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© Heribert Hudler

Experte Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier ist Vorstand des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien und Geschäftsführer der tfactory.

Chris Radda und Sabine Bretschneider 16.02.2018

„Aus allem wird ein Joke, ein Spaß, ein Witz”

Der eine große Trend, der die heterogene Jugend eint, ist die Ironie. Wer nichts ernst nimmt, scheitert nie ernsthaft.

••• Von Chris Radda und Sabine Bretschneider

Die Jugend von heute, das sind die Kunden von morgen – und von heute. Wie sie ticken, wissen nur die wenigsten mit genügend Sicherheit, um Unternehmen vernünftig zu beraten. Bernhard Heinzlmaier, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens tfactory und Vorstand des Instituts für Jugendkulturforschung, verrät durchaus Überraschendes über die flüchtige Zielgruppe der Jungen.

medianet:
Jugendforschung gilt als eine Art Mysterium. Gleichzeitig wollen alle Bescheid wissen, weil die Jungen die Kunden von morgen sind. Wie schwierig ist es, herauszufinden, was die Jungen wollen? Alles ändert sich ständig …
Bernhard Heinzlmaier: In der Werteforschung ändert sich das Ganze nicht so schnell. Da gibt es etwa den Trend zur Individualisierung, eine gewisse Skepsis gegenüber Institutionen, gegenüber Unternehmen. Es gibt die Tendenz, dass man kritisch ist, alles hinterfragt. Wenn bei Markenartikeln das Produktversprechen nicht zu hundert Prozent eingehalten wird, wird sofort reagiert und sofort bestraft, indem man das Produkt nicht wieder kauft. Die Markentreue geht zurück, ebenso wie die Treue zum Arbeitgeber. Das alles ändert sich nicht von heute auf morgen. Was sich schnell ändert, das sind keine Trends, das sind Moden.

Ein Trend hat gesellschaftliche Ursachen und reicht tiefer in das Fundament der Gesellschaft hinein. Was schnell verschwindet, ist etwas, das gesellschaftlich irrelevant ist. Ein Design-Gag. Ganz offen gesagt: Man kann gesellschaftliche Trends prognostizieren, bei Moden ist es schwierig.


medianet:
Was raten Sie Unternehmen und Institutionen, die auf junge Leute anziehend wirken wollen, hinsichtlich dieser Trends?
Heinzlmaier: Das Wichtigste ist momentan die Kommunikation. Alles ist in Wahrheit Kommunikation. Auch bei Waren und Dienstleistungen geht es in erster Linie weniger um den Gebrauchswert, sondern um den sogenannten Zeichenwert. Ich erkläre das oft anhand des iPhone: Das iPhone kann viel, es ist ein technisch hochwertiges Gerät, aber es kann nicht mehr als die Mitbewerber. Es kann nicht mehr als ein Samsung. Wo aber das iPhone überlegen ist, das ist der Zeichenwert – und das ist ein Versprechen, das über den Gebrauchswert hinausgeht. Dieses Versprechen bedeutet einerseits Gruppenzugehörigkeit, zu den Unkonventionellen, den Kreativen, zur Kommunikationsbranche – und es steht für gewisse Werte. Die Botschaft ist wichtig. Wenn ein Produkt heute für nichts steht, außer für den unmittelbaren Produktnutzen, den Gebrauchswert, dann kann das nicht erfolgreich sein.

medianet:
Wenn man Ihnen die Elferfrage stellt ‚Was ist grad ‚in' bei den Jungen?', was würden Sie sagen?
Heinzlmaier: Das kann ich ganz genau beantworten, mit hundertprozentiger Sicherheit: Was heute ‚in' ist, ist Ironie. Sich selbst nicht völlig ernst zu nehmen; was einem begegnet, nicht völlig ernst zu nehmen. Das kennen Sie vielleicht aus diversen Untersuchungen, dass Eltern oft sagen: ‚Mit meinen Kindern kann ich kein vernünftiges Wort mehr reden'. Aus allem wird ein Joke, ein Spaß, ein Witz. Das hängt unsrer Ansicht nach damit zusammen: Wer alles ironisiert, der hat ein Mittel zur Hand, ein tatsächlich ernstes Scheitern zu verhindern.

medianet:
Das heißt, die jungen Menschen haben Angst vor dem Scheitern und bevor sie sich auf einen Kampf einlassen …
Heinzlmaier: Sie lassen sich sehr wohl auf den Kampf ein, tun aber so, als wäre es nur Spaß. Verliert man dann, ist es zumindest keine ernste Geschichte gewesen. Motto: So wichtig ist mir das gar nicht. Das ist in unserer Wettbewerbsgesellschaft ganz wichtig: Wenn ich mich jeden Tag einem Wettbewerb stelle, dann kann ich nicht jeden davon ernst nehmen. Sonst werde ich wahnsinnig.

Heute verkauft sich schon jedes zweite Produkt mit einem ironischen Schmäh. Und dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken.


medianet:
Was sind weitere Beispiele dafür, wie sich die Wertelandschaft junger Menschen verändert?
Heinzlmaier: Typisch ist etwa die Bedeutung der individuellen Mobilität. Im urbanen Raum, in Wien, ist das ganz anders als im Bezirk Weitra. In Wien machen viele den Führerschein gar nicht. Wofür auch? Am Land würden die jungen Leute ohne Führerschein halt am Abend daheim sitzen. Das ist von der Geografie abhängig, vom Milieu, in dem man lebt – und da sind wir schon beim Kern der Thematik: Man kann nur schwer über ‚die Jugend' reden, weil sie sehr heterogen ist, weil die Milieus völlig verschieden reagieren.

Ein brisantes Beispiel dafür ist das Problem der Zuwanderung. Wir haben heute Milieus, die sind total offen für Zuwanderung, gehobene Milieus mit einem hohen Bildungsniveau, hohem Einkommen, hoher Stellung der Eltern in der Berufshierarchie. Das hat verschiedene Gründe: einerseits der eigene Status – man ist nicht so angreifbar, nicht in einer Konkurrenzsituation. Und der zweite ist: Man ist in einem liberalen Elternhaus erzogen worden. Dann gibt es die mittleren und unteren Schichten, die für Begrenzung sind. Für sie ist es auf der kulturellen Ebene eine Störung, sie sind irritiert – und: Es geht nicht nur um die Irritation auf einer ästhetischen Ebene, sondern auch um beinharte Konkurrenz. Hier spaltet sich das gesamte Jugendsegment: Auf der einen Seite skeptische Lehrlinge und auf der anderen Studierende, die für mehr Offenheit demonstrieren. Das polarisiert extrem.


medianet:
Das heißt, diese fröhlichen, ermutigenden Ansagen à la ‚Die Jungen schaffen das schon, wir sind alle eine Menschheit und haben uns gern', die lesen Sie aus den Jugendumfragen nicht heraus?
Heinzlmaier: Das kann man nicht herauslesen, das ist idealistisches Wünschen. Das sind Projektionen, dieser Jugend-Mythos, den es in der Geschichte immer gegeben hat. Aber wissenschaftlich betrachtet, ist das ganz einfach nicht haltbar. Diese One-World-Ideologie gerät ja momentan ohnehin total unter Druck, weil in der Gesellschaft sehr viel Angst produziert wird und diese Angst führt in manchen Milieus zur Tendenz, sich abzugrenzen. Das heißt konkret, dass das Bedürfnis nach Heimat aufkommt, dass man wieder Trachten anzieht, dass die Lust auf Auslandsaufenthalte zurückgeht. Eine gewisse Bunkermentalität. Differenzierungen sind wieder wichtig – Tenor: Wir sind eben nicht wie die, wir sind anders und wir legen auf unser Anderssein Wert.

Man grenzt sich ab, auch auf der Ebene der Religionen – wir sind anders als der Islam, wir leben in einer christlich-jüdischen Kultur. Den großen ‚Gemeinschaftsausbruch' sehe ich nicht.


medianet:
Wird die Welt wenigstens insgesamt besser?
Heinzlmaier: Nein, sie wird weder besser noch schlechter. Letztlich ist das auch eine Sache der Perspektive. Wenn ich jetzt hier mit den Herrn Strache sitzen würde, dann wäre, was er für erstrebenswert hält, etwas anderes als ich dafür halte.

medianet:
Zurück zu den Unternehmen: Was macht sie als Arbeitgeber attraktiv?
Heinzlmaier: Es ist ein Beautycontest. Nicht nur in der Finanzwirtschaft ist es so, dass man dem Investor zeigt, dass man der Schönste ist. Das muss man als Unternehmen auch im Personalmarketing machen: eine attraktive Marke sein. Wir machen dazu Untersuchungen, zu den attraktivsten Branchen, den attraktivsten Unternehmen … Red Bull zum Beispiel ist in Österreich das Paradeunternehmen. Die Marke ist attraktiv, und wer mit dieser Marke in Kontakt kommt, wird per Overflow selbst attraktiv.

medianet:
Was in den letzten Jahren ja auch ein Trend ist, ist das Thema Authentizität auf allen Ebenen – bei den Marken, bei den Menschen, den Politikern, den Bloggern …
Heinzlmaier: Und das Interessante daran ist, dass heute kein Mensch mehr authentisch ist. Wir reden ausgerechnet in einer Zeit über Authentizität, in der man gleichzeitig betont, wie wandlungsfähig der Mensch sein soll. Authentizität, das heißt heute, in der Rolle, die man in einer bestimmten Situation spielt, richtig gut zu sein. Kein Mensch denkt doch, dass der Mensch, der diese Rolle spielt, tatsächlich echt ist – so wenig, wie jemand annimmt, dass König Lear im Burgtheater echt ist. Jeder weiß, dass das Gegenüber in einem gewissen Maß ein Schauspieler ist – und für eine gute Darstellung und eine perfekte Rolleninszenierung wird man mit Applaus belohnt, mit Anerkennung und mit Erfolg.

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