MARKETING & MEDIA
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Redaktion 10.04.2020

(Digitaler) Stress als ständiger Begleiter

Die Kommunikationsbranche zählt zu den stressigsten überhaupt. Wie damit umgegangen werden sollte.

••• Von Nadja Riahi und Laura Schott

Wer kennt es nicht: Vor dem Einschlafen noch einmal schnell die E-Mails checken, in der Früh warten schon die WhatsApp-Nachrichten in der Gruppe mit den Arbeitskollegen, und in der Mittagspause werden Social Media-Anfragen beantwortet. Die Zeit, in der man die Arbeit am Schreibtisch im Büro gelassen hat, ist in der Kommunikationsbranche schon lange vorbei. Im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr abschalten zu können, führt bei Menschen, die in der Branche arbeiten, zu Stress und nicht selten auch psychischen Erkrankungen.

Eine Studie der University of Cincinnati etwa zeigt, dass Journalisten besonders häufig an Burn-out erkranken; der britische PR-Berufsverband fand heraus, dass in Großbritannien 2018 über 20% der in der Branche beschäftigten wegen Stress, Angstzuständen oder Depression zeitweise der Arbeit fernbleiben mussten, und in Deutschland weisen Dialogmarketer die zweithöchste Zahl an psychisch bedingten Arbeitsausfällen auf.
Was zu solchen Zuständen führt, sind sogenannte psychosoziale Risiken, die laut Definition der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit durch unzulängliche Arbeitsgestaltung und -organisation und mangelndes Arbeitsmanagement entstehen können. Zeitdruck, unregelmäßige Arbeitszeiten und ständige Erreichbarkeit, aber auch die Sorge um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes machen den in der Kommunikationsbranche Tätigen besonders zu schaffen. Journalistin, Work Ability- und CSR-Beraterin Evelyne Huber-Reitan im Interview über psychische Belastungen, digitalen Stress und warum sich Männer nicht gern helfen lassen.


medianet: Frau Huber-Reitan, viele Studien zeigen auf, dass die Medienbranche besonders viel Druck auf die dort Tätigen ausübt. Warum ist das so?
Evelyne Huber-Reitan: In Verlagen ist die Gefahr schon sehr groß. Das hängt mit Organisationsstruktur und der Digitalisierung zusammen, die in den letzten Jahren eingezogen ist. Dieser digitale Stress, der dadurch entstanden ist, hat Medienunternehmen verändert. Da muss man sich anschauen, wie man mit den Menschen umgeht, die diesen digitalen Stress nicht aushalten – aber auch, wie ich selbst mit dem Stress umgehe.

medianet:
Wie würden Sie digitalen Stress definieren?
Huber-Reitan: Dieses ‚Nicht abschalten können'. Das ist eigentlich das Um und Auf und in der Kommunikationsbranche ein riesiger Bereich, weil das Handy eine wesentliche Aufgabe hat: am Abend noch schnell die Nachrichten und Mails checken und so weiter. Durch das permanente online sein können wir uns nicht mehr distanzieren. Es ist nämlich extrem schwierig, den Kopf freizubekommen, viele wissen gar nicht, wie das gehen soll. Sicher, früher hatten wir auch viel Arbeit, aber ohne diesen ständigen Druck, den das Handy in der Tasche macht. Heute hat man quasi die Arbeit überall mit.

medianet:
Würden Sie sagen, dass das alle Generationen gleich betrifft?
Huber-Reitan: Wenn es um den digitalen Stress geht, würde ich sagen, dass die jüngere Generation mehr betroffen ist. Es kann aber auch Menschen, die mit der Digitalisierung nicht vertraut sind, sehr stressen, wenn sie sich im Zuge der Arbeit neue Technologien anlernen müssen. Das merke ich immer öfter. Es ist aber um nichts leichter, wenn man damit aufwächst, glaube ich.

medianet: Kann man sich das überhaupt leisten, sich zu distanzieren als Journalist?
Huber-Reitan: Das ‚Immer-verfügbar-sein' ist das Wesen des Journalismus. Ich finde, es hat noch nie bessere Zeiten gegeben für den Journalismus als jetzt. Das ist schon eine bahnbrechende Zeit mit dem Internet. Oft fällt es aber schwer, sich zu erholen, da muss ich mit jungen Leuten Schritt für Schritt klären, was unter Regeneration verstanden wird. Viele ärgern sich darüber, dass sie krank werden, jedoch sollten sie dankbar sein, dass der Körper reagiert und nach Erholung verlangt. Ich habe gelernt, dass man das Gehirn austricksen kann, den Körper aber nicht.

medianet:
Welche Fehler werden in puncto Stress und Entspannung gemacht?
Huber-Reitan: Ich würde gar nicht sagen, dass der Mensch hier schuld ist, sondern unser Wirtschaftssystem. Dieses ‚Alles ist möglich', man muss noch besser, schneller werden und kann mit einem Tritt in den Hintern alles schaffen. Das stimmt einfach nicht. Irgendwann ist stopp.

Die Unternehmen lernen auch nicht aus den Burn-out-Fällen ihrer Mitarbeiter. Stattdessen fühlen diese sich wie Versager, weil sie etwas nicht geschafft haben. Ein großer Fehler ist auch, dass alle zwei bis drei Jahre die Führungskräfte ausgetauscht werden, die mit neuer Energie alles umkrempeln und vom Rest der Mannschaft verlangen, mit dem Tempo Schritt zu halten. Das funktioniert nicht.


medianet:
Tragen auch die prekären Arbeitssituationen dazu bei, dass Stress in der Kommunikationsbranche eine große Rolle spielt?
Huber-Reitan: Ja, genau so ist es. Prekär ist vor allem die Unsicherheit und egal, was man im Leben macht, mit der Unsicherheit lebt es sich schwer. Wenn man Angst um den Job hat und dann auch noch erhöhte Arbeitsanforderungen, dann funktioniert das für junge Menschen vielleicht für eine Zeit, aber nicht auf Dauer.

medianet:
Das Internet abschalten können wir in der heutigen Zeit nun nicht mehr. Was können wir stattdessen tun, um den Stress zu reduzieren?
Huber-Reitan: Ein positiver Trend ist jedenfalls die Achtsamkeitskultur mit Yoga und Atemübungen. Wir müssen lernen abzuschalten – das ist Schwerstarbeit. Entspannung ist kein Luxus. Die Burn-out-Spirale fängt meist mit Schlafstörungen an, dann folgen Rücken- und Kopfschmerzen, der Körper gibt schon ganz klare Signale.

medianet:
Sie haben eine Liste veröffentlicht mit den Dingen, die man im Falle eines Burn-out machen sollte. Wie läuft Ihre Arbeit mit den Betroffenen dann konkret ab?
Huber-Reitan: Es kommt immer auf die Situation an. Aber eines ist das Wesentliche und manchmal ist es nur dieses eine: die Verleugnung der Situation. Die eigene Wahrnehmung ist die richtige. Wenn eine Situation alle stört, jedoch niemand etwas dagegen tut, dann wird die Wahrnehmung nicht richtig eingeordnet und die eigenen Gefühle geschmälert. Indem ich sage, dass etwas nicht okay ist, tue ich schon etwas für meine Selbstfürsorge. Ich zähle auch mangelnde Wertschätzung zu prekären Arbeitsverhältnissen. Diese Wertschätzung muss man sich dann eben selbst in privaten Kreisen holen.

medianet:
Was kann von der Mitarbeiterseite getan werden, um etwas zu verändern?
Huber-Reitan: Auf der Unternehmensebene aufzuzeigen, dass diese Art zu wirtschaften Menschen kaputt macht. Aufstehen und sagen: ‚Das ist nicht ok'. Das ist natürlich wahnsinnig schwierig, da in einen Konflikt reinzugehen und das zu kommunizieren, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Gegenüber auch nicht in so einer Situation sein möchte.

medianet:
Wie sehen Sie das Thema aus der Genderperspektive?
Huber-Reitan: Ich würde sagen, Männer und Frauen sind ganz unterschiedlich in der Art und Weise, wie sie mit einem Burn-out umgehen und warum sie ihn bekommen. Frauen kommen öfter zu mir, bei vielen Männern brauche ich auch oft eine Dreiviertelstunde, bis sie einmal damit herausrücken, was eigentlich das Problem ist. Bei Frauen kommt oft die Doppelbelastung mit Kindern und auch Pflege von Angehörigen dazu. Es ist ausreichend statistisch belegt, dass solche Doppelbelastungen ein extrem hoher Stressfaktor sind. Manchmal ist es wahrscheinlich auch eine ökonomische Entscheidung, dass die Frau zu Hause bleibt, aber ich bin mir sicher, dass sich das auch ändern wird.

Statistisch gesehen, sind Frauen öfter betroffen. Ich kann aber aus meinen Beratungen sagen, dass es glaube ich noch nicht ausreichend erforscht ist. Männer sterben früher, und wir wissen aber auch nicht genau, warum. Männer schauen ganz anders auf ihre Gesundheit. Das, was bei Frauen Burn-out ist, äußert sich bei Männern oft in Suchtverhalten; das wird dann oft nicht erkannt. Männer lassen sich auch weniger gern helfen als Frauen, Frauen nehmen Hilfe und Unterstützung viel eher an.


medianet:
Gestehen sich Männer ein Burn-out weniger ein als Frauen?
Huber-Reitan: Die gestehen sich das gar nicht ein. Die sehen das nicht, die gehen zum Arzt und sagen: ‚Können Sie mich bitte wieder gesund machen?'

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