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© Katharina Schiffl

Redaktion 29.01.2021

Mit Lieferservice und Lokalität zum Erfolg

Nah&Frisch legt 2020 über dem langjährigen Schnitt zu. Geschäftsführer Hannes Wuchterl im Interview.

••• Von Oliver Jonke und Paul Hafner

Die Krise trifft bekanntermaßen kleinere Unternehmen und Betriebe im Regelfall stärker als große Konzerne. Dass sich auch die Verbundgruppe Nah&Frisch eines Umsatzplus erfreuen kann, verdankt sie nicht zuletzt dem Einsatz der Kaufleute und ihren Teams, die vielerorts kurzerhand ein Lieferservice auf die Beine stellten und im vergangenen August im Rahmen einer Marketagent-Umfrage zu den besten Mitarbeitern im österreichischen LEH gekürt wurden.

medianet-Herausgeber Oliver Jonke und retail-Redakteur Paul Hafner trafen Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl zum Gespräch über ein schwieriges, aber erfolgreiches Jahr und die Pläne für 2021.


medianet:
2020 war für viele kein einfaches Jahr – wie war es für Nah&Frisch?
Hannes Wuchterl: Auch für uns war es ein extrem herausforderndes Jahr, angefangen mit der plötzlichen Verkündigung der Maskenpflicht und der damit einhergehenden Unklarheit, woher wir denn die Masken nehmen sollen, und ob sichergestellt ist, dass wir noch weiter aufsperren können. Gott sei Dank und nicht zuletzt dank dem großartigen Einsatz unserer Kaufleute in den Orten haben wir diese und alle folgenden Herausforderungen – besonders jene logistischer Natur, Stichwort Klopapier – gut bewältigt und konnten, wie auch die anderen Lebensmittelhändler, die Nahversorgung unserer Kunden sicherstellen.

medianet:
Wie ist das Jahr umsatztechnisch zu bewerten?
Wuchterl: Wir haben natürlich als Lebensmittelhändler im Großen und Ganzen profitiert und – durch harte Arbeit – ein schönes, deutliches Plus über unserem langjährigen Schnitt erwirtschaftet.

Es ist natürlich so, dass diese Krise auch die selbstständigen Kaufleute sehr unterschiedlich getroffen hat; wir wissen alle, dass sich die Bewegungsströme österreichweit verändert haben. Das war für einige Standorte ein großer Vorteil, für andere wiederum eine sehr dramatische Entwicklung. Wir haben Kaufleute, die sich an einem satten zweistelligen Plus erfreuen können, andere haben 2020 weniger Geschäft gemacht als in den Jahren davor.


medianet:
Wie erklären sich derartige Unterschiede?
Wuchterl: Infolge von Schulschließungen, der Unterbrechung von Bautätigkeiten oder auch der Verlegung der Arbeit ins Homeoffice sind an einigen Standorten viele Kunden mit einem Schlag für Wochen bis Monate weggefallen. Vor diesem Hintergrund sehe ich in Summe ein gesundes Plus für Nah&Frisch, aber mit weniger Standorten auf wahrscheinlich auch weniger Verkaufsfläche – weil zum Teil auch kleine, relativ ‚schwache' Standorte, die vorher schon strukturell problematisch waren, nun noch eher vom Netz kommen, was auch einem Abbild der gesamten Wirtschaft entspricht.

Ein weiterer Faktor sind Nah&Frisch-Geschäfte, die auch eine Postpartnerschaft pflegen. Ein wichtiger Aspekt dieser Partnerschaften sind die Paketdienstleistungen: Sie bringen den Kaufleuten mit wenig Aufwand Provisionen für Pakete, die sie entgegennehmen, weil Kunden bei der Zustellung nicht zu Hause waren. Aufgrund der Pandemie sind die Leute jetzt viel mehr zu Hause – und können ihre Pakete dadurch auch viel öfter selbst entgegennehmen. Das heißt umgekehrt, dass den Nah&Frisch-Kaufleuten ein für die Profitabilität der Postpartnerschaft ganz essenzielles Element verloren gegangen ist. Angesichts dieser Umstände erwägen viele Kaufleute, die eigentlich für alle Seiten wichtige Partnerschaft unter diesen Konditionen zu beenden – weil sie schlichtweg ein Verlustgeschäft darstellt.


medianet:
Inwiefern kann die Organisation Standorte, die unter der Krise gelitten haben, aber prinzipiell ‚gesund' sind, bei der Bewältigung unterstützen?
Wuchterl: Natürlich kommen, speziell zwischen den Großhandelshäusern und Kaufleuten, Stundungsmodelle infrage, wenn etwa der Kaufmann oder die Kauffrau nicht in der Lage ist, eine Lieferung vollständig zu bezahlen. Das ist auch nichts Neues, Krisen gibt es ja immer wieder, etwa wenn einem Standort durch eine Straßensperrung 30 Prozent Umsatz wegbrechen – dann wird dem Kaufmann bei diesem sehr konkreten und lokalen Problem natürlich über die Runden geholfen.

medianet:
Was hat Nah&Frisch im Jahr 2021 vor?
Wuchterl: Das hängt unter anderem davon ab, was die Politik und die Coronakrise uns erlauben vorzuhaben. Wir haben unsere Ideen und Vorstellungen, aber gewisse Dinge von der Leine zu lassen, ohne ein Mindestmaß an Planungssicherheit zu haben, wäre unprofessionell. Mit der Einführung der FFP2-Maskenpflicht wurden wir etwa kürzlich genau wie damals beim ersten Lockdown ohne Vorankündigung überrascht – unser erster Gedanke war natürlich: Wo sollen wir die so jetzt schon wieder herbekommen? Wenn wir das mit genügend Vorlauf gewusst hätten, wäre uns da sehr geholfen gewesen.

Eine ganz entscheidende Initiative von Nah&Frisch für 2021 wäre etwa der große Roll-out unseres Gastro-Konzepts ‚Mei Eck' – ein standardisiertes Kaffeeangebot für unsere Kunden, entsprechend dem Platzangebot im jeweiligen Standort vielleicht nur ein Stehtisch, eine Sitzecke oder auch ein relativ breites Angebot an gastronomischen Produkten bis hin zu warmer Mittagsküche. Aber wie sollen wir das ausrollen, wenn wir nicht wissen, wann, wo und wie das möglich ist? Schließlich bürden wir unseren Kaufleuten damit doch gewisse Investitionen auf. Wir haben 2020 in Summe 25 ‚Mei Eck'-Standorte eröffnet. Damit haben wir im März angefangen und haben gleich wieder zusperren müssen. Seit November ist die Gastro wieder zu – das heißt: Der Kaufmann hat jetzt in dieses Konzept investiert und kann damit eigentlich kein Geld machen. Also: Wir haben schon Ideen und Konzepte, aber es gibt viele Unwägbarkeiten, die eine zeitliche Planung nicht zulassen. Auf jeden Fall geplant ist aber der Ausbau unseres Lieferservices ‚Der Kaufmann bringt’s'. Hier haben wir im vergangenen Jahr gesehen, dass das von unseren Kaufleuten geleistete Lieferservice dem üblichen Onlineshopping im LEH um Längen voraus und überlegen ist und die Lieferung in den allermeisten Fällen sogar am gleichen Tag erfolgt. Das ist ein Profilierungsthema für unsere Kaufleute, das wir 2021 auf jeden Fall fördern möchten.


medianet: Hat sich Nah&Frisch trotz der vielen Unwägbarkeiten konkrete Ziele für 2021 gesetzt?
Wuchterl: Unser Hauptziel ist es, auf ungefähr gleichbleibender Fläche ein profitables Wachstum, möglichst für jeden einzelnen Kaufmann, zu schaffen. Hier erwarten wir uns viel vom ‚Mei Eck'-Konzept, das schon im Vorjahr in der kurzen Zeit nach dem ersten und vor dem zweiten Lockdown gut angelaufen ist. Eine dunkle Wolke am Horizont ist sicherlich die Kaufkraft, die aller Voraussicht nach heuer geringer sein wird als zuvor. Es gibt einerseits den ganz klaren Trend hin zu regional und lokal, nachhaltig und bio, auf der anderen Seite steht die große Frage: Was können sich die Leute leisten und, Stichwort hohe Sparquote, was wollen sie sich leisten?

In jedem Fall werden wir heuer das Thema Lokalität – unsere Initiative ‚Aus’m Dorf' – noch stärker als bisher ausbauen. So wollen wir dafür sorgen, dass jeder Kaufmann sein lokales Differenzierungssortiment mit Artikeln direkt aus dem Dorf hat, mit dem er sich auch von jedem Mitbewerber entsprechend klar abheben kann. Bei uns wird ganz, ganz enge Kreislaufwirtschaft praktiziert: Der Bauer, der die Erdäpfel von seinem Feld holt und hinten ins Lager des Nah&Frisch-Standorts bringt, kauft vorn für seinen täglichen Bedarf ein.


medianet:
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Wuchterl: Ich appelliere an die Regierung und insbesondere an Landwirtschaftsministerin Köstinger, bitte endlich damit aufzuhören, uns, den Handel, als den ‚Feind' österreichischer Produzenten anzusehen – das sind wir nicht! Wir sind der wichtigste Partner für die österreichische Landwirtschaft – um zu präzisieren: der österreichischen Landwirtschaft, die Qualität produziert. Ich würde Frau Köstinger gern zum Gespräch mit uns als kleinem regionalem Player einladen, der genau bei jenen kleinen Produzenten direkt einkauft, deren Schutz ihr selbst ja auch sehr am Herzen liegt. Nirgendwo ist es leichter, kleinen Produzenten eine Bühne zu bieten, als bei uns.

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