LUXURY BRANDS & RETAIL
© Julien Martinez Leclerc for Louis Vuitton

britta biron 18.10.2024

Modischer Kreislauf

Schwieriger Wandel Die Modebranche tut zwar viel, um ihr Image als einer der größten Umweltsünder abzustreifen. Der Weg in eine grünere und nachhaltige Zukunft ist aber nicht einfach. Mit wenigen ­Ausnahmen kann man bisher erst eher kleine Fortschritte verbuchen. Seite 4

Paris/Mailand. Seit etlichen Jahren steht das Thema Nachhaltigkeit im Fokus der Modebranche und es wird viel Geld, Manpower und Know-how investiert, um Ressourcen- und Energieverbrauch zu minimieren und für mehr soziale Fairness entlang der gesamten Lieferkette zu sorgen. Ein echter grüner Wandel lässt aber weiterhin auf sich warten, wie etwa der aktuelle Circular Fashion Index (CFX) zeigt, mit dem die Unternehmensberatung Kearney seit mittlerweile vier Jahren die Bemühungen der Modemarken in Richtung Kreislaufwirtschaft bewertet.

„Die meisten Marken arbeiten weiterhin innerhalb ihrer traditionellen linearen Modelle und treffen aus ökologischer Sicht in fast jedem Schritt des Prozesses, von der Rohstoffauswahl bis zur Verbraucheraufklärung, suboptimale Entscheidungen”, fasst Brian Ehrig, Co-Autor des Berichts und Kearney-Partner, die Ergebnisse zusammen.

Materialkreisläufe sind …

Der CFX-Score basiert auf sieben Kriterien der Kreislaufwirtschaft, dazu zählen, wie hoch der Anteil der Produkte aus recycelten Materialien ist, die Verfügbarkeit von Reparaturservices und Sammelstellen für Altkleidung oder in welchem Umfang die Kreislaufwirtschaft ein Thema in der Markenkommunikation ist.
Die 235 analysierten Modemarken erreichten in diesem Jahr einen Durchschnittsscore von 3,2 von 10, was einer Steigerung von 0,23 Punkten im Vergleich zu 2023 entspricht. Betrachtet man die einzelnen Segmente, zeigen sich signifikante Unterschiede. Fast Fashion- und Unterwäsche-Marken kommen im Schnitt nur auf einen Score von 2,8, für Schuhe fällt das Ergebnis mit 3,0 ebenfalls unterdurchschnittlich aus. Luxus- und Sportmarken schneiden mit 3,2 durchschnittlich ab, Premium- und Massmarket-Brands zeigen eine etwas bessere (3,4) Performance. Mit deutlichem Vorsprung an der Spitze liegt der Outdoor-Sektor mit einem Durchschnittswert von 5,4.

… noch Baustellen

Obwohl viele Marken sich im Laufe der Jahre verbessert haben, kann mit Ausnahme der Top 10 – das sind wie schon in den Vorjahren The North Face, Levi’s, Madewell, Patagonia, Gucci, Lululemon, OVS, Coach, Lindex und erstmals auch Gant – keine bei allen sieben Kriterien punkten.
In Teilbereichen gibt es allerdings einige deutliche Verbesserungen. Als ein vorbildliches Beispiel für die Integration eines Kreislaufsystems führt Kearney die Forward Stores von Golden Goose an. 2022 wurde in Mailand der erste Concept Store mit umfangreichen Repair-, Remake-, Resell- und Recycle-Services eröffnet. Mittlerweile gibt es auch einen in New York und in Dubai.
Die Modemarken konzentrieren sich hauptsächlich auf Kommunikationsmaßnahmen, vor allem spezielle Nachhaltigkeitsabschnitte in den Online-Shops. Eine große Lücke besteht nach wie vor beim Reparaturangebot – mit Ausnahme der Luxusmarken, bei denen solche Services schon seit langem Usus sind und in den letzten Jahren auch deutlich ausgebaut wurden. Parallel dazu werden in der fashionablen Oberliga zunehmend auch Recyclingmaterialien verwendet.

Kleine Fortschritte

Prada ist dafür ein schönes Beispiel: Als Miuccia Prada Ende der 1970er-Jahre Nylon als charakteristisches Material der Marke einführte, war das ein Novum. Luxus bedurfte nicht zwingend hochwertiger Materialien, sondern das Design wertete einen alltäglichen und günstigen Stoff auf. Über vier Jahrzehnte hinweg hat Prada bei der Verwendung von Nylon für Accessoires und Konfektionskleidung immer wieder Konventionen in Frage gestellt – allerdings ausschließlich in Bezug auf das Design. Mit dem Launch der ersten Produkte aus 100% recyceltem Nylon erfolgte ein großer Shift auf Materialebene. Ausgangsmaterialien für Re-Nylon sind ausrangierte Fischernetze, Kunststoffmüll von Deponien und Textilfaserabfälle, die in einem komplexen Prozess zu neuem Garn und weiter zu neuen Stoffen verarbeitet werden. Mittlerweile ist die Produktion des gesamten Prada-Nylons auf die Recycling-Version umgestellt. Seit Juli 2023 geht ein Prozent des Erlöses aus dem Verkauf der Re-Nylon-Kollektion an Sea Beyond, ein gemeinsam mit der Ozeanographischen Kommission der UNESCO (IOC) ins Leben gerufenes Bildungsprogramm rund um Nachhaltigkeit und Schutz der Meere.
Auf innovative und nachhaltige Fasern setzt auch Hugo Boss, und zwar auf „HeiQ AeoniQ” – ein Filamentgarn aus zellulosehaltigen Biopolymeren mit vergleichbaren Eigenschaften wie Polyester und Nylon. Das Material wurde vom gleichnamigen Spin-off der Technischen Hochschule Zürich (ETH) entwickelt und soll auf lange Sicht fossile Kunststofffasern komplett ersetzen. Anfang 2022 hat sich die deutsche Modemarke mit fünf Mio. € an HeiQ AeoniQ beteiligt. Kurz darauf wurde das erste T-Shirt aus dem neuartigen Material gelauncht, im Herbst 2023 dann eine aus drei Teilen bestehende Kapsel-Kollektion und vor Kurzem folgte der The Change-Sneaker.

Mehr Engagement nötig

„Diese Erweiterung in neue Anwendungen zeigt die unglaubliche Vielseitigkeit von HeiQ ­AeoniQ”, so HeiQ-CEO Carlo R. Centonze. „Der Partner und frühe Investor Hugo Boss treibt mit diesen stylischen limitierten Sneakern den Wandel voran. Es ist ein großer Schritt nach vorne und eine einzigartige Gelegenheit, den Schuhmarkt weg von Polyester zu verändern.”
Insgesamt wird aber immer noch zu wenig gemacht. „Unsere diesjährige Erhebung zeigt, dass trotz der Verbesserungen im letzten Jahr die Einführung zirkulärer Wirtschaftspraktiken bei weitem nicht ausreicht, um die Umweltauswirkungen der Branche zu mildern”, sagte Dario Minutella, Mitautor des Berichts und Partner bei Kearney. „Marken benötigen ein besseres Verständnis der gesamten wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen einer Materialentscheidung, müssen abwägen, wie sich Prozesse optimalerweise entlang eines Produktlebenszyklus auswirken und sich darauf einigen, wie Erfolg und Misserfolg gemessen werden können.”
Die Kearney-Experten gehen aber davon aus, dass die Marken ihre Anstrengungen steigern werden. Ein wesentlicher Treiber sind geänderte Nachhaltigkeitsvorschriften und -richtlinien wie die „Ecodesign for Sustainable Products Regulation” (ESPR), die ab dem nächsten Jahr schrittweise in Kraft tritt.
Strengere Auflagen sind zwar eine Herausforderung für die Modebranche, bringen aber auch wesentliche Vorteile. Laut Kearney könnte die Nutzung von recycelbaren Materialien bis 2030 um 20-30% ansteigen, was eine signifikante Reduktion von Abfall und CO2-Emissionen zur Folge haben könnte.
Zudem sind mit nachhaltigen Materialstrategien langfristig Einsparungen bei den Materialkosten von bis zu 40% möglich bzw. kann ein Kreislaufdesign den Materialbedarf um bis zu 50% reduzieren.
Höhere Anforderungen an die Modemarken stellen aber auch die Kunden, wie eine neue Umfrage der Textilmesse Premiere Vision und dem Institut Français de la Mode zeigt. Dafür wurden 6.000 Personen in Frankreich, Italien, Deutschland, Großbritannien und den USA befragt, mit dem Ziel, eine umfassende Bestandsaufnahme zu Wahrnehmung, Kaufverhalten und Erwartungen an umweltfreundliche Mode zu erhalten.

Politik & Kunden …

48,8% der Franzosen gaben an, solche Produkte, zu kaufen, im Vorjahr waren es erst 41,1%. In Italien (52,6%) und Deutschland (51,4%) kauft bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung umweltverträgliche Kleidung. Besonders hoch ist das Interesse an „grüner” Mode bei den Jungen. 58,9% der 18- bis 24-jährigen Franzosen haben heuer umweltfreundliche Produkte gekauft. In Deutschland waren es 64,9% und in Großbritannien 65,7%.
Um die Nachhaltigkeit eines Produkts zu bestimmen, orientieren sich die Verbraucher in erster Linie an den Materialien, aus denen es besteht. In Italien ist das für 46,7% sogar der wichtigste Faktor für ökologische Verantwortung. Auch in Großbritannien und den USA hat dieser Punkt mit einem Wert von über 40% viel Gewicht.
Bei den 18- bis 34-Jährigen zeigen sich tendenziell andere Schwerpunkte. So spielt der Faktor Umweltschutz eine etwas größere Rolle als die verwendeten Rohstoffe, um die Nachhaltigkeit eines Produkts zu beurteilen.
Befragt nach den Werten, die sie durch ihre Kleidung zum Ausdruck bringen möchten, gaben mehr als die Hälfte (52,4%) der 18- bis 24-Jährigen an, Marken zu wählen, die ethische und integrative Arbeitsbedingungen fördern. Über alle Altersgruppen spielt dieser Faktor nur für etwas mehr als ein Viertel der Studienteilnehmer (26,3%) eine wichtige Rolle.

… erhöhen den Druck

Zu den hohen Erwartungen der jungen Verbraucher in Bezug auf ökologische und soziale Verantwortung der Modemarken kommt der Wunsch nach mehr Transparenz und Information. Von denjenigen, die in diesem Jahr keine umweltfreundliche Mode gekauft haben, wurde in den USA (34,5%) und im Großbritannien (37,4%) als Hauptgrund der Mangel an Informationen genannt, in Italien war es die Unwissenheit darüber, wo man diese Produkte kaufen kann (33,8%). In Frankreich ist der Preis (41,3%) die größte Hürde.
Dieser Faktor relativiert sich jedoch angesichts der Summen, die junge Kunden im Vergleich zu älteren bereit sind, für nachhaltige Mode auszugeben. Ein ökologisch verantwortungsvolles Outfit bestehend aus Jeans, T-Shirt und Sneakern ist den 18- bis 24-jährigen Franzosen 331 € wert, gegenüber 208 € für die Gesamtbevölkerung. Ähnlich große Unterschiede zeigen sich auch in den anderen Ländern, wobei die US-Bürger insgesamt am spendabelsten sind: 347 € für die 18- bis 24-Jährigen gegenüber 313 € für die Gesamtbevölkerung.
„Der umweltbewusste Konsum in der Mode ist eine Grundbewegung, die sowohl bei der Beschaffung von Materialien als auch bei der Herstellung und dem Transport von Kleidungsstücken zu beobachten ist”, erklärt Florence Rousson, Vorstandsvorsitzende der Première Vision.
Für die nachkommende Generation sei das aber längst nicht genug. Die Modemarken und die Textilindustrie insgesamt müssten ihr soziales und ethisches Engagement verstärken – und das auch möglichst transparent kommunizieren.

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