WIEN. „Früher hatte die ÖVP einen Kandidaten, aber keine Mehrheit, jetzt hätte sie eine Mehrheit, aber keinen Kandidaten“, so ein gängiger Spruch am Wiener Küniglberg, dem Sitz des ORF, wenn es um die Frage ging, wessen Kandidat den ORF-Chefsessel besetzen würde. Nun sieht die Lage ganz anders aus: Ab 1. Jänner 2022 ist Roland Weißmann neuer ORF-Chef. Für Weißmann stimmten die 15 ÖVP-nahen Stiftungsräte, vier ÖVP-nahe Unabhängige, ein FPÖ-Vertreter und die drei Grünen Stiftungsräte.
Amtsinhaber Alexander Wrabetz bekam fünf rote Stimmen und eine BZÖ / FPK-Stimme. Die einzige Frau im Feld, Lisa Totzauer, sammelte drei blaue Stimmen ein, eine von den Neos und eine SPÖ-nahe Unabhängige.
ÖVP nützt ihre Mehrheit für Wechsel an der ORF-Spitze
Doch spätestens nach der Kandidatur von Roland Weißmann war es zumindest sehr naheliegend, dass die Rekord-Ära von Alexander Wrabetz als ORF-Generaldirektor zu Ende gehen würde und die ÖVP ihre Mehrheit im Stiftungsrat nützt, um „ihren“ Kandidaten an die Spitze des größten heimischen Medienunternehmens zu setzen.
Noch am Morgen des Wahltags wandte sich der Fraktionschef des ORF, Heinz Lederer, an die im ORF anwesenden Medien-Journalisten und meinte: „Die Kopie ist nie so gut wie das Original“ und der Track-Record müsse Einfluss haben auf das Wahlergebnis, also in diesem Fall Einfluss auf eine erfolgreiche Wiederwahl von Alexander Wrabetz.
Screenshot sorgt für Wirbel
Für Aufsehen kurz vor der Wahl sorgte ein aufgetauchter Screenshot einer Skype-Konferenz schwarzer bzw. türkiser Stiftungsräte, bei der nicht nur der Kanzler-Medienbeauftragte Gerald Fleischmann, sondern auch Roland Weißmann, unabhängige ORF-Stiftungsräte und auch diverse ÖVP-nahe ORF-Landesdirektoren zu sehen waren.
Alexander Wrabetz wird sich durch dieses Bild bestätigt fühlen, wiederholte er doch vor der Wahl seinen Vorwurf in Richtung Sebastian Kurz, dass in Wahrheit dessen Medienbeauftragter Fleischmann bestimmt habe, dass die ÖVP-Stiftungsgsräte auf jeden Fall Roland Weißmann ihre Stimmen zu geben hätten, um ihn, Wrabetz, abzuwählen.
Weißmann selbst betonte, schon bei der Verkündung seiner Kandidatur nie ein Parteibuch besessen zu haben und strich mehrmals die Bedeutung eines unabhängigen ORF hervor.
Grüne stimmen für Weißmann
Interessant war, dass die Vertreter der Grünen im letzten Moment ebenfalls für Weißmann stimmten, womit die Mehrheit nicht mehr knapp, sondern – mit den zusätzlichen Stimmen der unabhängigen Betriebsräte, die bei jeder Wahl am Ende meist für den späteren Sieger stimmten – dann deutlich ausfiel. Die ÖVP hätte die Stimmen der Grünen nicht gebraucht, doch war es vermutlich der Versuch, den vor allem von Alexander Wrabetz im Vorfeld der Wahl wiederholten Vorwurf an die Regierung Kurz, ihn als erfolgreichen ORF-Chef rein aus parteipolitischem Machtkalkül abmontieren zu wollen, zu entkräften.
Im Vorfeld der Wahl war der Ton zwischen den Kandidaten deutlich rauer geworden. So nannte Wrabetz seinen Konkurrenten Weißmann in einem Interview einen „lieben, netten Kollegen“, sprach ihm aber gleichzeitig die Qualifikation ab, ein so großes Unternehmen wie den ORF zu führen. Weißmann, derzeit Vize-Finanzchef des ORF, TV-Chefproducer und ORF.at-Geschäftsführer, war zuletzt für die Implementierung des neuen ORF-Players zuständig – neben dem neuen Newsroom eines der wichtigsten Projekte des ORF überhaupt.
Weißmann schlägt versöhnliche Töne an. In seiner ersten Pressekonferenz als neu gewählter ORF-Generaldirektor meinte Roland Weißmann: „Eine breite Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg hat mir den Auftrag gegeben, mein Zukunftskonzept, mit dem ich mich beworben habe, auch umzusetzen. Dieses Vertrauen ist mir ein großer Ansporn. Mit meinem künftigen Team und den tollen Mitarbeitern werden wir weiterhin täglich daran arbeiten, das beste Programm im Fernsehen, Radio und Online für unser Publikum zu machen“, so Weißmann in einer ersten Reaktion vor Journalisten.
Der neue Generaldirektor streut aber auch dem scheidenden ORF-Chef Rosen: „Mein besonderer Dank gilt Generaldirektor Alexander Wrabetz. Er hat mir ein gut bestelltes Haus übergeben. Wir sind bei den Quoten und Marktanteilen so gut wie schon lange nicht mehr und da werden wir auch weitermachen. Auch habe ich die letzten zehn Jahre gut mit ihm zusammengearbeitet.“ Der neue Generaldirektor führt ins Treffen, dass er sich auch deshalb für den Job als Generaldirektor gut gerüstet sieht, weil er das Haus sowohl aus seinen Funktionen journalistischer, aber auch kaufmännischer Art kennt. „Diese zwei Dinge gilt es nun zu vereinen“, so Weißmann.
Am Ende seiner ersten Wortmeldung versuchte Weißmann die Wogen in Richtung seines unterlegenen Gegners zu glätten, als er meinte, dass es trotz anderslautender Stimmen kein Wahlkampf, sondern die Bestellung eines Vorstands gewesen sei und so müsse man es auch sehen. Den just am Wahltag aufgetauchten Screenshot, der Weißmann beim Treffen mit diversen ÖVP-nahen Stiftungsräten und auch dem Kanzler-Medienbeauftragten Gerald Fleischmann zeigt, wollte der neue ORF-Chef nicht überbewertet wissen: „Ich habe in der Vergangenheit viele Stiftungsräte getroffen, um mich mit ihnen über für den ORF wichtige Zukunftsfragen zu unterhalten. Im Gegenteil, es wäre problematisch, wenn ich das nicht tun würde.“ Die aus solchen Treffen gezogene Vermutung, es gäbe auch Absprachen zwischen ihm und der ÖVP oder einer anderen Partei verneint Weißmann: „Mit mir hat es und wird es nie Absprachen gegeben“, so Weißmann eindeutig.
Wer entscheidet über Newsroom-Posten?
Die Ankündigung von Wrabetz, trotz Abwahl bestimmte Führungspositionen im neuen Newsroom noch vor seinem Abgang zu besetzen, kann Weißmann so nicht bestätigen: „Ich bin überzeugt, dass wir die in der Übergangszeit anstehenden Fragen gemeinsam abarbeiten werden. Der Generaldirektor hat mir gesagt, er werde mich in den wesentlichen Punkten einbinden und das genügt mir vollständig.“
Was macht Alexander Wrabetz?
Naturgemäß enttäuscht zeigte sich Alexander Wrabetz vom Ausgang der Wahl. Er habe, so der scheidende Generaldirektor, bis vergangenen Sonntag mit einer Wiederwahl gerechnet. Nun sei es eben anders gekommen: „Ich wurde nach vielen erfolgreichen Jahren abgesetzt, aber das ist eben die Entscheidung des Stiftungsrats gewesen, und die ist zu respektieren.“ Es sei eine großartige Aufgabe gewesen, für den ORF zu arbeiten, so Wrabetz. Trotz diverser öffentlich ausgetragener Differenzen zeigt sich auch Wrabetz in Richtung des neuen ORF-Chefs versöhnlich: „Ich habe das nicht alles mit viel Herzblut und Energie gemacht, damit das dann den Bach runtergeht. Ich werde das Meinige dazu tun, dass die neuen Geschäftsführungsmitglieder gut vorbereitet ihr Amt übernehmen können.“ Auch, so Wrabetz, wenn bekannt sei, „dass keines der Mitglieder Erfahrung in der Geschäftsführung“ habe, so der unterlegene Generaldirektor.
Zur eigenen Zukunft äußerte er sich nicht. Einen Plan B habe er nicht, so Wrabetz. Doch eine Option taucht unter Journalisten immer wieder auf: Der ausgewiesene Kultur- und Classic Aficionado Wrabetz wäre für so manchen ein optimaler Nachfolger von Helga Rabl-Stadler, die Ende dieses Jahres als Präsidentin der Salzburger Festspiele nach 25 Jahren in Pension geht.
Das Interessante an der Causa: Für so einen großen Betrieb wie die Salzburger Festspiele scheint es eher ungewöhnlich, dass weniger als fünf Monate vor Ende der jetzigen Geschäftsführung Rabl-Stadler von einer potenziellen Nachfolge rein gar nichts zu hören war und ist. Üblicherweise wird eine Nachfolgeregelung für eine Kultureinrichtung diesen Ranges, die ja auch mehrere Jahre im Voraus planen muss, mindestens eine Saison vor dem geplanten Wechsel verkündet. Und: Corona hat all das durcheinandergebracht, denn Helga Rabl-Stadler, die ja im Jubiläumsjahr 2020 aufhören wollte, hat vergangenes Jahr ungeplant für ein weiteres Jahr bis Ende 2021 verlängert. Für einen möglichen Festspielpräsidenten Alexander Wrabetz wäre diese zeitliche Verzögerung rückblickend eine günstige Fügung des Schicksals.
VÖP hofft auf Kooperation
Seitens des Verbands der Privatsender reicht man dem neu gewählten ORF-Generaldirektor die Hand. VÖP-Geschäftsführerin Corinna Drumm gegenüber medianet: „Gerade in dieser für Medien höchst herausfordernden Zeit muss die österreichische Medienbranche den Herausforderungen gemeinsam begegnen. Kooperation ist mehr denn je der Schlüssel zum Erfolg. Roland Weißmann hat in seinem Konzept und in zahlreichen Interviews seinen Wunsch nach Kooperation des ORF mit privaten Medien klar formuliert – er trifft damit bei den Privatsendern auf offene Ohren. Das bisherige Konkurrenzverhältnis zwischen ORF und privaten Medien schadet dem Medienstandort mehr, da die unterschiedlichen Voraussetzungen einen fairen Wettbewerb verhindern. Der ORF sollte stattdessen Verantwortung für den Medienstandort übernehmen und sich zum Kooperationspartner für Privatsender entwickeln. So können wir uns zusammen für Medienvielfalt und -qualität in Österreich einsetzen und die anstehenden Herausforderungen gemeinsam meistern. Darauf freue ich mich schon jetzt.“
VÖZ und Neos gratulieren
„Mit der gestrigen Entscheidung stellte der ORF-Stiftungsrat die Weichen für die zukünftige Ausrichtung des Österreichischen Rundfunks. Der Verband Österreichischer Zeitungen gratuliert Roland Weißmann zu seiner neuen Aufgabe. Im ORF und seiner Führung fanden die heimischen Zeitungen und Magazine verlegerischer Herkunft immer einen verlässlichen Partner zur Sicherung der österreichischen Medienlandschaft. Wir freuen uns daher auf die weiterhin gute Zusammenarbeit mit dem ORF und seinem zukünftigen Generaldirektor Roland Weißmann“, gratuliert Markus Mair, Präsident des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ).
Auch Gerald Grünberger, Geschäftsführer des VÖZ, gratuliert dem neu bestellten Generaldirektor und verweist auf die zukünftige Zusammenarbeit: “Schon in der Vergangenheit fanden wir im ORF ein Medienunternehmen, welches dem qualitativen Journalismus das gleiche Verständnis entgegenbringt, wie es dies auch die Mitglieder des VÖZ tun. Ich gehe davon aus, auch im neuen Generaldirektor einen entsprechenden Partner erwarten zu können, insbesondere wenn es etwa um die zukünftige Gestaltung fairer Rahmenbedingungen im digitalen Raum oder aber die Umsetzung des ORF-Players geht. Es gilt, die unterschiedlichen medienpolitischen und -ökonomischen Voraussetzungen sowohl des öffentlichen Rundfunks als auch der Medien verlegerischer Herkunft zu berücksichtigen und gleichzeitig die Angebotsvielfalt des heimischen Medienmarktes weiterhin sicherzustellen.“
Auch Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter äußert sich positiv Zur Wahl von Weißmann: „Es liegt eine Fülle an Herausforderungen vor Roland Weißmann, der sein Amt mit dem Geruch des politischen Mauschelns antreten muss. Jetzt muss er beweisen, dass er den ORF in eine neue Zeit führen und ihn zukunftsfit aufstellen kann. Ein modernes Medienhaus braucht moderne Strukturen, die bis dato auf sich warten lassen. Um seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag unabhängig nachkommen zu können, muss der ORF sich grundlegend erneuern“, so Brandstötter, die sich überzeugt zeigt, „dass Weißmann als erste Amtshandlung eine echte Strukturreform und Entpolitisierung anstößt und die Regierung die lange angekündigte Reform des ORF-Gesetzes endlich vorlegt.“
Die von den Neos in den Stiftungsrat entsandte Anita Zielina hatte übrigens für Lisa Totzauer gestimmt.
SPÖ kritisiert Bestellung und spricht von „Mediendompteuren“
Gänzlich in die andere Richtung klingt die Reaktion der SPÖ: „Mit der Bestellung von Roland Weißmann zum ORF-Generaldirektor greift das türkise Regime unverhohlen nach dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Mediendompteure im Kanzleramt haben ganze Arbeit geleistet und die Bestellung des Wunschkandidaten von Kanzler Kurz unter dem Beifall der grünen Statisten durchgepeitscht“, sagt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch
Der SPÖ-Vertreter im ORF-Stiftungsrat, Heinz Lederer, spricht von einer „Zäsur“ und mahnt die von Weißmann angekündigte Zusammenarbeit etwa in der Frage der Gebührenerhöhung mit dem Noch-Generaldirektor ein. Enttäuscht zeigt sich Lederer vor allem von den Grünen, die laut Lederer ein „Grünes Feigenblatt“ wären.
ÖVP kontert Kritik
Seitens der ÖVP ließ man die Kritik nicht auf sich sitzen. Axel Melchior, Mediensprecher und Generalsekretär der ÖVP, in Richtung SPÖ: „Die SPÖ hat einmal mehr bewiesen, dass sie wie immer jemanden mit rotem Parteibuch an der Spitze des ORF wollte. Nur deshalb empört sich die SPÖ an der Entscheidung des Stiftungsrats, der nun einen Journalisten und Manager ohne Parteibuch zum neuen ORF-Chef gewählt hat.“
Dem neuen ORF-Generaldirektor gratulierte der Mediensprecher und wünschte ihm alles Gute für seine bevorstehende Aufgabe, und: „Ein erfolgreicher ORF liegt in unser aller Interesse; dementsprechend wichtig ist es, dass die neue Generaldirektion die Weiterentwicklung des ORF vorantreibt. Alexander Wrabetz danke ich für seine Arbeit in den vergangenen Jahren“, so Melchior abschließend. (Dinko Fejzuli/Anna Putz)