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© iab austria/Katharina Schiffl

Redaktion 25.04.2024

iab austria thematisiert gesellschaftspolitische Probleme im Superwahljahr

Im Zuge des iab NETwork „Hate Speech & Fake News“ wurden Einblicke in die Ursachen, Mechanismen und Folgen der zeitgenössischen Diskurskrise geboten.

WIEN. In einer Welt, die von digitaler Vernetzung und Informationsflut geprägt ist, stellt die zunehmende Verbreitung von Fake News und Hate Speech eine Herausforderung beispiellosen Ausmaßes dar. Nicht nur bedrohen die Phänomene die Grundlagen gesellschaftlicher Kommunikation, sondern auch das Vertrauen in demokratische Institutionen. Vor dem Hintergrund eines Superwahljahres lud die Interessenvertretung der Digitalwirtschaft am 23. April zum iab NETwork „Hate Speech & Fake News“, um die vielschichtigen Aspekte der Desinformationskrise zu thematisieren und wirksame Gegenmaßnahmen zu beleuchten. Zu Beginn der Veranstaltung gewährte Kommunikationswissenschaftler Marian T. Adolf von der FH Wien der WKW einen fundierten Einblick in die Ursachen, Treiber und Folgen der Diskurskrise. Im Anschluss tauschten sich Marco Harfmann (A1), Fritz Jergitsch (Die Tagespresse), Ines Holzmüller (Bait), Gerlinde Hinterleitner (derstandard.at), Influencerin Christl Clear sowie Rechtsanwältin Therese Frank unter Moderation von Ursula Arnold (Mindshare Austria & Switzerland), über aktuelle Forschungsergebnisse, bewährte Praktiken und mögliche Gegenstrategien aus.

Kommunikationswissenschaftliche Forschung
Bereits die Messung und Einordnung von Fake News und Hate Speech gestaltet sich als Herausforderung, da verschiedene verwandte Phänomene wie inzivile Kommunikation, Gaslighting und Propaganda oft miteinander verknüpft sind. Auffällig ist jedoch, dass besonders kontroverse Themen, sogenannte „Spaltungsthemen“, von Desinformation betroffen sind. So identifizierte die aktuelle Bertelsmann-Studie „Upgrade Democracy“ unter anderem Einwanderung, Gesundheit und Corona, politische Themen und den Klimawandel als häufige Quellen von Desinformation. Von Hate Speech in sozialen Medien sind rund 31 Prozent der österreichischen Bevölkerung und 39 Prozent der Nutzer sozialer Medien betroffen, wobei insbesondere die jüngere Altersgruppe mit 45,5 Prozent stark vertreten ist.

Die Ursachen sind vielfältig: Psychologische Faktoren wie kognitive Verzerrungen spielen eine Rolle, ebenso wie die medientechnischen Strukturen sozialer Medien und die Rückkehr propagandistischer Kommunikation im großen Stil.

„Die Diskurskrise ist keineswegs ein Nebenschauplatz, sondern bedroht das Fundament der Gesellschaft im Ganzen. Die Medienpolitik hat trotz des Umstandes, dass wir heute in einer globalen, digitalen Mediengesellschaft leben, nicht annähernd die Bedeutung, die sie haben müsste. Dies betrifft sowohl die Förderung qualitativ hochwertigen Journalismus als Garant robuster Information als auch die Regulierung der großen, kommerziellen sozialen Netzwerke, die wir über Jahrzehnte haben schalten und walten lassen“, so Marian T. Adolf.

Trugschlüsse und falsche Therapien
Traditionelle Ansätze wie die Förderung von Medienkompetenz oder das Debunking von Fehlinformationen stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Schließlich ist die Art und Weise, wie Menschen Informationen suchen und verarbeiten, nicht immer rational und belohnt die Plattformen für die Verbreitung von sensationellen Nachrichten häufig mehr als die Genauigkeit von Informationen.

„Die User übernehmen schlicht die Logik der sozialen Medien: Popularität zählt mehr als Akkuratesse, Sichtbarkeit mehr als die Belastbarkeit der Informationen. Dieser Umstand beraubt uns unserer gemeinsamen gesellschaftlichen Wirklichkeit und führt dazu, dass zunehmend alle Chance auf Verständigung, auf Kooperation und Gemeinschaft zusammenbricht“, erklärt Adolf.

Die Folge ist ein allgemeiner Vertrauensverlust in die Informations- und Kommunikationsökologie. Dies führt zu einer gefährlichen Spirale der Polarisierung und Desinformation, welche die Grundlagen der Gesellschaft bedroht. Eine Entwicklung, die durch eine Überlastung mit Informationen, Negativität in den Nachrichten sowie subjektiv wahrgenommene Unzuverlässigkeit des Journalismus verstärkt wird und sich mitunter in dem beunruhigenden Phänomen der „News Avoidance“ manifestiert. Vor allem demografisch gesehen eher jüngere, weniger gebildete, sozioökonomisch schwächere, politisch weniger engagierte und soziale Medien nutzende Gruppen neigen dazu, Nachrichten zu vermeiden.
Branchenexperten im Austausch

Die anschließende Podiumsdiskussion eröffnete Gerlinde Hinterleitner, welche die herausfordernden Anfänge des Standard-Forums beschrieb und die Bedeutung einer moderierten Diskussionsumgebung für einen respektvollen und liberalen Meinungsaustausch hervorhob. Es gelte für traditionelle Medien, auch in den sozialen Netzwerken präsent zu sein und somit eine Gegenposition zu Desinformationen anzubieten. „Um konstruktive Kommentare zu gewährleisten, wird jede Person, welche die Möglichkeit erhält, unter Standard-Beiträgen zu kommentieren, einzeln geprüft. In Diskussionen fällt auf, dass der Ton der ersten Postings zumeist den Ton des gesamten Forums angibt“, so Hinterleitner.

Die Wichtigkeit eines respektvollen Umgangs brachte auch Christl Clear zur Sprache. Die Tendenz, Content Creators nicht als echte Menschen wahrzunehmen, und die in Konsequenz verrohende Diskussionskultur würden der Influencerin zufolge immer erschreckender. Die Zahlen des abnehmenden Medienvertrauens könne sie jedoch nachvollziehen – speziell die teils komplexe Aufbereitung von Themen würde verhindern, dass junge Rezipienten traditionelle Medien nutzen. „Man merkt, dass die Hemmschwelle vor allem nach der Corona-Pandemie sehr gesunken ist. Die Leute wissen nicht, wohin mit ihrer Wut und lassen diese daher in den sozialen Medien aus“, sagt sie.

Einblicke in die mediale Nutzung von Jugendlichen bot Ines Holzmüller, die jungen Menschen mit ihrer Tätigkeit beim Faktencheck-Kanal „Bait“ das nötige Werkzeug in die Hand gibt, um Fakes und Verschwörungsmythen zu enttarnen. Neben einzelnen Personen, die Hasskommentare verfassen, existiere eine ganze Desinformationsindustrie, die gezielt gefördert wird. In Bezug darauf kritisierte Holzmüller vor allem die träge Reaktion der globalen Plattformen und betonte die Wichtigkeit von Transparenz, insbesondere in der Darstellung von Journalisten.

Dass es wesentlich ist, junge Nutzer im Umgang mit sozialen Medien zu schulen, unterstreicht auch Marco Harfmann. In Bezug auf digitale Bildung ist A1 Vorreiter und ermöglicht mit der Initiative „A1 digital.campus“ ein vielfältiges, kostenfreies und innovatives Workshop-Programm für sowohl Kinder, Jugendliche, Eltern als auch Pädagogen.

Rechtlich sei Anwältin Therese Frank zufolge vor allem in den vergangenen fünf Jahren bereits viel passiert, die Herausforderung liege jedoch in der Umsetzung – vor allem in Bezug auf die Anonymität online. Fritz Jergitsch sieht das Problem hingegen vor allem in den Algorithmen der Plattformen. Speziell auf Instagram würde deutlich, dass polarisierende Kommentare durch das erhöhte Engagement bevorzugt und dementsprechend weit oben sichtbar seien.

„Oft sind es diejenigen mit polarisierenden Ansichten, die besonders laut sind. Dadurch entsteht leicht der Eindruck, dass sie in großer Zahl vertreten sind. Weshalb es umso wichtiger ist, für seine Überzeugungen einzustehen, auch wenn es herausfordernd ist“, so Frank.

Aus dem gemeinsamen Austausch ging vor allem die Bedeutung von Transparenz, Respekt und Verantwortung im Umgang mit sozialen Medien für eine gesunde Diskussionskultur hervor. Es wurde ersichtlich, dass die Diskurskrise kein mediales Phänomen ist, sondern vielmehr eine tiefgreifende Krise des gesellschaftlichen Vertrauens und Zusammenhalts, für die es keine einheitliche Lösung gibt. Es gilt daher, ihr politisch und gesellschaftlich auf eine Weise entgegenzutreten, die ihrer Dringlichkeit angemessen ist.

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