••• Von Martin Rümmele
Die Krebsmedizin steht offenbar vor richtungsweisenden Entwicklungen. Die sogenannte zielgerichtete medikamentöse Therapie auf der Basis genetischer Tumorcharakteristika und die neuen Immuntherapien revolutionieren die Behandlung zahlreicher Krebserkrankungen, hieß es diese Woche bei einer Pressekonferenz in Hinblick auf den Welt-Krebs-Tag am 4. Februar.
„Seit 2004 kennen wir mit dem Cancer Genome Project alle Gene, die mit Krebserkrankungen in Verbindung stehen. Zwischen 2011 und 2016 sind rund 60 Medikamente der zielgerichteten Krebstherapie registriert worden”, sagt der Wiener Onkologe Christoph Zielinski. Zusammen mit den neuen Immuntherapien mit den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren zur Reaktivierung des bei Krebs oft lahmgelegten Immunsystems der Betroffenen habe das zu einer völlig neuen Situation geführt. „Die Bücher der Krebstherapie müssen neu geschrieben werden.”
Erfolgreiche Therapien
Ein Beispiel dafür ist das Nierenzellkarzinom, wie Manuela Schmidinger, zuständige Programmdirektorin an der Uniklinik für Innere Medizin I im Wiener AKH, ausführte: „Dieser Tumor war lange ein ‚Stiefkind'. Es gab fast nichts in der Therapie.” Doch seit 2006 standen mit den sogenannten Angiogenese-Hemmern, Medikamente, welche den Aufbau der Blutversorgung des Tumors blockieren, neue Wirkstoffe zur Verfügung. „Wir konnten die durchschnittliche Überlebenszeit der Patienten von 13 auf 26 Monate verdoppeln.”
Angiogenese-Hemmer und auch die sogenannte zielgerichtete Therapie scheitern im Endeffekt an der Resistenzentwicklung bei den bösartigen Zellen. Die neuen Immuntherapien zur Reaktivierung der körpereigenen Immunabwehr haben hier einen weiteren, enormen Fortschritt gebracht. Die Onkologin schilderte den Fall eines 46-jährigen Patienten mit im September 2009 diagnostiziertem Nierenzellkarzinom mit Fernmetastasen. „Im Jahr 2010 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung solcher Patienten 7,8 Monate. Dieser Patient hat mehr als neun Jahre überlebt, seit drei Jahren ohne Therapie.”
Industrie wächst
Neue Methoden und die Aussicht auf medikamentöse Durchbrüche führen deshalb auch dazu, dass immer mehr Pharmakonzerne, aber auch Start-ups, sich auf den Bereich der Krebsmedizin spezialisieren. Das wiederum treibt auch den Kreislauf der Forschung an, wodurch immer mehr neue Therapien in immer kürzerer Zeit entwickelt werden. Beobachter sehen sogar einen regelrechten Wettlauf in der Forschung, dessen Ende noch nicht absehbar ist.
Wie berichtet, wird nicht zuletzt deshalb auch kräftig investiert. Boehringer Ingelheim baut etwa, wie berichtet, das in Wien angesiedelte, konzernweite Krebszentrum um mehr als 500 Mio. € aus. Auch Novartis investiert in die Biotechproduktion in Tirol. Die Folge ist aber auch, dass auch spezialisierte Firmen ins Blickfeld von Pharmariesen geraten und übernommen werden – zuletzt etwa streckte BMS die Fühler nach Celgene aus.
Versorgung gefordert
All diese Entwicklungen stellen allerdings auch Herausforderungen an die Versorgung und Finanzierung, sagen Onkologen. Früher erfolgende Diagnosen und vor allem die Fortschritte der Medizin führen dazu, dass immer mehr dieser Leiden zumindest zeitweise in chronische Erkrankungen übergeführt werden können. Das führt zu mehr Menschen, die mit diesen Diagnosen leben, und schließlich auch zu mehr Personen, die auf intensive Hilfe am Lebensende angewiesen sind. „Wir haben einen enormen Aufholbedarf, was die Betreuung im letzten Lebensabschnitt betrifft”, sagt Krebshilfe-Präsident Paul Sevelda. Die politisch Verantwortlichen sollten stärker – so Zielinski – die Bedürfnisse der Krebskranken und ihrer Angehörigen ernst nehmen.