INDUSTRIAL TECHNOLOGY
© Semperit

Paul Christian Jezek 18.11.2016

So holt sich die Industrie Geld für den Fortschritt

Wie AT&S, Kapsch, Lenzing, Polytec, Rosenbauer, Semperit (Bild) & Co. ihre Innovationen finanzieren.

••• Von Paul Christian Jezek

Das Thema ist brandaktuell: Erst vor wenigen Tagen holte sich die Semperit-Gruppe mehr als 140 Mio. € – aber nicht etwa über die Begebung junger Aktien, wie man bei dem börsenotierten Unternehmen vermuten würde, sondern mittels Schuldscheindarlehen. Dabei handelt es sich um nicht weniger als um die größte Kapitalmarkttransaktion in der Firmengeschichte des Kautschukkonzerns: Die Schuldscheindarlehen umfassen drei Fremdwährungs-Tranchen (US-Dollar, polnischer Zloty und tschechische Kronen) mit Laufzeiten von 3, 5 und 7 Jahren. „Mit den Mitteln werden u.a. bestehende Finanzverbindlichkeiten refinanziert und der weitere Ausbau der Produktionsstandorte sichergestellt”, erklärt CFO Johannes Schmidt-Schultes.

„Schuldscheindarlehen sind seit mehreren Jahren fixer Bestandteil unserer Finanzierungsstrategie. Mit der erstmaligen Emission in Fremdwährungen konnten wir uns zu attraktiven Konditionen in Währungen wichtiger Beschaffungs-, Produktions- und Absatzmärkte finanzieren. Semperit nutzt damit das vorteilhafte Kapitalmarkt­umfeld, um seine Finanzierung langfristig zu diversifizieren.”

Genug Geld für „Sinnvolles”

Sehr gute Erfahrungen mit Schuldscheindarlehen hat in den vergangenen Jahren auch schon Palfinger gemacht: „Generell gibt es für heimische Industriebetriebe, welche die übliche Transparenz anbieten, ausreichend Finanzmittel”, bestätigt CEO Herbert Ortner.

„Für Palfinger ist die Niedrigzinsphase von Vorteil, weil wir dadurch billiger andere Unternehmen kaufen können, die wir aus strategischen Gründen erwerben wollen.”
„Es gibt für alle sinnvollen Projekte ausreichende Finanzierungen”, sagt Lenzing-Finanzvorstand Thomas Obendrauf.
Bei „seinem” Unternehmen führte der stärkere Fokus auf Spezialfasern (Modal, Tencel), neue Applikationen und Preisanpassungen im ersten Halbjahr zu einem Umsatzplus von beachtlichen 17% bei Fasern. Das Unternehmen kündigte zudem an, die Kapazitäten im Spezial­faserbereich bis Anfang 2018 um rund 35.000 t zu erhöhen, und fasst weitere größere Investitionen ins Auge – auch im Bereich Industrie 4.0. „Hier setzen wir derzeit einige Projekte um, die aufgrund unserer soliden Bilanz gut ausfinanziert sind”, bekräftigt Obendrauf.
Keinerlei Geldprobleme kann auch CFO Peter Haidenek für den börsenotierten Autozulieferer Polytec erkennen: „Aus unserer Sicht sind die für uns relevanten Kapitalmärkte äußerst liquide und bilden für uns die Grundlage, angestrebte Finanzierungen ohne jedwede Einschränkung zu attraktiven Konditionen durchzuführen.”
Ähnlich entspannt sieht Georg Kapsch – im „Nebenberuf” bekanntlich Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung – die Situation für „sein” Unternehmen. Liquidität sei derzeit ausreichend vorhanden – allerdings in erster Linie für die „Großen”, denn, so Kapsch: „KMU werden – mangels anderer Instrumente als Kreditfinanzierungen – wegen Basel III und IVProbleme bekommen. Daher bedarf es eines Überdenkens von Basel III und eines Vermeidens von Basel IV sowie einer umfassenden Kapitalmarktinitiative!”

Niedrige Zinsen als Problem

Was die konstante Niedrigzinspolitik der Notenbanken betrifft, sind die Meinungen der Firmenchefs und Finanzvorstände geteilt. Beim ebenfalls börsenotierten Feuerwehrausstatter Rosenbauer überwiegen die Vorteile: „Unsere Finanzierung ist schon seit einigen Jahren deutlich günstiger als früher”, sagt Finanzvorstand Günter Kitzmüller. Für Rosenbauer hat die aktuelle Situation noch einen zusätzlichen Vorteil: „70 bis 80% unserer Produktion gehen an den öffentlichen Bereich und der kann sich ebenfalls entsprechend günstiger finanzieren.”

Schoeller-Bleckmann profitiert in Summe ebenfalls von der günstigen Finanzierung auf dem Finanzmarkt, bestätigt deren Chef Gerald Grohmann – „auch wenn wir aus unserer starken Cash-Position derzeit nur einen verhältnismäßig geringen Zinsertrag generieren können”. Aber: „Grundsätzlich ist eine Einflussnahme der Notenbanken immer kritisch zu sehen, weil sie die natürlichen Kräfte der Marktregulierung aushebelt.” Für Lenzing-CFO Obendrauf hat die Niedrigzinspolitik „für uns direkt weder Vor- noch Nachteile”: „Über längere Zeit könnte sie allerdings nachteilig sein, weil dadurch weltweit Unternehmen am Markt Kredite bekommen, die sonst nicht mehr kreditwürdig wären. Diese bieten dann zu Grenzkosten an, weil sie mit jedem erwirtschafteten Euro immer noch über die Runden kommen und tragen damit wesentlich zum deflationären Umfeld bei – in Japan ist das seit vielen Jahren zu beobachten.”
Trotz der positiven Effekte für „seine” Firma hat auch ­Rosenbauer-CFO Kitzmüller einen gewichtigen Einwand: „Auf die gesamte internationale Wirtschaft bezogen, ist die Niedrigzinspolitik nicht gesund, weil sie so negative Auswirkungen auf die Banken hat.”

Besser Fremd- als Eigenkapital

Auch für AT&S ist Eigenkapital in Form von Kapitalerhöhungen in diesem Zinsumfeld weniger interessant. „Fremdkapitalformen wie Schuldscheindarlehen sind hingegen aufgrund der Konditionen sehr attraktiv und es gibt entsprechend kompetitive Angebote – und das international”, meint CEO Andreas Gerstenmayer. Um weiterhin als einer der Technologieführer am Markt zu bestehen, muss AT&S kontinuierlich in Anlagen investieren. Dabei werden auch Industrie 4.0-Lösungen schrittweise in bestehende und neue Anlagen implementiert.

Erntefinanzierung

Für Agrana wiederum wird die Digitalisierung in der Produktion immer wichtiger – z.B. in Pischelsdorf (NÖ), wo in der Weizenstärke- und Ethanolfabrik 2.000 t Getreide pro Tag verarbeitet werden. „Um die Effizienz zu steigern bzw. dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, setzt Agrana auf verstärkte Vernetzung der Anlagen”, erläutert CEO Johann Marihart. „So eine Finanzierung im Rahmen unserer jährlichen Investitionsausgaben von 100 Mio. Euro erfolgt aus dem free Cash Flow.” Auch für die Zucker-, Stärke- und Frucht-Experten sind die niedrigen Zinsen übrigens vorteilhaft, weil ja ein großer Teil des Geschäfts eine Ernte­finanzierung erfordert.

Was die Finanzierungsformen betrifft, ist für Marihart der „richtige Mix” von größer Bedeutung. „Wer eine solide Bonität mit entsprechender Eigenkapitalausstattung aufweist, kann auf verschiedenste Kapital­marktinstrumente zurückgreifen. Agrana nutzt sowohl Schuldscheindarlehen als auch syndizierte Kredite.”

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