MOSKAU. Noch wartet er darauf, dass seine Unschuld festgestellt wird. Doch schon zu Prozessbeginn vor zwei Jahren zeigte sich der russische Kultregisseur Kirill Serebrennikow kämpferisch: "Ich bin ein freier Mensch. Und ich will alles tun, um nicht zerrieben zu werden." Der Kultursender Arte widmet sich unter dem Titel "Kunst und Macht in Russland" am Mittwoch (21.8.) um 22.10 Uhr dem Regisseur.
Zu dieser Zeit sah er sich bereits zwischen den Mühlsteinen, wie er meinte. Aber selbst im Hausarrest ließ sich der 49-Jährige nicht einschüchtern "vom System", das er als sinnlos, bösartig und stumpfsinnig gnadenlos beschrieb.
Seit April ist Serebrennikow unter Auflagen wieder frei. Trotz dieser überraschenden Wendung läuft das Gerichtsverfahren noch. Die Doku widmet sich in gut 50 Minuten dem auch an deutschen Theatern gefeierten Regisseur, der wegen seiner tiefenscharfen und kritischen Gesellschaftsporträts bekannt ist.
Der Vorwurf der russischen Justiz: Er soll über seine Produktionsfirma "Siebtes Studio" staatliche Fördergelder in Millionenhöhe unterschlagen haben. In den Augen vieler Kritiker sind die Anschuldigungen politisch motiviert. Das wird auch als Versuch der Regierung gewertet, die kritische Kulturszene in Russland mundtot zu machen.
In der 2018 produzierten Dokumentation nehmen die Anschuldigungen gegen Serebrennikow einen breiten Raum ein. Die deutsch-russische Filmemacherin Katja Fedulowa greift dabei auf frühere Interviews des Regiestars und seiner Weggefährten wie Schauspieler und seinen Anwalt Dmitri Charitonow zurück. Serebrennikow trug eine elektronische Fußfessel. Interviews waren tabu.
"Es gibt nichts Anstößiges an Kirills Vorgehen. Er hat für unser Land ein Produkt hergestellt", sagte Charitonow und berichtet auch von seinen Schwierigkeiten: "Nicht nur, dass die Anklage gegen Kirill absurd ist. Aus juristischer Sicht ist sie auch noch unkonkret und unverständlich. Das macht eine Verteidigung dagegen unmöglich."
Nachdrücklich erzählt der Film von den nicht leichten Umständen während des Hausarrests und dass der Regisseur auch in dieser Zeit äußerst produktiv war. Seine ideenreichen Inszenierungen etwa in Stuttgart und Hamburg studierten jeweils Mitglieder seines Teams ein.
Anwalt Charitonow erinnerte sich, wie das Regieführen aus der Ferne bei Mozarts "Cosi fan tutte" am Opernhaus Zürich funktionierte: "Er scherzte immer: Ich sei sein Regieassistent." Dabei habe der Jurist Serebrennikow nur Videos von Proben zum Auswerten übermittelt.
Die Dokumentation zeichnet seine Biografie nach - im Spiegel der jeweiligen Kulturpolitik Russlands. Schon zu Schulzeiten inszenierte Serebrennikow erste Stücke. Eine Lokalzeitung schrieb damals über ihn: "Er ist nicht talentiert, er ist gefährlich talentiert."
Anhand von bekannten Stücken, etwa dem Ballett "Nurejew", erzählt der Film, wie Serebrennikow sich mit seinen gesellschaftskritischen Arbeiten - von Theater bis zu Spielfilmen - immer wieder Gegner macht; zum Beispiel in der russisch-orthodoxen Kirche. Er gilt dabei als Symbolfigur der Modernisierung der Künste im größten Land der Erde.
2013 wurde der Regisseur gefragt, ob er jemals darüber nachgedacht habe, Russland zu verlassen. Seine Antwort: "Was mich an einem Ort hält, an dem ich mich nicht ganz wohl fühle: die Arbeit." (red)