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© AFP/Frederic J. Brown

Michael Fiala und Dinko Fejzuli 31.03.2017

Der YouTube-Skandal und seine Folgen

Immer mehr Marken boykottieren YouTube. Das Thema sensibilisiert, traditionelle Medien wittern ihre Chance.

••• Von Michael Fiala und Dinko Fejzuli

Wenn es so etwas wie den Supergau für YouTube gibt, dann hat die Plattform diesen wohl in diesen Tagen erlebt: Immer mehr Unternehmen haben in den vergangenen Tagen ihre Werbekampagnen auf YouTube zurückgezogen. Der Grund ist mehr als nachvollziehbar: ihre Anzeigen waren neben höchst unseriösen Inhalten zu sehen. Die Liste der internationalen Unternehmen, die in den vergangenen Tagen den Boykott offiziell bestätigt haben, wird immer länger: Kia, Volkswagen, McDonald’s, L’Oréal – um nur einige zu nennen, mehr als 250 sind es mittlerweile. So erschien zum Beispiel eine Werbung von L’Oréal im Umfeld extremistischer Videos, eine Anzeige von Kia war neben einem Video zu sehen, in dem eine Journalistin frauenfeindlich beleidigt wurde.

Schlechtes Bild der Marke

Der unschöne Nebeneffekt: Die werbetreibenden Unternehmen finanzieren dadurch indirekt den Extremismus. Und die Marken leiden auch darunter, wie eine Umfrage des Portals Adweek ergeben hat: 40% der Zuschauer haben von einer Marke ein schlechteres Bild, wenn die Werbung in rassistischem oder hassgeprägten Umfeld platziert wird. 55% zeigen sich davon ­jedoch unbeeindruckt. Google ist in diesen Tagen natürlich bemüht, den Schaden zu begrenzen. Grundsätzlich könne Google-Werbekunden zwar zusichern, dass ihre Werbung nicht neben extremistischen Inhalten auftaucht, sagte Verwaltungsratschef Eric Schmidt in einem Fernsehinterview bei Fox Business TV. Da die Anzeigenplätze aber über viele Kanäle vermarktet werden, „rutscht manchmal jemand unter dem Algorithmus durch”.

Google verschärft

Als Konsequenz habe Google die Richtlinien verschärft und setze mehr Kontrolle durch Menschen ein. Internationale Analysten sprechen mittlerweile von einem möglichen Schaden in der Höhe von 750 Mio. Dollar, was angesichts eines Gesamtwerbeumsatzes von rund 10 Mrd. Dollar einmalig zwar verkraftbar ist, aber auf Dauer zum Problem werden kann. Der Werbeboykott legt – so Analysten – zudem auch die Schwächen des sogenannten Programmatic Advertising bloß. Große Netzwerke können kaum noch kontrollieren, wo die Werbung angezeigt wird. Zuletzt kamen auch einige Unternehmen mit Werbebotschaften mit dem rechten News-Portal Breitbart in Berührung. medianet hat sich in Österreich bei Agenturen, Marken und Medien umgehört, wie sie diese Thematik sehen: Ist es eine Chance für Print und wie reagieren Coca-Cola & Co darauf?

Was sagen die Agenturen?

„Die letzten Jahre haben Google, Facebook, YouTube und Co. die Kommunikationsbranche fast nach Belieben vor sich hergetrieben”, sagt Alexander Rudan von Havas und ergänzt: „Sie haben gemacht, was sie wollten. Dass Marc Pritchard von Procter & Gamble oder eben auch Havas da jetzt ein Zeichen setzen und klare Spielregeln einfordern, ist wichtig und richtig und längst überfällig. Ob nun deshalb Printwerbung genauso eine Renaissance erleben wird wie Vinyl, sollen diejenigen beantworten, die in die Zukunft sehen können. Davon gibt es in unserer Branche ja genug”, so Rudan, die die aktuellen Vorkommnisse nicht überinterpretieren will.

Roman Breithofer, Media1 kann den Boykott – der aber eigentlich schon früher hätte kommen können –, nachvollziehen: „Wir verstehen diese Maßnahme. Es ist der Versuch, die Kontrolle über seine Werbegelder zurückzuerlangen – und das sollte schon früher beginnen als bei Extremisten-Videos”, so Breithofer. Der Experte meint weiters: „Wenn man auf Markenführung Wert legt – auch als Voraussetzung für effektives Performance-Marketing – und an Dinge wie Image-Transfer glaubt und an die positive Wirkung eines glaubwürdigen, affinen Umfelds, dann sollte man der Verlockung eines Extrem-TKP widerstehen können und hinter die Algorithmus-Kulissen blicken. Man würde keine solchen Umfelder im TV oder in Print belegen; warum dann in der digitalen Sphäre in Kauf nehmen? Noch dazu, wo es darin so viele lokale Alternativen gibt, die näher am User sind und mit ein wenig Aufwand ebenso ausreichendes Targeting bieten? Was der Content für die Publisher, ist der Kontext für die Planer: King.”

Elisabeth Plattensteiner, OmnicomMediaGroup, bringt auch die soziale Verantwortung ins Spiel: „Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass nur die Conversion zählt, doch haben wir hier eine soziale Verantwortung. Wenn wir in diesen Umfeldern bzw. Seiten eine Anzeige platzieren, bedeutet dies auch, dass wir diese Gruppen finanziell unterstützen. Wir bei OMG, OMD, PHD wollten es schon immer ganz genau wissen, um unseren Kunden höchste Brand Safety und Qualitätsstandards sicherzustellen. Schon in den Anfangszeiten von ‚Programmatischem' Einkauf war Brand Safety für uns daher eine absolute Priorität, die durch viele Maßnahmen hier in Österreich umgesetzt wurde.”

Wie reagieren die Marken?

medianet hat auch einen Rundruf bei österreichischen Top-Marken gestartet. Setzen die großen Player ihre Kampagnen auf YouTube aus oder denkt man daran, Budgets zu reduzieren? „Grundsätzlich offenbart diese Geschichte die Problematik des Werbens im Online-Zeitalter. Will ich in einer Zeitung inserieren, dann ist das ein klarer und bewusster Vorgang, d.h. ich inseriere in der Presse oder Wiener Zeitung und eben nicht zum Beispiel in der Aula”, so Gilbert Haake von Kia. „Die Online-Werbung ist zielgerichtet auf einen möglichen Verkaufserfolg ausgerichtet und personenbezogen. Wenn nun sich jemand sowohl für ein neues Auto als auch für politisch unerwünschte Inhalte interessiert, dann kommt eben das raus. Eine Zusammenarbeit der Werbewirtschaft würde da helfen, das regen wir bei der Mediaagentur auch an; andernfalls brauchen wir bald mehr Mitarbeiter als Autokäufer, um so etwas unter Kontrolle zu halten.” Für Haake ist ein Werbeboykott aktuell aber kein Thema.

Genaues Monitoring

Philipp Bodzenta, Unternehmenssprecher Coca-Cola Österreich, meint zur aktuellen Problematik und dem Umgang des eigenen Unternehmens damit: „Ein einstweiliges Einstellen aller YouTube-Ads weltweit ist nicht geplant. Alle Maßnahmen werden einem sehr genauen Monitoring unterzogen, um zu sehen, wie sich die Lage bezüglich des genannten Themas entwickelt, was dann möglicherweise zu einer Einschränkung führen könnte oder eine weitere Reflektion nach sich ziehen wird.”

Anders ist die Situation bei McDonald’s in Österreich. Hier wurden die Schaltungen auf YouTube vorerst gestoppt: „Für uns hat die Platzierung unserer Werbung in einem passenden Umfeld absolute Priorität. Selbstverständlich arbeiten wir mit Tools wie etwa Blacklists, trotzdem waren unsere Schaltungen auf YouTube präventiv gestoppt”, so Jörg Pizzera, Marketing Director von Mc Donald’s.  Bei A1 ist man bei der Thematik „sensibilisierter”, so Wolfgang Sturm, Head of Digital Communications & Social Media A1, und ergänzt: „Wir planen unsere Budgets immer entlang unserer Zielgruppen in Ab­stimmung mit den Agenturen und Vermarktern. Bis dato war kein entsprechender Cut notwendig.”
Ähnlich sieht man dies beim Mitbewerber T-Mobile bzw. Telering. Manuel Zeller, Abteilungsleiter e-business T-Mobile Aus­tria, sagt zum YouTube-Problem: „Wir kontrollieren die Anzeige unserer Werbungen laufend und setzen fragwürdige und eindeutig zuordenbare Seiten und Videos auf unsere Blacklist. Unsere Werbung wird je nach Kampagne und zugehöriger Zielgruppe auch weiterhin auf den passenden Kanälen ausgespielt. Google ist weiterhin ein wichtiger Werbekanal.”

Sind Medien die Gewinner?

Der Schaden für YouTube ist also angerichtet. Ob es sich dabei um eine nachhaltige Entwicklung handelt, wird auch davon abhängen, ob Google dieses Problem in den Griff bekommen wird. Qualitätsmedien könnten als die großen Gewinner aus dieser Thematik hervorgehen. Martin Gaiger, Geschäftsführer Kurier Digital, dazu: „Wir vom ‚Kurier Digital' haben unsere Werbekunden schon lange auf diese Umstände aufmerksam gemacht. Wir haben klargestellt, dass die Qualität des Umfelds nur sichergestellt werden kann, wenn Programmatic Advertising dazu genutzt wird, ausgewählte Seiten wie kurier.at oder Futurezone.at über Direct- oder Private Deals direkt zu buchen. Auktionsplätze und Blind-Netzwerke sind für Werber, die Wert auf Markenpflege und Image legen, gefährlich. Billig ist eben nicht gut. Ich erwarte, dass sich noch viele weitere Kunden aus den Auktionsplätzen zurückziehen und gezielt Qualitätsangebote direkt buchen. Schließlich will sich keine Marke nachsagen lassen, Fake News oder andere obskure Propagandisten mit Werbegeld zu protegieren.”

„Kommt nicht überraschend”

„Dass Google derzeit mit einer Boykottwelle von namhaften Marken und Organisationen zu kämpfen hat, kommt für uns nicht überraschend”, so Hermann Petz, Vorstand der ­Moser Holding. „Werbung ohne Bezug zum Kontext auszuspielen, ist das bestimmende Grundprinzip des Google-Werbenetzwerks, ja der gesamten Ad-Tech-Industrie, die ständig predigt, es gehe um User und nicht um Umfelder. Dass Werbung dann aber neben umstrittenen, radikalen, diskriminierenden oder pornografischen Inhalten landen kann, ja landen muss, ist die logische Folge.”

„Das eigentlich Fatale ist aber nicht, dass das Erwartbare eintritt. Nein, brutal und eigentlich skandalös ist, dass erst die Recherche von Journalisten dazu führt, dass Marken und Organisationen überhaupt davon erfahren, in welchem Kontext sie werben – ein starkes Indiz dafür, dass Werbetreibende in Wahrheit keine Lenkungsmöglichkeiten innerhalb dieser globalen Werbenetzwerke vorfinden”, so Petz weiter.  Petz argumentiert dabei ähnlich wie Roman Breithofer von Media1: „Hier kein Geld mehr ausgeben zu wollen, ist einfach nur ein Schritt, um wieder Kontrolle über die eigenen Werbebotschaften, die eigene Marke zu erlagen. Wir als Verlag haben uns diesbezüglich klar positioniert: Wir sind an kein Werbenetzwerk angebunden und setzen voll auf unseren Direktverkauf und echte Kundenbeziehungen. Wer auf ‚TT Online' Werbung schalten möchte, bezahlt zwar mehr, bekommt dafür aber auch mehr. Zum ­Beispiel Menschen, die für Deals geradestehen statt Bots, die Leistung vorgaukeln. Oder auch ein Werbeumfeld, das Marken nicht beschädigt, sondern für einen positiven Imagetransfer sorgt.”

„Dass das Bewusstsein bei Kunden und Agenturen für die Relevanz von qualitativ hochwertigen Umfeldern weiter zunimmt, ist eine erfreuliche Entwicklung”, sagt Reinhard Igler, Verkaufsleiter krone.at. „Wir setzen bei ‚krone.at' seit jeher auf Content, der unseren Partnern ein vertrauenswürdiges Umfeld bei hoher Sichtbarkeit der ausgespielten Kampagnen garantiert. Auch im stark wachsenden Video-Bereich verfolgen wir konsequent den Weg von Eigenproduktionen und machen dies über sämtliche Ressorts hinweg. Unsere User ‚belohnen' das mit hohen Abrufzahlen; so stehen etwa Eigenproduktionen wie ‚Adabei-TV' regelmäßig an der Spitze unserer Auswertungen.”
Gernot Fischer, Geschäftsführer Sales bei der Tageszeitung Heute, meint gegenüber media­net: „Erst gestern hat mir ein bedeutsamer Kunde mitgeteilt, wie wichtig für ihn der Wert der Wahrheit ist – d.h. gut recherchierte Stories, Meinung und Gegenmeinung usw. Er meinte, das ist aus seiner Sicht der wahre Wert der Printmedien und er meinte explizit, das gelte vor allem auch für reichweitenstarke Printmedien, die täglich ein Millionenpublikum erreichen. Facebook und Google sehen sich ja selbst nicht als Medienunternehmen, sondern als Technologieunternehmen und haben daher auch gar nicht den Wunsch, verlegerische und medienethische Grundsätze zu berücksichtigen. Ich schließe mich dieser Hoffnung an, dass möglichst viele Kunden diesem Beispiel folgen.”

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