••• Von Martin Rümmele
WIEN. Neue technische Entwicklungen eröffnen der Medizin neue und zunehmend individualisierte Felder in der Versorgung von Patienten. Die Anwendungsbeispiele reichen vom Miniatur-Chip in einer Tablette, der aus dem Körper heraus Informationen über die Wirkstofffreigabe an den Arzt übermittelt, bis zum digitalen Asthmaspray, das sich via Bluetooth-Technologie mit dem Smartphone koppeln lässt. Pharmaunternehmen greifen diese Entwicklungen auf, indem sie zunehmend Partnerschaften mit Technologiefirmen gehen. Der Einsatz digitaler Technologien ist im Gesundheitswesen zunehmend Realität – und er wirft für alle Beteiligten viele Fragen auf.
Das war den Tenor des Technology Day des Marktforschungsunternehmen IMS Health vor wenigen Tagen in Deutschland. Auf der Agenda standen unter anderem die Dauerbrenner Big Data, Social Media, Multi-Channel-Marketing und Mobile Health. „Innovationen werden nicht nur zur Entwicklung neuer Arzneimittel eingesetzt, sondern sind auch relevant für die direkte Patientenversorgung”, skizzierte Frank Wartenberg, Präsident Central Europe von IMS Health, die Eckpunkte der digitalen Zukunft für die Gesundheitsversorgung.
Nutzen für Alltagsversorgung
Durch die technologischen Entwicklungen würden sich wertvolle Daten aus der Alltagsversorgung generieren lassen, „die es sinnvoll zu nutzen gilt”, sagte er. Denn: Daten aus dem Behandlungsalltag liefern ein realistischeres Bild über die Wirksamkeit einer Therapie als es die Ergebnisse aus randomisierten Klinischen Studien vermögen. Wartenberg: „Die Informationen aus diesen Real-World-Daten helfen an den unterschiedlichsten Stellen im System, wichtige Entscheidungen zu treffen: Krankenkassen können damit zum Beispiel die Versorgung der Versicherten optimal gestalten, Unternehmen ihre Strategien besser bewerten. Selbst auf die künftige Gestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen können reale Daten Einfluss nehmen.”
„Patient Empowerment”
Für den Gesundheitsmarkt sieht Tobias Gantner, Geschäftsführer HealthCare Futurists GmbH, werden sich die Rollen von Patienten und Ärzten in der Zukunft drastisch verändern. „Stichwort Patient Empowerment”, so Gantner: „Menschen erhalten durch digitale Technologien Zugang zu medizinischen Informationen, sie suchen sich Ärzte nach bestimmten Qualitätsindikatoren und fordern eine Teilhabe am Diagnose- und Therapieprozess.” Dieser Forderung müsse sich jeder Akteur im Gesundheitswesen künftig stellen.
Warnung vor Optimismus
Experten warnten allerdings auch vor zu großem Optimismus. Mehr als 100.000 Gesundheits-Apps und unzählige weitere Webangebote rund um das Thema Gesundheit seien derzeit in Umlauf. Es bestehen jedoch für Krankenkassen, Ärzte und Verbraucher keine verlässlichen Übersichten und Informationen zum tatsächlichen Angebot, Qualität und Nutzen. Das liege neben der großen Zahl der Anwendungen unter anderem an einer sehr starken Marktdynamik sowie der geringen Systematisierung und der Unvollständigkeit von Rang- und Linklisten zu bestimmten Angeboten.
Licht in dieses Dickicht bringt eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Im Ergebnis wurden in der Studie sieben Anwendungstypen identifiziert, darunter Apps zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, Verwaltungstools und Anwendungen, die auf eine Veränderung von Verhalten zielen. Demnach unterstützen die meisten Anwendungen Bürger im Gesundheitshandeln bei Information und Orientierung, Expertensuche, Assessment und Untersuchung, Kontrolle und Monitoring sowie Intervention. Die größten ungenutzten Potenziale finden sich allerdings bei Anwendungen zur Analyse und zur direkten oder indirekten Intervention vor allem für akut und chronisch Kranke.
Die Entwicklungen bringen auch enorme Veränderungen und Herausforderungen für IT und Technik in Life-Science-Unternehmen, betonte Murray Aitken, Senior Vice President & Executive Director beim IMS Institute for Healthcare Informatics. „Der Innovations- und Effizienzdruck auf die IT-Abteilungen der Unternehmen ist ungebrochen hoch. Die Anforderungen für die IT-Abteilungen nehmen dadurch zu, ebenso die Notwendigkeit von Spezialwissen und besonderen fachlichen Fähigkeiten.” So habe die Funktion des Chief Information Officer (CIO) in vielen Unternehmen an Bedeutung gewonnen – in den wenigsten Fällen finde sie sich allerdings in der strategischen Organisation wieder. „Weniger als ein Viertel der CIOs in den untersuchten Unternehmen gehört dem Vorstand an, bei Großunternehmen sind es nur 14 Prozent.”
Techniker im Vormarsch
Die Verantwortung für technische Innovation sei dennoch nach wie vor beim CIO richtig verortet, allerdings hätten sich die Anforderungen an seine Rolle bereits verändert: „Digitale Kompetenz gilt heute als unabdingbar für den Unternehmenserfolg”, betonte Aitken. Ein CIO werde daher neben den klassischen Führungskompetenzen wie Ergebnisorientierung nach Aspekten wie Kundenorientierung, Versiertheit im Umgang mit Daten und Veränderungswillen beurteilt. „CIOs können eine wichtige strategische Rolle für die digitale Transformation im Unternehmen spielen, wenn sie die entsprechenden Fähigkeiten entwickeln”, sagte Aitken abschließend.