MARKETING & MEDIA
© Leisure Christian Jobst

Oliver Böhm, Walter Zinggl, Michael Stix und Josef Almer

Redaktion 19.11.2019

Fernseh-Fakten statt Streaming-Hype: Screenforce räumt mit dem Netflix-Märchen auf

Gattungsinitiative hob bei einer Pressekonferenz am Montag die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des Fernsehens hervor und präsentierte Daten zum Streaming-Markt.

WIEN. „Es herrscht eine enorme Diskrepanz zwischen dem Streaming-Hype in den Medien und dem tatsächlichen Nutzungsverhalten der Menschen“, begrüßt Walter Zinggl (IP Österreich), Obmann der Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT), zur Pressekonferenz von Screenforce Österreich im APA-Pressezentrum. Die Gattungsinitiative der österreichischen TV-Vermarkter ATV, IP Österreich, ORF, ORF-Enterprise, Goldbach Austria, ProSiebenSat.1 Puls 4 und Servus TV nimmt aktuelle Entwicklungen am internationalen Streaming-Markt zum Anlass, um auf die ungebrochene Stärke des Mediums Fernsehen hinzuweisen.

Mit The Walt Disney Company mischt seit einigen Tagen ein neuer Player am Streaming-Markt mit. Laut CNBC konnte das U.S.-Medienunternehmen vergangene Woche bereits über zehn Millionen Abonnenten zählen und attackiert bestehende Anbieter wie Netflix, Amazon Video oder Apple+ mit einem Kampfpreis.

„Die zunehmende Fragmentierung der Streamingangebote führt zur berechtigten Frage nach der Leistbarkeit bei gleichbleibenden Haushaltseinkommen“, so Zinggl.
Durch die Markteintritte neuer Anbieter und den verschärften Wettbewerb sinken zwar die Kosten der einzelnen Angebote. Um breitgefächerte Inhalte wie bei Privatsendern oder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu konsumieren, müssen Konsumenten jedoch immer tiefer in die Tasche greifen. So beendete The Walt Disney Company beispielsweise ihre Zusammenarbeit mit Branchen-Primus Netflix. Wer nun also beide Inhalte sehen möchte, muss deutlich mehr zahlen. Rund 100 Euro werden laut Media Activity Report monatlich in deutschen Haushalten für Medien ausgegeben. Das zur Verfügung stehende Budget für immer neue Angebote ist demnach stark beschränkt. Ein Verdrängungswettbewerb ist schon aus demokratiepolitischer Sicht nicht wünschenswert.

Studien widerlegen das Streaming-Märchen
Entgegen internationaler Trends wird in Österreich in den letzten Jahren immer mehr ferngesehen. Die Nutzungszeit stieg von 161 Minuten im Jahr 2015 auf 180 Minuten im Jahr 2018. Allein von 2017 auf 2018 hat sie um 2,9 Prozent zugenommen. Damit befindet sich Österreich in guter Gesellschaft anderer europäischer Länder wie Italien (+1,6 Prozent) oder Spanien (+1,3 Prozent).

Eine ähnliche Sprache spricht die aktuelle Bewegtbildstudie von GfK im Auftrag von AGTT und RTR Austria: Fernsehen erzielt darin eine Wochenreichweite von 99 bis 100 Prozent in allen Altersgruppen und beweist damit eine noch nie dagewesene Stärke und Relevanz. Insgesamt konsumieren die Österreicher täglich 219 Minuten Bewegtbildinhalte. 85 Prozent davon entfallen in der Gesamtbevölkerung (P14+) auf klassisches Fernsehen (linear und nichtlinear sowie Sender-Mediatheken). Die verbleibenden mageren 13 Prozent (23 Minuten) verteilen sich auf Kanäle wie YouTube, Netflix, Facebook, Amazon Video, Instagram, WahtsApp und Burning Series.

Ein nur leicht anderes Bild zeigt sich in der jungen Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen: Hier entfallen 46 Prozent auf lineares Fernsehen und 61 Prozent auf klassische Fernsehangebote. Der Anteil sonstiger Video-Anbieter liegt lediglich bei 36 Prozent.
„Es ist fahrlässig zu sagen, die jungen Menschen würden nicht mehr fernsehen. Dem widerspricht auch das TV-Engagement zahlreicher Medienhäuser oder der Start unseres neuen Nachrichtensenders Puls 24 von ProSiebenSat.1 Puls 4. Alle neuen Angebote adressieren überwiegend jüngeres Publikum“, betont Michael Stix, Chief Commercial Officer von ProSiebenSat.1 Puls 4.

Erfolgreiche Streamingangebote von Privatsendern und ORF
Zufrieden zeigt man sich bei ProSiebenSat.1 Puls 4 mit der kürzlich lancierten App ZAPPN, die klassische Fernsehangebote mobil macht und neben den eigenen Sendern auch Marktteilnehmer wie Servus TV, Schau TV oder ORF 1 und ORF 2 beinhaltet.

Historische Rekordergebnisse verbucht auch die ORF-TVthek, die vergangene Woche ihren zehnten Geburtstag feierte. Die erfolgreichste Video-Plattform des Landes verzeichnet rund 1,7 Millionen User pro Monat (ÖWA Plus, Q2/2019), 6,6 Millionen Nettoviews und 137 Millionen Nutzungsminuten pro Monat (Teletest Zensus, Jänner-Oktober 2019). Auch das Gebühren Info Service (GIS) des ORF gibt Anmeldungen auf einem sehr hohen Niveau bekannt.

Mit TVNow, der Streaming-Plattform der Mediengruppe RTL, bietet die IP Österreich mehr als nur eine reine Mediathek an. Neben aktuellen Shows finden sich hier zunehmend exklusive Eigenproduktionen, Live-Inhalte sowie beliebte deutschsprachige und US-Serien.

„Etablierte Medienmarken mit einem verlässlichen und journalistisch hochwertigen Nachrichtenangebot geben den Menschen Orientierung. Das zeigt die aktuelle Nachrichtenlage zwischen Ibiza-Video und Trump sowohl an den Reichweiten des ORF als auch in den Privatsendern und journalistischen Digital-Angeboten der Medienhäuser. Eines haben alle Streaminganbieter gemeinsam: keinen Journalismus, keine Nachrichten und keinen Österreichbezug. Sie sind keine Alternative zum Fernsehen, sondern maximal eine Ergänzung im Special-Interest-Segment“, betont ORF-Enterprise-CEO Oliver Böhm.

Hype und Realität: Worüber Österreich spricht
Die Überbewertung der Streaming-Inhalte zeigt sich auch in der aktuellen „Talk of Town“-Studie von IP Österreich aus dem Sommer 2019. Sie untersucht an einem Sample von 1.500 Menschen, wie stark über Top-Formate privater TV-Sender im Vergleich zu den Top-Formaten von Netflix gesprochen wird. 54,9 Prozent geben an die RTL-Show „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ gesehen zu haben und 34,2 Prozent haben die ProSieben-Castingshow „Germany’s Next Top Model“ gesehen. Dem gegenüber stehen spärliche 21,6 Prozent, die „Orange is the new Black“ auf Netflix verfolgt haben.
„Fernsehinhalte haben hohe Relevanz für die Menschen und sind verbindend. Im Kampf um Relevanz ist das eine klare Botschaft an die werbetreibende Wirtschaft, wo Investitionen richtig sind, um Aufmerksamkeit zu erreichen“, unterstreicht Goldbach-Austria-Geschäftsführer Josef Almer.

Fernsehen ins rechte Licht rücken
Um die Bedeutung und Relevanz des Fernsehens zu verdeutlichen, startet die Gattungsinitiative Screenforce aktuell eine Kampagne in allen teilnehmenden österreichischen Fernsehsendern und deren Digitalangeboten. Der von Wirz Werbeagentur konzipierte Spot „Fernsehen. Alles was ich will!“ mit dem gleichnamigen Titelsong von Vincent Bueno zeigt emotional, wie stark Fernsehen die Menschen in allen Lebenslagen verbindet und Teil des sozialen Lebens ist. Er stellt die Nutzung in unterschiedlichen Situationen und auf allen Devices in den Vordergrund, um Bewusstsein für die Medienmarke zu schaffen.

„Auch die Nutzung einer Mediathek in der App am Smartphone ist fernsehen. Der Spot zeigt nicht nur die Vielfalt des Fernsehens, sondern auch die Präsenz vertrauter Medienmarken in allen Lebenslagen“, fasst Zinggl zusammen.
Welttag des Fernsehens: Die Liebe zum Fernsehen
Ebenfalls um die zentrale Rolle des Fernsehens geht es am kommenden Donnerstag, wenn bereits zum 23. Mal der World Television Day gefeiert wird. Aus diesem Anlass wird ebenfalls ein emotionaler Spot über die unendlichen Geschichten, die es am Bildschirm zu entdecken gibt, in den teilnehmenden Sendern ausgestrahlt. Der Weltfernsehtag wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNO) ins Leben gerufen. Er ist dem Welttag der Pressefreiheit gleichgestellt und befasst sich alljährlich mit der Rolle des Fernsehens für gesellschaftsrelevante Themen wie Frieden, Sicherheit, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen sowie Kulturaustausch.

„Durch die hohe Smartphone-Durchdringung hat nahezu jeder Zugang zum Fernsehen. Es muss ein gesellschaftliches Anliegen sein, diese wichtige Informationsquelle leicht zugänglich zu halten und nicht hinter den Paywalls der U.S.-Digitalgiganten zu verbarrikadieren“, hebt Zinggl hervor.

Global TV-Charta bringt mehr Transparenz für die Werbewirtschaft
Während sich die werbetreibende Wirtschaft bei Facebook, Google und Co. auf Daten verlassen muss, die nicht durch unabhängige Dritte evaluiert werden – erst kürzlich musste Facebook 40 Millionen U.S.-Dollar wegen verfälschter Videostatistiken zurückzahlen –, schaffen egta (Association of Television and Radio Sales Houses) und Global TV Group mit der neuen Global TV-Charta einen neuen Standard für die verantwortungsvolle und transparente Messung von Werbung im Fernsehen und Bewegtbild-Ökosystem. Dieser einzigartige, weltweit gültige Messstandard im Video- und Bewegtbildsegment schafft eine solide Basis für Entscheidungsträger in der werbetreibenden Wirtschaft. Durch diesen Standard wird erstmals eine globale Vergleichbarkeit der Daten geboten und eine Brücke zur zunehmend digitalen und plattformübergreifenden Multi-Screen-Werbelandschaft geschlagen. Alle Mitglieder von Screenforce Österreich unterwerfen sich dieser Global TV-Charta. Insgesamt haben bereits über 155 Medienhäuser aus 42 Ländern weltweit die Charta unterschrieben. Neben einer exakten Zielgruppenmessung und mehr Transparenz gibt sie Marketingentscheidern auch wertvolle Informationen zur Brand Safety, die in Zeiten der permanenten Datenpannen der U.S.-Digitalgiganten massiv an Bedeutung gewinnt.
„Fernsehen genießt das Vertrauen der Seherinnen und Seher. Mit der Global TV-Charta geben wir der werbetreibenden Wirtschaft das, was die U.S.-Digitalgiganten nicht geben können und wollen: uneingeschränkte Transparenz und Vergleichbarkeit. Wir haben nichts zu verstecken! In der Partnerschaft mit unseren Werbekunden setzen wir auf Vertrauen!“, sagt Zinggl.

Mit gebündelten Kräften für die Mediengattung
Um die essenzielle Rolle des Fernsehens in der Medienlandschaft stärker hervorzuheben, hat sich Screenforce in den letzten Monaten einem Reformprozess unterzogen und verstärkt die Schlagkraft der Gattungsinitiative. Neben dem etablierten „Screenforce Day“, der sich mit aktuellen Trends und Themen der Marktforschung beschäftigt, wird auch eine „Screenforce Academy“ eingerichtet, um das Wissen rund um das Medium und seine Möglichkeiten im digitalen Umfeld in der Branche zu erhöhen. Zusätzlich zur aktuellen Kampagne mit dem Spot „Fernsehen. Alles was ich will“ werden die Marketingaktivitäten spürbar ausgebaut, um sowohl innerhalb der Kommunikationslandschaft als auch beim Publikum die Wahrnehmung des Fernsehens zu erhöhen. Neu formierte Arbeitsgruppen erarbeiten unterschiedliche Initiativen für das Gattungsmarketing. Zudem soll der Austausch mit anderen Branchen- und Kommunikationsverbänden ausgebaut werden, um vom gegenseitigen Know-how-Austausch zu profitieren.
„Die internationale Zusammenarbeit beim Gattungsmarketing, vor allem bei der Forschung, wird immer wichtiger, weil wir länderübergreifend vor den gleichen Herausforderungen stehen. Im kommenden Jahr werden wir deshalb
erstmalig in Österreich, Deutschland und der Schweiz gemeinsam eine sehr umfassende Studie aufsetzen, in der es um die Wirkung und Rezeption von Bewegtbildwerbung auf den unterschiedlichen Plattformen und Screens geht. Im Fokus steht der Vergleich von linear-stationärem TV und Broadcast-Content auf mobilen Devices mit YouTube, Facebook und Instagram“, kündigt Screenforce-Geschäftsführer Martin Krapf an.
„Screenforce ist die starke Stimme des österreichischen und deutschsprachigen Fernsehens, in der alle relevanten Marktteilnehmer ihre Interessen bündeln. Im Anbetracht der nahezu unregulierten Dominanz der U.S.-Digitalgiganten ist dieser Schulterschluss unter Mitbewerbern die wichtige und richtige Entscheidung, um den Markt gemeinsam vorwärts zu bringen“, schließt Zinggl. (red)

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