INDUSTRIAL TECHNOLOGY
© APG Ricardo Herrgott

Gerhard Christiner, technischer APG-Vorstand und Thomas Karall, kaufmännischer APG-Vorstand (v.l.)

Helga Krémer 21.04.2023

Spannung im System

Die APG beschreibt die Stromversorgung weiterhin als herausfordernd und fordert eine massive Beschleunigung des Umbaus hin zu einem nachhaltigen Energiesystem.

WIEN. Vor rund fünf Monaten hat die Austrian Power Grid (APG) anhand eines Stromstresstest verschiedene Szenarien für die sichere Stromversorgung für den Winter 2022/23 berechnet. Das mit der höchsten Wahrscheinlichkeit angenommene Szenario hat sich im Verlauf des vergangenen Winters weitestgehend bestätigt. Unterstützend wirkten zudem die milden Temperaturen, der sparsame Umgang mit Strom, die Verlängerung der Verfügbarkeit von Kraftwerkskapazitäten in ganz Europa sowie die robuste Ausgangssituation der Gas-Speicherstände in Österreich und Europa. Durch die durchgehend hohe Verfügbarkeit der APG-Grenzkapazitäten von rund 99% war Österreich in der Lage, den im Winter durchgehenden Importbedarf von Strom im Umfang der verfügbaren Netzkapazitäten zu ermöglichen. Der oftmals darüberhinausgehende Mehrbedarf musste über das Hochfahren nationaler Gaskraftwerke (Netzreservekraftwerke) im Zuge von Redispatch (Notfalleingriffe) seitens APG gedeckt werden. „Mit dem Verlauf des Winters können wir aus Sicht der Versorgungssicherheit durchaus zufrieden sein. Österreich war gut auf die herausfordernden Monate durch die hohe Verfügbarkeit des Stromnetzes, die hohen Speicherstände im Gasbereich sowie der Netzreserve vorbereitet. Darüber hinaus konnten rund fünf Prozent des Stromverbrauches eingespart werden“, resümiert Gerhard Christiner, Vorstand APG.

Schwachstellen im System
Trotz dieses positiven Befundes bleiben laut APG jedoch die Schwachstellen des Stromsystems sichtbar: Die Netzkapazitäten reichen aktuell nicht aus, um jederzeit preisgünstig verfügbaren Strom aus dem Ausland nach Österreich zu importieren. Im Jahr 2022 musste daher das Stromnetz mittels Notfallmaßnahmen (Redispatching: Zu- und Wegschalten von thermischen Kraftwerken, um den Netzbetrieb stabil zu halten) an 237 Tagen durch das Hochfahren von österreichischen Gaskraftwerken stabilisiert werden. Dies kostete in Summe 718 Mio. €; in den Wintermonaten Dezember 2022 bis Ende März 2023 betrugen diese Kosten 145,5 Mio. €. Insgesamt mussten in diesem Zeitraum an 71 Tagen derartige Maßnahmen gesetzt werden. „Wir zahlen einen enorm hohen Preis für das Verzögern des Netzausbaus durch langwierige Genehmigungsverfahren“, sagt Christiner. Es seien volkswirtschaftliche Gesamtkosten, die jeder Netzkunde aufgrund zu schwacher Stromnetze bezahlen müsse und die stetig anstiegen.

Vorzeichen für stromwirtschaftlich herausfordernden Sommer
Der Winter hat aber auch gezeigt, welch starke Auswirkung Trockenheit auf die Wasserführung europäischer Flüsse hat. Eine längere Trockenperiode im Sommer kann daher sehr früh zu negativen Auswirkungen in vielen Bereichen der Stromproduktion – u.a. Laufwasserkraft- und Kraftwerkskühlung – in Europa und Österreich führen. „Bereits im vergangenen Jahr verzeichneten wir im Bereich der Laufwasserkraft einen Rückgang von mehr als zehn Prozent. Der um rund drei Prozent verminderte Stromverbrauch in den Sommermonaten vergangenen Jahres konnte dies nur teilweise kompensieren“, so Christiner.

„Auch über das Jahr gesehen, schaffen wir es noch nicht, unseren Strombedarf aus erneuerbaren Quellen zu decken. Damit dieses Ziel bis 2030 gelingt, brauchen wir vor allem im Stromnetz mehr Kapazitäten. Wir müssen dem Ausbau der Stromnetze die gleiche Bedeutung beimessen wie dem Ausbau der erneuerbaren Anlagen und wirklich alle Handbremsen sofort lösen“, appelliert Thomas Karall, Vorstand APG. Nur wenn das gelingt, kann die aus Erneuerbaren gewonnene Energie integriert und nutzbar gemacht werden. „Gelingt das nicht, werden wir bei Importbedarf aufgrund drohender Netzüberlastungen in Österreich weiterhin Gaskraftwerke benötigen und andererseits in wind- und sonnenreichen Stunden Erneuerbare immer häufiger abdrosseln müssen“, warnt Christiner.

APG setzt Meilenstein
Deswegen ist es besonders in Stromspitzenzeiten wichtig, achtsam mit Energie umzugehen. „Stromsparen bleibt weiter eine wichtige Maßnahme, um CO2 einzusparen, die Strompreise zu dämpfen und die Stromnetze zu entlasten“, sagt Karall. Mit dem Powermonitor und Demand-Side-Response (DSR)-Stromsparprodukt hat die APG nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Möglichmachung eines reduzierten Stromverbrauchs zur richtigen Zeit (gemäß der gesetzlichen Verpflichtung des SVRG) im vergangenen Winter gemacht, sondern auch einen Meilenstein zur Nutzung von Flexibilitäten des Stromsystems gesetzt. Industrieunternehmen wurden mittels eines monetären Anreizes dazu motiviert, ihren Stromverbrauch in den Spitzenstunden zu reduzieren oder zu verschieben. APG fungierte bei diesem Produkt als technische Abwicklungsstelle des BMK und nutzte damit die Flexibilität von Großverbrauchern auch für die Systemstabilität. Dutzende Unternehmen interessierten sich für das Produkt. Letztendlich konnten in mehreren Auktionen neue Flexibilitätsanbieter kontrahiert werden, die in Summe 242 MWh gezielt in den Spitzenstunden einsparten. Zum Vergleich: Das entspricht einem Jahresverbrauch von 70 Haushalten. Die Nutzung der Flexibilität der Industrie, die aus diesem Produkt genutzt wurde, belief sich somit auf insgesamt 22 Stunden.

Versorgungssichere Klimaneutralität
Neben der Digitalen Vernetzung aller Akteure des Stromsystems bleibe der unverzügliche Netzausbau die wirksamste Maßnahme, damit die versorgungssichere Energiewende gelinge. „Nur mit massiven und umgehenden Kapazitätserhöhungen im Stromnetz, aber auch in allen anderen Teilen des Energiesystems kann die Energiewende versorgungssicher gelingen. Es gilt volkswirtschaftliche Schäden zu minimieren – dafür sind der Netzausbau und die gleichzeitige digitale Integration aller Akteure in das Energiesystem alternativlos. „Das Gelingen der Energiewende wird im Stromnetz entschieden“, betont der technische Vorstand der APG Gerhard Christiner.

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