KÖLN / WIEN. Knapp 1.000 Interessierte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum waren am Dienstagvormittag,
8. März 2022, live dabei, als am Weltfrauentag drei Expertinnen erklärten, welche Themen heuer spielentscheidend im Marketing sind. Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Greenwashing, das Konsumverhalten der Generation Z standen ebenso auf der Agenda des multinationalen Live-Events wie Erkenntnisse aus dem Neuromarketing und neue Betrachtungen zu Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit.
„Der Krieg in der Ukraine beschäftigt die Menschen und zeigt erneut die bedeutende Rolle von TV für verlässliche, vertrauenswürdige und glaubwürdige Information“, leitete Screenforce-Deutschland-Geschäftsführer Malte Hildebrandt in das Expertenforum ein. „TV macht zum Thema, was die Menschen beschäftigt.“
„Die enorme Reichweite macht TV zum demokratischen Medium, in dem gesellschaftlicher Diskurs auf allen Ebenen zwischen Information, Werbung und Unterhaltung stattfindet. Der TV-Bildschirm ist das Sensorium für die großen Zukunftsthemen mit breiter Relevanz“, bekräftigte Screenforce-Österreich-Sprecher Walter Zinggl (IP Österreich).
Grüner Lifestyle ohne Verzicht: Wachstum durch Vertrauenskommunikation
Klimawandel und Nachhaltigkeit sind in aller Munde, und Greenwashing wird zum neuen Marketingphänomen. Unter dem Titel „Glamour oder Öko? Beides!“ analysierte Petra Süptitz (GfK) den Megatrend im Marketing. Dieser sei allerdings nicht neu: Bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren machten sich die Menschen Gedanken über die Umwelt. Während die damalige Diskussion vorwiegend von Verzicht geprägt war, geht es heute um einen bewussten Lifestyle.
33% der Verbraucher weltweit bevorzugen Marken, die Themen unterstützen, an die sie persönlich glauben. Werte und Haltung einer Brand treten gegenüber dem reinen Produktnutzen in den Vordergrund. 71% der Verbraucher ist umweltbewusstes Handeln von Firmen wichtig. In Deutschland ist der Klimawandel bereits die zweitgrößte Sorge der Verbraucher. Die „Eco-Actives“, Konsumenten mit besonders ausgeprägtem Umweltbewusstsein, werden bis 2025 860 Mrd. USD für FMCG-Produkte ausgeben.
Seit 1987 definieren die Vereinten Nationen Nachhaltigkeit auf den drei Säulen der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit als Generationengerechtigkeit. Seit 20 Jahren gewinnt laut Süptitz der Erhalt des Planeten bei den Verbrauchern mehr Gewicht als das eigene Ich. Mit Ausnahme von China ist Umweltbewusstsein in allen Ländern wichtiger geworden, wobei die Covid-19-Pandemie den Prozess beschleunigt hat. In China dominiert aus kulturellen Gründen der Wunsch nach dem Leben im Einklang mit der Natur vor dem Erhalt der Natur. „Der Wertewandel wirkt sich auf das Kaufverhalten aus“, bestätigt Süptitz.
GfK sieht drei wesentliche Konsumentensegmente. Besonders preisbewusste Konsumenten, „Jaded“ genannt, haben in der letzten Dekade abgenommen. Sehr umweltbewusste Konsumenten haben leicht zugenommen. Das stärkste Wachstum sehen die Marktforscher bei der Gruppe der „Glamour Greens“, die ihren nachhaltigen Lifestyle als neue Coolness zur Schau stellen und sich in sozialen Medien damit inszenieren. Sehr junge Hedonisten sind besonders um den Klimawandel besorgt.
„Junge wollen ein ‚Hot Date‘ und keinen ‚Hot Planet‘. Sie wollen bewusst leben, ohne zu verzichten“, führt die Marktforscherin aus. Sie ergänzt: „Die junge Generation möchte etwas Gutes tun und erwartet sich dabei Unterstützung von Marken.“
Die aktive, urbane und mobile Generation Z definiert den Umweltschutz neu und macht grünen Lebensstil zum Statussymbol. Im Bereich der sozialen Verantwortung ist jungen Menschen die Gleichheit aller Menschen ein großes Anliegen, das noch vor dem Gemeinwohl der Gesellschaft steht. Süptitz warnt vor falschen Versprechungen. Nur 43% der Verbraucher weltweit vertrauen darauf, dass Unternehmen ihnen die Wahrheit sagen. Bei umweltbezogenen Aussagen ist die Skepsis der Konsumenten besonders hoch. Sie rät zur authentischen und glaubwürdigen Kommunikation, da Falschaussagen in sozialen Medien sehr rasch enttarnt werden und langfristige negative Auswirkungen auf das Produkt haben.
Emotionen bleiben in Erinnerung: Überzeugungsarbeit in 13 Millisekunden
Gesa Lischka (Kochstrasse – Agentur für Marken) verbindet in ihrer Agentur neurowissenschaftliche Forschung mit Beratungsprodukten für die Kommunikationsindustrie. Während im Reptiliengehirn Instinkte beheimatet sind, die über Annäherung und Vermeidung entscheiden, werden in der Heimat der Emotionen, im limbischen System, 95% der Entscheidungen getroffen. Logische Entscheidungen fallen im Neocortex, wo auch die Sprache funktioniert. Marketer müssen mit ihren Botschaften zuerst das Reptiliengehirn passieren, wo in 13 Millisekunden entschieden wird: Als Gatekeeper filtert es, ob es überhaupt zu einer emotionaleren Annäherung kommt. Dafür sind ausdrucksstarke Bilder entscheidend. Gesichter ziehen die Aufmerksamkeit besonders stark an, können dadurch allerdings von der Kaufentscheidung ablenken. Subtile Reize wie beispielsweise vergrößerte Pupillen können Handlungen beeinflussen. Abweichungen von der Norm sorgen rasch für hohe Aufmerksamkeit, führen jedoch nicht zwangsweise zu einer positiven Resonanz im limbischen System.
Ohne Emotionen ist der menschliche Verstand hilflos. Sie lösen Bewegung und Handlungsdruck aus. Je stärker Emotionen sind, umso mehr Hormone werden ausgeschüttet, wodurch sie besser in Erinnerung bleiben. Nur durch Emotionen werden Botschaften in den Neocortex transportiert, wo die logische Entscheidungsfindung stattfindet.
In der Wahrnehmungskaskade stehen Farbe und Form im Vordergrund, während Schrift und Aussage auf den ersten Blick nicht so intensiv wahrgenommen werden. Leichte Veränderungen in Logos können nicht nur zu einer anderen Wahrnehmung, sondern auch messbar höheren Zahlungsbereitschaft führen.
„Rationales Denken ist für Menschen sehr anstrengend und verbraucht viel Energie. Rationale Entscheidungen fallen wesentlich schwerer als emotionale“, fasst Lischka zusammen.
Weltretterinnen denken anders
Ines Imdahl (Rheingold Salon) stellte ihren Vortrag unter den Titel ihres gleichnamigen Buchs „Warum Frauen die Welt retten werden und Männer dabei unerlässlich sind“. Seit 2014 gibt es bei Unternehmen kaum Verbesserung bei Führung und Diversität: In zwei Drittel der Unternehmen kam es zu keinen Veränderungen; ein Drittel hat sich sogar verschlechtert. Imdahl ist überzeugt, dass genug Aufklärungsarbeit zu den Themen auf rationaler Ebene stattgefunden hat. Sie fordert „Umbegeisterung“ und mehr Spaß in der Diskussion, um tatsächliche Handlungen auszulösen.
„Klischees rund um Frauen- und Männerbilder sind ziemlich beste Freunde“, stellt Imdahl fest
In 230 tiefenpsychologischen Interviews mit Führungskräften fand sie heraus, dass Managerinnen primär an männlichen Werten gemessen werden. Sie warnt davor, Gleichberechtigung mit Gleichwertigkeit zu verwechseln. Eindrucksvoll ist der Gender-Gap bei den verliehenen Nobelpreisen zwischen 1901 bis 2020: 876 Männer und 58 Frauen wurden ausgezeichnet. In den TV-Informationsformaten liegt der Anteil männlicher Experten bei 74%. Sogar 87% der Quizmoderatoren sind männlich.
Rund der Hälfte aller befragten Führungskräfte sind Geschlechter-Gleichheit auf allen Ebenen, keine Geschlechterunterschiede und die Anerkennung des Weiblichen als gleichwertig wichtig. Nur zehn Prozent halten Gendern in Sprache und Text jedoch für wirkungsvoll. 89% der befragten Entscheidungsträger glauben, dass Frauen die Welt retten können, weil weibliche Eigenschaften einen Mehrwert für Politik, Unternehmen und Männer liefern.
In ihrer Forschung kommt Imdahl zu mehreren Thesen
Die Einbeziehung von komplexen Zusammenhängen ist eine werbliche Stärke, die hilft, die Welt zu retten. Dabei sind sie auf ein intaktes Umfeld bedacht und minimieren Risiken.
Das Kümmernde ist eine weibliche Stärke, die hilft, die Welt zu retten. Durch weibliche Care-Arbeit werden 40% des Bruttoinlandsproduktes gratis erwirtschaftet. Der monetäre Wert unbezahlter Arbeit durch Frauen in Deutschland liegt bei 825 Mrd. € pro Jahr.
Das Emotionale und das Empfindsame sind weibliche Stärken, die helfen, die Welt zu retten. Menschen sind zyklisch unterwegs und nicht täglich High-Performer.
Empfindsamkeiten machen Menschen auf etwas aufmerksam. Das Bewusstsein für Zyklen macht sie besser nutzbar.
Selbstzweifel sorgen als Entwicklungsmotor für permanente Optimierung. Manipulative Kreativität regt andere zu richtigen Handlungen an. „Weibliches und Männliches zusammen macht viel mehr Spaß als Geschlechterkampf“, ist Imdahl überzeugt und betont: „Spaß und Begeisterung sind nachhaltiger als Verzicht und Gegeneinander.“ (red)