten Jahren neue Impulse: „Mit dem neuen Kepler Universitätsklinikum wird die Verschränkung von Medizin und Technik weiter forciert. Die Errichtung des ‚Medical Valley' ist ein wichtiges Signal dafür, dass die Medizintechnik als tragende Säule eines funktionierenden Gesundheitssystems gesehen wird.”

Ganz generell ist Lehner überzeugt, dass sich Pharma- und Medizintechnik-Branche derzeit auch gegenseitig beeinflussen. „Die Medizintechnikbranche profitiert hierbei eindeutig vom äußerst robusten Börsenboom des Biotech-Sektors. Es wird entscheidend sein, wie das dadurch erzeugte Interesse des Kapitalmarkts an Hightech-Entwicklungen insgesamt nachhaltig aufrechterhalten werden kann.” Dass die Medizintechnikunternehmen Zugriff auf so viel Fremdkapital wie nie zuvor hatten, befeuerte auch den M&A-Markt: Die vier größten Kreditaufnahmen ermöglichten Zukäufe. Allein Medtronic konnte sich zur Finanzierung der im Jänner 2015 beendeten Übernahme von Covidien 17 Milliarden US-Dollar sichern. Weitere 18 Milliarden US-Dollar sicherten sich Becton Dickinson, Zimmer und Boston Scientific für Übernahmen. Damit vereinten die vier Unternehmen allein über 85 Prozent des gesamten Fremdkapitals auf sich. Dennoch ging insgesamt die Zahl der M&A-Deals zurück: von 180 im Zeitraum 2011/2012 auf 139 im Zeitraum 2014/15.
Für die Zukunft ist Lehner aber vorsichtig: „Investoren haben den Medizintechnikbereich nicht mehr so stark im Fokus und wenden sich wieder mehr dem zurzeit attraktiveren Biotech-Sektor zu. Sie bleiben zwar aktiv, erhöhen aber die Mittel nicht. Gerade in den frühen Stadien haben Start-ups große Probleme, frisches Kapital zu erhalten. Die Folge: Wenige, vielversprechende Start-ups erhalten größere Teile vom Kuchen”, sagt der Experte.

Forschungsanteil wächst

Dagegen zogen bei den großen Unternehmen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung weiter an: 14,3 Milliarden US-Dollar und damit sechs Prozent mehr erhielten die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen nach einem Zuwachs um sieben Prozent im Vorjahr. Damit sind die Mittel in dem Bereich seit 2009 jedes Jahr gestiegen – ausgehend von elf Milliarden US-Dollar beträgt der Zuwachs seitdem insgesamt rund ein Drittel. Das Tempo gaben die Unternehmen in den USA mit einem Wachstum um sieben Prozent vor; in Europa waren es im Vergleich dazu ­lediglich drei Prozent.

„Investitionen in Innovationen und vor allem die glaubhafte Vermittlung des Nutzens dieser Innovationen für Patienten, Kostenträger und Investoren sind für die Zukunft der Medizintechnikbranche entscheidend, gerade vor dem Hintergrund strengerer Vorschriften für den Markteintritt in den USA”, sagt Lehner. „Die Branche wird sich nicht immer auf das derzeit noch positive Zinsumfeld verlassen können. Investoren wollen in Zukunft noch stärker von der Qualität der Innovationen überzeugt werden. Es muss sich allerdings erst zeigen, ob die höheren Ausgaben für Forschung und Entwicklung tatsächlich ein Anzeichen für mehr Innovation sind oder ob Innovation einfach nur teurer wird.”

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