Wien/Hamburg. Ist die Handschrift im digitalen Zeitalter ein verzichtbarer Luxus? Da der Großteil der schriftlichen Kommunikation längst über Computer, Tablet und Smartphone läuft, scheint die Antwort „ja” zu lauten, allerdings haben E-Mail, SMS, Chat & Co die Hersteller analoger Schreibgeräte nicht wie schon vor Jahren vorhergesagt in den Ruin getrieben – ganz im Gegenteil. Die Big Player der Edelfedern-Branche – vor allem Montblanc, Faber-Castell, Montegrappa und Caran d’Ache – haben ihre Produktpaletten ausgebaut, Fashion- und Lifestyle-Brands wie z.B. Hugo Boss ihre Sortimente um Schreibgeräte ergänzt.
Steigende Nachfrage
„Entgegen allen Prophezeiungen erlebte die Handschrift in den letzten Jahren eine regelrechte Neubelebung. Für Handlettering werden Kurse angeboten, handschriftliche Karten gewinnen wieder an Wert und somit auch das Interesse an schönen Schreibgeräten”, erklärt Thomas Pfister, Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb bei Faber-Castell Österreich. Sein Kollege Constantin Neudeck, zuständig für Finanzen und Administration, ergänzt: „Wir sind mit unseren Umsatzentwicklungen vor allem auch am österreichischen Markt sehr zufrieden. Neue Produktserien und eine Erweiterung des Sortiments werden von den Kunden sehr gut angenommen.”
Neue Kundengruppen
Ein zunehmend junges und design-affines Publikum spricht man zum Beispiel mit der Guilloche-Serie an, deren Schreibgeräte und Accessoires bereits in neun Farben – vom klassischen Schwarz bis zu Pink, Violett und Apfelgrün – angeboten werden. Mit Preisen ab etwa 200 € für eine Füllfeder bedient die 1993 eingeführte Nobellinie Graf von Faber-Castell bereits das für alle Luxusmarken so wichtige Einstiegssegment, aber auch an Käufern für die exklusiven und limitierten Modelle der Pen of the Year-Reihe, die einige Tausend Euro kosten, herrscht kein Mangel.
Probleme, seine edlen Schreibgeräte an den Mann bzw. die Frau zu bringen, hat auch Montblanc nicht. Zwar hat das Unternehmen seit den 1990er-Jahren sein Sortiment höchst erfolgreich um Schmuck, Lederwaren, Brillen, Parfüms und Uhren ergänzt, aber laut Oliver Gössler, Managing Director für Deutschland, Österreich und die Benelux-Länder, sind Füllfedern & Co nach wie die stärkste Produktgruppe.
„Die vergangenen drei Jahre waren sowohl für Montblanc International als auch in Österreich überaus erfolgreich. Gerade in Zeiten der Digitalisierung ist ein handgefertigter Montblanc etwas Besonderes und ein Produkt, für das der Kunde bereit ist, Geld auszugeben.” Im Fall der limitierten Editionen, die wegen ihres außergewöhnlichen Designs bei anspruchsvollen Füllfedern-Fans besonders gefragt sind, ist man da schnell im mittleren vierstelligen Bereich. „Ansonsten ist unser Klassiker, das Meisterstück, weiterhin im Fokus und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit auf der ganzen Welt.”
Der digitalen Welt verschließt sich die Nobelmarke aber nicht, sondern hat sie gleich ins Sortiment integriert – einerseits wurden die Serien Star Walker, Montblanc M und Urban Speed um Screen Writer ergänzt, andererseits mit dem Augmented Paper eine Lösung entwickelt, mit der Notizen und Zeichnungen auf Papier einfach per Bluetooth und App auf elektronische Geräte übertragen werden können.
Einzigartige Unikate
Maßarbeit als ultimative Form des Luxus gibt’s – ebenso wie bei Mode, Schuhen oder Schmuck – natürlich auch bei Schreibgeräten.
Die italienische Marke Montegrappa hat aufgrund der stark steigenden Nachfrage nach solchen Unikaten vor Kurzem ein eigenes Atelier eingerichtet, in dem sich zahlungskräftige Kunden Füllfeder mit Miniatur-Malereien oder Gravuren individualisieren lassen können.
Bei Montblanc geht der Bespoke-Service sogar noch weiter; hier wird nicht nur nach den Motto „erlaubt ist, was gefällt und technisch möglich ist” das Äußere den persönlichen Wünschen des Kunden angepasst – Preis ab ca. 200.000 € –, sondern nach einer detaillierten Analyse der persönlichen Handschrift die Goldfeder nach Maß gefertigt. 1.400 € muss man für ein solches Einzelstück berappen, der höhere Komfort und Spaß beim Schreiben soll aber unbezahlbar sein.
Marken-Revivals
Dass das Sprichwort von den Totgesagten, die bekanntlich länger leben, auch auf Edelfedern zutrifft, zeigt sich auch daran, dass Marken, die bereits weg vom Fenster waren, wiederbelebt wurden wie z.B. Conway Stewart, die zum 2014 gegründetem Londoner Start-up Bespoke British Pens gehört, bei dem sowohl private Sammler als auch Firmen wie Jaguar und Rolls-Royce fertigen lassen.
2016 hat das Pforzheimer Schmuckunternehmen Bechtold die deutsche Marke Bossert & Erhard übernommen und die Produktion wieder aufgenommen, und im Vorjahr hat der italienische Unternehmer Emmanual Caltagirone die nach dem Omas-Gründer benannte Marke Armando Simoni Club gegründet.