MARKETING & MEDIA
© Martina Berger

Martin Schiefer, Partner Schiefer Rechtsanwälte

Redaktion 05.07.2024

„Wer sich jetzt nicht transformiert, verliert“

Eine Debatte über die Verwobenheit von Kreativität, Vergaberecht und Nachhaltigkeit – sowie den (Business-)Bund fürs Leben.

••• Von Sabine Bretschneider

Zuletzt plauderte Vergaberechtsexperte Martin Schiefer mit Herbert Prohaska in Videos und Podcasts – zum Start der Euro 2024 – über die Querschnittsbereiche von Vergaberecht und Fußball. Im medianet-Interview mit ÖMG-Präsident Alexander Oswald geht es um ähnlich Wettbewerbsorientiertes: Ausschreibungen in der Kreativszene. Vom grünen Rasen zu ebenfalls bereits ins Grüne tendierenden Agenturpitches – und den dazu nötigen Rahmenbedingungen.

medianet: Über Jahrzehnte wurde in der Agenturszene moniert, dass Pitches eine Ausrede für Gratiskonzepte sind. Hat sich die ‚Pitch-Unkultur‘ in den letzten Jahren geändert?
Alexander Oswald: Was man oft beobachten kann, ist, dass viel zu sehr über Etat und Aufgaben diskutiert wird und zu wenig darüber, wer passt denn überhaupt zu uns, wie sehr wollen wir eigentlich beraten werden, wie sehr glauben wir an die Strategie? Wenn Sie das vergessen, dann ziehen Sie zwar den Prozess an sich professionell durch, nur das Ergebnis wird immer unbefriedigend bleiben. Weil Sie am Schluss den falschen Partner haben. Will heißen: Sie haben vermittelt, dass Sie den Mann oder die die Frau fürs Leben suchen – und dann wird es ein lustiges Partywochenende. Das führt dann wechselseitig zu Enttäuschungen.
Martin Schiefer: … und das hat sich in den letzten 30 Jahren nicht verändert. Dass diese ‚Planungsebene null‘, wie wir das nennen, nämlich die Vorbereitung, noch immer nicht professionell aufgesetzt wird. Dass sehr viel Aufwand und Zeit der Agenturen hineinfließt in den Prozess, herauszufinden, was der Kunde nun eigentlich will.
Und was macht der unsichere, ängstliche Auftraggeber? Er zieht sich dann hinter die Regulatorik zurück und lässt die Kreativität hintangestellt. Fazit: Alle haben irrsinnig viel Aufwand gehabt, aber unterm Strich doch nichts erreicht.

medianet: Ganz konkret – wie beginnt man mit der Planungsebene null?
Schiefer: Nun, man muss herausfinden: Worum geht es überhaupt? Allein diese Begriffsverwirrung! Ist es PR, ist es Social Media, ist es klassische Werbung? Suche ich eine All-in-One-Agentur, eine Leitagentur? Mit welchen Menschen kann ich gut, wie bin ich selber aufgestellt? Ist die Agentur überhaupt in der Lage, meine Organisation zu verstehen? Es ist also gut, wenn man einen Moderator hat, der keine Eigeninteressen hat, weil er keine eigene Agentur hat, das Agenturgeschäft aber kennt und den Prozess moderiert. Diese zwei, drei Tage, die man hier aufwenden sollte, sind gut investiert.
Oswald: Noch ein Beispiel, weil wir Kreativpitches angesprochen haben: Was ist die Definition von Kreativität und was ist die Messzahl dafür? Zuerst ziehen die Auftraggeber nur die Marketer hinzu, dann wollen die Controller mitentscheiden, dann die beiden Geschäftsführer … Sie bringen Menschen in einen Entscheidungsprozess, die eine völlig andere Wahrnehmung haben. Damit startet man in eine gigantische Diskussion. Manchmal muss man Auftraggeber vor sich selbst schützen …
Schiefer: Der Wurm muss dem Fisch schmecken. Also wenn ich jetzt eine Kampagne mache, muss ich einmal definieren, was möchte ich damit erreichen? Und wenn ich das Controlling reinsetze, werden sie sagen, es darf nicht viel kosten. Das hat aber mit Kreativität nichts zu tun. Also ja, es geht um diese Abwägung: Mit welchem Hintergrund entscheidet man? Und nicht immer ist die eigene Erfahrung der beste Ratgeber, sondern eigentlich muss man sich ansehen: Wo soll es wirken und wie soll es wirken? Das ist die Planungsebene null, ein interner Organisationsprozess.

medianet: Themenwechsel – in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und sinkender Marketingbudgets rückt das Thema Neugeschäft noch stärker in den Fokus von Agenturen. Ist es zumutbar, hier auch noch Rücksicht auf Nachhaltigkeitsaspekte zu nehmen?
Schiefer: Klare Antwort – es wird nicht ohne gehen. Wer sich jetzt nicht transformiert, verliert. Nachhaltigkeit ist allerdings ein ähnlich unscharfer Begriff wie Kreativität. Was bedeutet das? Muss ich Kunden ablehnen, die möglicherweise noch in der alten Welt, also in Kohle, Erdöl, Atomkraft, Waffen, unterwegs sind – oder kann ich sie weiter begleiten in der Transformation und auf sie einwirken und sagen: Schau doch, dass du aus diesem Erdölgeschäft langsam in Richtung grüner Strom gehst? Die, die sich jetzt schon Gedanken machen über diese Prozesse, werden vorne dabei sein. Die Ewiggestrigen werden das nicht schaffen.

medianet: Nachhaltigkeit, wie Sie gerade erwähnt haben, ist ein Thema, womit man ein kleines Philosophikum machen könnte. Dennoch: Worauf bezieht sich ‚nachhaltiges Pitchen‘?
Oswald: Es kommt jedenfalls bei allen Pitches, die ich in letzter Zeit gesehen habe, sehr gut an, wenn einmal jeder seine Hausaufgaben gemacht hat: Wie ist die Agentur aufgestellt, wie steht sie grundsätzlich dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber …
Schiefer: Auftraggeber müssen etwa, wenn sie schon der Nachhaltigkeitsberichterstattung unterworfen sind, auch ihre Lieferanten in das Reporting aufnehmen. Und diese Lieferanten haben ja nicht nur die ökologische Ebene zu beachten – Mülltrennung, keine Verbrenner, etc., sondern es gibt ja auch ein soziales Kriterium. Das ist dann in Agenturen beispielsweise die Frage der kritischen Arbeitsverhältnisse. Dann ist da noch die Governance: Wie hältst du es mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz als Agentur? Gehst du wertschätzend mit Nutzungsrechten um? Mit geistiger kreativer Leistung? Wird dein Subunternehmer, dein Fotograf ordentlich abgegolten, hast du prekäre Vertragsverhältnisse? All das muss man in einen Zusammenhang setzen. Wenn man diesen Prozess ordentlich aufsetzt, wird es einen Berater brauchen.
Oswald: … damit am Schluss dann wirklich das herauskommen kann, was man sich wünscht.
Schiefer: Aber, und auch das hat sich seit 30 Jahren nicht geändert, am Schluss kommt dann immer wieder die Diskussion um den Preis. Es wird nicht der Wert beurteilt, die Werthaltigkeit, sondern der Preis. Man wird aber immer scheitern, wenn man den Preis, die Stunde, den Stundensatz hernimmt, und keine faire Qualitätsbewertung macht. Das wäre aber eine Chance: Nachhaltig heißt ja auch wertschöpfend, wertstiftend.
Im Baubereich schaut sich keiner mehr die Herstellungskosten alleine an, sondern alle rechnen in Lebenszykluskosten: Was für einen Impact hat dieses Gebäude dann im Betrieb? Was ist, wenn ich es abreißen muss, wenn ich es recyceln muss? Mache ich eine dünne Ziegelwand und schmeiße dann Styropor drauf? Styropor ist um einiges günstiger, aber in der Entsorgung in zehn, 15, 20 Jahren ist es reiner Sondermüll und wird eine Lawine kosten. Du hinterlässt deinen Nachkommen eine echte Altlast. Das gilt auch in der Kreativleistung. Mit diesen konservativen, langweiligen Preiskriterien hinterlässt du deinen Nachfolgern eine echte Altlast.

medianet: Wie übersetzt man diese Lebenszyklusbewertung auf Kreativleistungen?
Schiefer: Am Beispiel Social Media-Einsatz – kein Mensch überlegt sich zum Beispiel bei seinen Social Media-Einsätzen, wie viel CO2 damit freigesetzt wird. Je mehr E-Mails wir verschicken, je mehr wir prompten, desto mehr CO2 blasen wir in die Luft. Hier kann in einer Agentur durchaus Nachhaltigkeit in der Kreativität bewertet werden. Haben die 5.322 E-Mails, die im Spamfilter landen, tatsächlich weniger (ökologischen, Anm.) Impact als eine Flugblattkampagne?

medianet: Nachhaltigkeit ist also nicht nur zumutbar, es ist machbar?
Schiefer: Es ist alternativlos. Also wir brauchen nicht diskutieren, ob wir es machen, sondern was und wie wir es machen. Du kannst jetzt als Agenturchef oder Chefin, die 65 ist, denken, ach was, fünf Jahre geht das schon noch, da bin ich eh nicht mehr aktiv. Aber man wird es nicht aussitzen können.
Oswald: Das ist genauso wie bei der Digitalisierung. Das wird nicht stehenbleiben, auch wenn wir das wollen.

medianet: Herr Schiefer, aus einem medianet-Interview mit Ihnen aus 2018: ‚Mit der Gründung meiner neuen Kanzlei versuche ich, dieses Thema auf ein Niveau zurückzuführen, auf dem es Unternehmen wieder Spaß macht, bei Ausschreibungen mitzumachen.‘ Ist das gelungen?
Schiefer: Ja, wir bekommen von Unternehmen für unsere Strategie, für unsere Ausschreibungen, sehr, sehr positives Feedback, weil wir nicht den Formalismus nach vorne stellen. Wir haben im Kreativprozess ein ‚Bewerbungsschreiben‘ eingeführt. Da muss eine Agentur nicht den Strafregisterauszug liefern und die Umsatzzahlen und den Mitarbeiterstamm, sondern: Warum die Agentur glaubt, erfolgreich mit uns in Zukunft arbeiten zu können. Denn das ist genau das, was wir eigentlich wissen wollen.

medianet: Ideal wäre also eine Partnerbörse, ein automatisiertes System wie Parship, das genau diese Geschichte untersucht …
Oswald: Stimmt. Schwierig wird es nur, wenn die Agentur glaubt, sie ist auf Parship und am Ende des Prozesses landet sie bei Tinder (lacht).

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