MARKETING & MEDIA
© APA/Georg Hochmuth

Rubina Möhring.

Redaktion 29.09.2020

„Corona-Causa Tirol“: Klage gegen Recherche-Blog

Das investigativ-journalistische Netzwerk Semiosis sieht sich wegen seiner Recherchen mit der Klage eines Tiroler Hoteliers konfrontiert.

WIEN. Die Causa „Ischgl und Corona“ ist in diesen Tagen wieder großes Thema. Während Amtshaftungsklagen von mutmaßlichen Covid-19-Geschädigten eingebracht worden sind, sieht sich das investigativ-journalistische Netzwerk Semiosis wegen seiner Recherchen mit der Klage eines Tiroler Hoteliers konfrontiert. 
„Es darf kein zweites Ischgl geben“: Eines der geflügelten Worte in diesen Tagen, was Rahmenbedingungen für den Wintertourismus betrifft. Gerade hat die Bundesregierung Vorgaben für die heurige Saison bekanntgegeben. Als mutmaßlicher „Corona-Hotspot“ dominierte das Bundesland Tirol in diesem Jahr bereits die Schlagzeilen. Der Verbraucherschutzverein hat vorerst vier Amtshaftungsklagen von mutmaßlichen Covid-19-Geschädigten eingebracht und unterstellt den lokalen Behörden und verantwortlichen PolitikerInnen auf Bundesebene schwere Fehler beim Pandemie-Management in den Tiroler Skigebieten (Februar und März 2020).

Wie auch andere Medien recherchierte der für das Netzwerk Semiosis arbeitende Blogger und Journalist Sebastian Reinfeldt zu den Vorwürfen, die Tiroler Tourismuswirtschaft und Behörden hätten generell zu spät und zögerlich auf mögliche Corona-Infektionen von UrlauberInnen reagiert. Reinfeldt sieht sich nun mit der Klage eines Tiroler Hoteliers und Politikers konfrontiert. „Kritischer Journalismus darf nicht mit Klags-Drohungen, gerade, was kleinere Medienunternehmen betrifft, verhindert werden“, so Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich, zu diesem Fall.

Vorwürfe, dass er in die Causa „verstrickt“ sei, würden „jeglicher Grundlage entbehren“ und stellen den “Tatbestand der üblen Nachrede“ dar, heißt es in einem Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers, eines Hoteliers aus Gerlos (Zillertal). – Sebastian Reinfeldt: „Im Zillertal hat es angeblich bis zum 17.3. keine Corona-Fälle gegeben, am 29.3. waren es bereits rund 200. Das ist kaum möglich. Daher haben wir recherchiert. Dabei sind wir auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Kaum jemand wollte etwas sagen. Mit einer Ausnahme.“ Das sei die im Text eines Semiosis-Berichtes genannte Quelle. „Diese spricht von einer Omerta, einem Schweigegebot, im Tal. Weil alle vom Tourismus abhängig sind“, sagt Reinfeldt. Der Name des Politikers und Unternehmers fällt in den ersten beiden Absätzen im Text gar nicht.

„Dennoch findet er, weil er weiter unten genannt wird, dass man die Passage auf ihn beziehen könne. Außerdem stellen wir Fragen zu den Umständen der Schließung seines Hotels. Sie waren aus damaliger Sicht fragwürdig, weil sie bereits nach zwei Stunden wieder aufgehoben worden war. Er wehrt sich besonders gegen die Unterstellung, er habe dabei interveniert. Dabei fragen wir nur, OB er interveniert hat. Die Klagen stellen aus unserer Sicht einen Einschüchterungsversuch gegen die kritische Berichterstattung dar“, erläutert der Blogger. 

„Es dürfen keinerlei Einschüchterungsversuche von politischer oder touristischer Seite gesetzt werden im Hinblick auf Pressefreiheit und das Recht der Öffentlichkeit, wahrheitsgetreu und objektiv informiert zu werden“, sagt Möhring. Der Kläger habe sich „das vermeintlich schwächste Gegenüber ausgesucht: Einen Recherche-Blog, der seit Jahren als zivilgesellschaftliches Projekt und nicht gewinnorientiert die Medienlandschaft Österreichs bereichert“, ergänzt Sebastian Reinfeldt. „Wir haben keine Anwaltsteams, die für uns arbeiten. Dennoch werden wir für unsere Presse- und Meinungsfreiheit kämpfen.“  (red)

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL