WIEN. Nach den letzten Ereignissen in Großbritannien bezüglich Brexit ist die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Austritts Großbritanniens aus der EU am 31. Oktober gesunken. Dafür sind die Chancen vorgezogener Neuwahlen im Vereinigten Königreich noch vor Jahresende sehr hoch. Eine seriöse Prognose über den Wahlausgang ist nicht möglich, allerdings ist eine Mehrheit für die konservative Partei unter Boris Johnson mit eventuell einer Allianz mit der neuen Brexit Partei ein realistisches Szenario.
Bei diesem Wahlergebnis würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb kurzer Zeit zu einem harten Brexit kommen. Es hängt also weiterhin das Damoklesschwert eines ungeregelten Austritts über der EU. Eine Analyse der UniCredit Bank Austria zeigt, dass einzelne Branchen und Bundesländer in Österreich von einem harten Brexit unterschiedlich stark betroffen wären.
Nur 2,3 Prozent des gesamten Außenhandels mit Großbritannien
2018 belief sich der Warenhandel zwischen Österreich und dem Vereinigten Königreich auf ein Volumen von 7,1 Mrd. € bzw. 2,3 Prozent vom gesamten österreichischen Außenhandel. Damit war das Vereinigte Königreich der elftwichtigste Handelspartner für Österreich.
„Mit einem Exportvolumen von 4,2 Milliarden Euro und Importen von 2,9 Milliarden Euro erzielte Österreich im Vorjahr einen kräftigen Handelsüberschuss mit Großbritannien“, meint UniCredit Bank Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer. „Differenziert nach Branchen, sind Waren aus der Kfz-Industrie mit einem Ausfuhrvolumen von über 1 Milliarde Euro die mit Abstand wichtigsten österreichischen Exportgüter auf die Insel.“ Damit gehen über sieben Prozent der österreichischen Kfz-Exporte nach Großbritannien. Mit Respektabstand folgen die Maschinen- und Elektroindustrie mit einem Exportvolumen von 770 bzw. 336 Mio. €.
Autoindustrie durch neue Zölle am stärksten belastet
Falls es am 31. Oktober 2019 zu einem harten Brexit kommt, werden im Handel zwischen Großbritannien und der EU wieder Zölle fällig. Die maximalen Zollsätze je Produktgruppe und andere Handelshemmnisse werden in den Regularien der Welthandelsorganisation (WTO) definiert.
Großbritannien will bei einem ungeregelten Austritt einen Preisschock aufgrund der neuen Tarife auf importierte Güter vermeiden. Deshalb sollen in einer Übergangsperiode die Zollsätze bei einem Großteil der importierten Waren auf null gesetzt werden. „In diesem temporären Tarifregime werden die österreichischen Exporte nach Großbritannien mit Zöllen in Höhe von etwa 65 Millionen Euro oder 1,6 Prozent des Ausfuhrvolumens belastet“, rechnet UniCredit Bank Austria Ökonom Robert Schwarz vor. „Dabei tragen die österreichischen Kfz-Exporte mit durchschnittlichen Zollabgaben von sechs Prozent bzw. 60 Millionen Euro den Großteil der Belastung bei.“ Die Zahlen sind auf Basis der österreichischen Exporte ins Vereinigte Königreich vom Vorjahr berechnet.
Es ist aber auch möglich, dass Großbritannien die laut WTO erlaubten Maximal-Zollsätze auf ihre Importe einhebt. In diesem Tarifregime wären im Vorjahr Zölle in der Höhe von 175 Mio. € auf die österreichischen Ausfuhren angefallen, wobei auch hier die Kfz-Industrie mit 80 Mio. € am stärksten betroffen wäre.
Bei den Einfuhren britischer Waren in die EU bedeutet ein harter Brexit, dass dasselbe Tarifniveau zur Anwendung kommt wie bei Importen aus Ländern mit denen die EU kein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat - wie zum Beispiel China. Bei Verwendung dieser Zollsätze auf die österreichischen Warenimporte aus Großbritannien im Vorjahr hätte sich im Vorjahr eine zusätzliche Belastung von etwa 100 Mio. € oder vier Prozent des Importvolumens ergeben. Auch bei den Importen ist die Kfz-Industrie am stärksten betroffen. Sie müsste mit 50 Mio. die Hälfte der Einfuhrzölle tragen, gefolgt von der Maschinenindustrie mit 11 Mio. €.
Bundesländer vom Brexit unterschiedlich stark betroffen
Die österreichischen Bundesländer wären von einem harten Brexit unterschiedlich stark betroffen. „55 Prozent der österreichischen Exporte nach Großbritannien kommen aus der Steiermark und Oberösterreich, deren Stärkefelder die Kfz- und Maschinenindustrie sind“, betont Schwarz. Der Anteil des regionalen Außenhandels (Importe + Exporte) mit dem Vereinigten Königreich am Regionalprodukt reicht von vier Prozent in der Steiermark bis lediglich 0,7 Prozent im Burgenland.
Die britische Nachfrage nach ausländischen Waren und Dienstleistungen erzeugte 2018 in Österreich eine Wertschöpfung von 4,4 Mrd. € bzw. 1,1 Prozent vom BIP. Rund. 40.000 Arbeitsplätze in Österreich sind direkt oder indirekt von der britischen Nachfrage betroffen. Auch hier gibt es eine große Spreizung zwischen den Bundesländern. Während die britischen Importe von Waren und Dienstleistungen in Vorarlberg eine Wertschöpfung von 1,6 Prozent des Regionalprodukts erzeugt, sind es im Burgenland nur 0,8 Prozent.
Der Brexit birgt aber nicht nur Risiken für die heimische Wirtschaft, sondern auch Chancen. So könnte beispielsweise die Steiermark ein Nutznießer sein, wenn Teile der Autoproduktion von Großbritannien ins Ausland verlagert werden oder Unternehmen, die derzeit Vorprodukte aus dem Vereinigten Königreich kaufen, präferieren in Zukunft eventuell Lieferanten aus einem EU-Land. (pj)