In den vergangenen Jahrzehnten hat die Industrie mit großem Aufwand Technologien entwickelt, die die Unzulänglichkeiten und Mängel der menschlichen Fahrer kompensieren: Servolenkung, Bremskraftverstärker, Notbrems-assistenten, Müdigkeitserkennung, Abstandswarner, Spurhalteassis-tenten, Antriebsschlupfregelungen und Rückfahrkameras. Doch die Leistungsfähigkeit des menschlichen Fahrers ist nach wie vor begrenzt. Er ist weiter das größte Sicherheitsrisiko im Auto, der Schwachpunkt in der Kette zur unfallfreien Steuerung und auch das größte Hindernis, schneller ans Ziel zu kommen. Warum? Er kann nur fahren, wenn er wach und leis-tungsfähig ist, und im dichten Verkehr sind untereinander kommunizierende Fahrzeuge im Kollektiv immer schneller am Ziel.
Dies ist er eigentliche Quantensprung des autonomen Fahrens: Die Abkehr vom Ziel, den Menschen zu einem immer besseren Fahrer zu machen. Dies eröffnet Entwicklern, Herstellern und der damit verbundenen Industrie gewaltige neue Möglichkeiten. Denn hier wird zum ersten Mal seit Langem Technik verzichtbar, das spart Aufwand, Kosten und Gewicht. Diese Spielräume sind aus Sicht der Autohersteller einer der eigentlichen Treiber bei der Entwicklung. Und daher sind auch sämtliche Vorstellungen, autonome Fahrzeuge böten weiterhin Lenkrad und Gaspedal, nicht konsequent zu Ende gedacht. Die autonomen Autos von morgen werden anders aussehen, auf andere Einsatzzwecke hin ausgerichtet werden und heutige Geschäftsmodelle verändern.
Mobility as a Service
Mobilität nimmt im vernetzten Alltag von morgen eine noch zentralere Rolle ein. Der digitalisierte Service tritt mehr und mehr in den Vordergrund. Die Leistung ersetzt den Besitz. Wenn Buchung und Tickets für Flug, Bahn, Bus, die Bestellung des Taxis, die Navigation, Adressen und Kalender ohnehin auf einem Smartphone sind, wer wollte hier nicht auch das Auto integrieren? Heutige Nutzer von DriveNow und vergleichbaren zeitgemäßen Carsharing-Diensten nehmen das ohnehin für selbstverständlich; ein wesentlicher Treiber für die Vernetzung von Automobilen – und gerade das autonome Auto bietet sehr viel weitergehende Möglichkeiten, in den persönlichen digitalen Mobilitätsmix eingebunden zu werden.
Was die Idee des vernetzten Autos für Kunden noch attraktiv macht: Es ist wandelbar, kann Funktionen im Nachhinein integrieren, die zum Zeitpunkt der Auslieferung noch nicht programmiert waren. Kurzum: Es wird adaptiv. Tesla wirbt heute schon mit einem erweiterten Umfang von autonomen Fahrzeugfunktionen, die das Unternehmen erst in einigen Monaten in ihren Autos wird realisieren können. Das Versprechen: Auch die heute ausgelieferten Autos erhalten diese Funktionen, als Update per Funk. Mit dieser adaptiven Funktionalität realisiert das vernetzte Auto die wesentliche Kundenanforderung der digitalen Gesellschaft: Es ist individuell und bleibt auf Dauer veränderbar. Diese Nachfragehaltung erwarten wir branchenübergreifend. Kunden werden nach adaptiven Produkten fragen und durch die Digitalisierung in immer mehr Arbeits- und Lebensbereichen auch solche Angebote erhalten – das ist eine Dynamik, die sich wechselseitig verstärkt. Die verbesserte Sicherheit verspricht finanzielle Vorteile, sinkende Versicherungs- und weitestgehend entfallende Reparaturkosten. Auch Bequemlichkeit und Zeitgewinn mögen individuell eine Rolle spielen.
Die wichtigste Triebfeder auf Kundenseite aber ist, zumindest in der Anlaufzeit, das Bedürfnis nach Differenz. In einer digitalen Gesellschaft, in der alles immer und überall verfügbar ist, werden Unterscheidungsmerkmale zum Identitätsanker. Das autonome Automobil demonstriert sichtbar die eigene Besonderheit, drückt eine Haltung aus, die weit über ein prahlerisches „Ich kann es mir leis-ten” hinausgeht, zeigt einen anderen Umgang mit Ressourcen, Zeit, Daten, der Vernetzung des Alltags, ja des ganzen Lebens. Das autonom fahrende Auto bietet eine Distinktion, ein rares Gut in der digitalen Welt.
Die neuen Geschäftsmodelle
Werden diese Fahrzeuge erst auf den Markt kommen, wenn alle erdenklichen technischen und rechtlichen Hindernisse ausgeräumt sind? Nein. Sie werden nur nicht das Auto, wie wir es heute kennen, direkt ersetzen. Anbieter werden vertraute Märkte mit neuen Produkten und neuen Geschäftsmodellen attackieren und haben teils beste Aussichten. Das Naheliegende stimmt natürlich: Taxis und die gesamte Beförderungsbranche sind betroffen. Diese Branche steht ohnehin unter Druck durch aggressive Wettbewerber, die sich nicht um die Besonderheit eines regulierten – sprich: frei nicht lebensfähigen Geschäftsmodelle schützenden – Marktes scheren. Taxifahrer werden sich Uber zurückwünschen, wenn sie zu verstehen beginnen, dass das selbstfahrende Auto 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche unermüdlich im Einsatz sein kann. Aber das nächste Uber wird nicht mehr auf die Taxibranche zielen. Diese ist zwar medienwirksam, aber letztlich zu klein.
The next Uber zielt auf die Logistikbranche. Wie die Kofferräume parkender Autos als Auslieferungsstation für Pakete genutzt werden können, ist bereits gelöst. Die automatisierte Annahme und Ausgabe inklusive abgesicherter ferngesteuerter Öffnung und Verriegelung des Kofferraums ist in der Praxis erprobt. Alle paar Meter eine Packstation. Das autonom fahrende Auto geht hier den entscheidenden Schritt weiter und ist in der Lage, selbsttätig zum Logis-tikkunden zu fahren. Das schafft das feingliedrige Netzwerk, das Supermärkten die kostengünstige und punktgenaue Auslieferung von verderblichen Lebensmitteln ermöglicht. Paketdienste, Pizzaboten, eBay-Händler, die Liste der Nutzer ließe sich leicht fortsetzen. Und keiner von diesen muss dafür ein eigenes Fahrzeug anschaffen. Autonome Autos bieten ihren Eigentümern das Potenzial, sich zu enorm leistungsfähigen Peer to Peer-Netzwerken zusammenzuschließen. Damit erschließen sie die beiden bislang brachliegenden Potenziale herkömmlicher Autos: ungenutzter Platz und ungenutzte Zeit.
Während der Eigentümer arbeitet, schläft, Sport treibt, ist sein Auto selbstständig unterwegs, erbringt Dienstleistungen für andere und trägt so noch selbst dazu bei, sich zu refinanzieren. Dies sind alle Zutaten, die für erfolgreiche Geschäftsmodelle nötig sind. Hier ist Raum und Gelegenheit für Angreifer aller Arten in der Logistik. Damit vollzieht auch diese Branche einen weiteren Schritt der Digitalisierung: Eigene Hardware ist für die Bereitstellung von Logistik-Dienstleistungen nicht mehr nötig. Business wird Software.
Dienstleistung goes mobile
Glauben Sie niemandem, der Ihnen sagt, das autonome Auto bietet endlich die Chance, im Auto zu lesen. Dafür investiert niemand. Es wird neue Services bieten und diese machen bislang stationäre Dienstleistungen mobil. Die Hotelbranche wird sich neuer Konkurrenz gegenübersehen: Autonom fahrende Autos, die Menschen über Nacht an ihren Zielort bringen, an dem sie ausgeschlafen ankommen. Das geht: mit optimierten Fahrzeugen, mit Hotelzimmer auf Rädern, die sich flexibel zu Kolonnen zusammenschließen und wieder separieren lassen. Auf der Fernstrecke wie ein Nachtzug, an Start und Ziel auf individuellem Kurs. Neue Dienstleister werden Vielfahrern eigene Lösungen anbieten, größere Firmen werden eigene Flotten für den Außendienst unterhalten. Nahezu jedes Leasingmodell der heutigen Dienstwagenlandschaft wird hier auch tragen – und sei es für eine Nacht. Allein die Ersparnis von Übernachtungskosten macht das Geschäftsfeld attraktiv. Betreiber von Hotelketten werden prüfen, wie sie diese Services in ihr stationäres Modell integrieren und die klassischen Hotels in Kombipaketen attraktiv halten.
Andere heute stationäre Dienstleistungen werden folgen: Von Therapeuten, die die Fahrzeit ins Büro „besetzen”, Versicherungsagenten und Banken, Beratungen aller Art bis zu Friseuren und dem mobilen Restaurant: Aus „Drive In” und „Coffee to go” wird DWYD: „Dine While You Drive”. Auch die Ausstatterseite kann neue Standards der Individualisierung setzen. Ein Auto, das nicht mehr auf die künstliche Situation des Fahrens hin optimiert ist, bietet vollständig andere Möglichkeiten der Ausstattung für das Wohnen unterwegs.
Und so wie es selbstverständlich ist, das Zuhause jahreszeitlich zu dekorieren und in Abständen moderner einzurichten, wird auch die Einrichtung des Autos der Zukunft individuell und flexibel, sprich: adaptiv. Denn warum sollte der Fahrer der Zukunft an den mobilen Wohnraum geringere Ansprüche an individueller Ausstattung stellen als an seinen stationären Wohnraum? Wo doch beide Räume für vergleichbar viele Stunden am Tag genutzt werden.
Und auch der mobile Dienstleis-ter wird seine Bedürfnisse an die Ausstattung stationärer Ladenausstattung auf die mobile Welt übertragen. Die laufende Erneuerung der Innenausstattung des selbst fahrenden Autos ist ein drastisch wachsendes Feld für Möbelhersteller, Händler, Ladenausstatter und Innenarchitekten. Das sind gute Nachrichten für viele heutige Werkstätten und Pannendienste, die ihr Geschäftsmodell angesichts ausbleibender Blechschäden auf eine neue Grundlage stellen müssen.
Was hier für Stil und Individualität des Designs gilt, lässt sich als Anspruchshaltung der Kunden von morgen auch auf die Unterhaltungselektronik an Bord übertragen. Da die Nutzungsdauer eines Automobils die Innnovationszyklen der Unterhaltungselektronik deutlich übersteigt, wird hier noch deutlicher, wie zentral der Gedanke ist, das Auto ohne größeren Aufwand im Nachhinein umrüsten und neu ausstatten zu können.
Wahre „Jobnomaden”
Das autonom fahrende Auto wird schließlich unsere Arbeitswelten verändern. Nicht nur bietet es die Chance, den Arbeitstag direkt beim Losfahren zu beginnen. Damit sinkt der Anteil der Arbeitszeit an der wachen Zeit sprunghaft. Aber mehr noch bietet das vernetzte autonom fahrende Auto die Chance, modular weitere Tätigkeiten zu übernehmen: Stundenweise im Kundendialog-Center eines anderen Unternehmens arbeiten und offene Kundenkontakte abarbeiten, Telefonmarketing, digitale Bürodienstleistungen. Jede Tätigkeit, die sich mit einem Telefon, Laptop und einer Internetverbindung erledigen lässt, kann auch im Auto übernommen werden.
Der Begriff Jobnomaden erhält damit eine neue Dimension. Als Commuting Workers werden sie für Dienstleistungen buchbar sein und zu einer Verlagerung dieser Tätigkeit aus Büros heraus im wahrsten Sinne auf die Straße führen. Diese Trennung von Aufgaben wird den Arbeitsalltag auf beiden Seiten verändern, denn was bleibt in vielen Büros dann noch zu tun? Und auch hier gilt: Wer die Steuerung übernimmt, Angebot und Nachfrage flexibel kombinieren und zusammenbringen kann, der hat beste Aussichten auf erfolgreiche Geschäftsmodelle. Die Personaldienstleister der Zukunft werden dafür Aufgaben und Arbeitskraft kleinteilig aufsplitten und modular kombinieren, Leih-arbeit auf Viertelstundenbasis.
Neue Chancen für Personaldienstleister und Logistiker, Res-taurants und Hotels, Dienstleister – und selbstverständlich auch für das, was wir heute Taxi nennen. Dies sind die eigentlichen Treiber, die autonom fahrende Autos schon in wenigen Jahren auf die Straßen bringen werden. Vielleicht werden einige davon doch ein Lenkrad haben, als nostalgisches Extra zu buchen, wenn auch funktionsbefreit.