WIEN/TEHERAN. Die EU und die USA haben am Samstag vergangener Woche ihre Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen die Islamische Republik Iran aufgehoben, und auch die österreichischen Exporteure stehen bereits in den Startlöchern. Österreich liefert derzeit pro Jahr Güter im Wert von rund 215 Mio. € in den Iran, bis zur Höhe von einer Mrd. € könnte das Handelsvolumen in den nächsten Jahren anwachsen. Die Einfuhren aus dem Iran machten wegen des Ölembargos nur ein Zehntel davon aus. Wir befragten dazu den österreichischen Wirtschaftsdelegierten im Iran, Georg Weingartner.
medianet: Wie groß ist der Aufholbedarf der iranischen Wirtschaft?
Georg Weingartner: Die Regierung Rohani (Irans Präsident Hassan Rohani, Anm.) ist Mitte 2013 mit dem Anspruch angetreten, die Inflation und den Währungsverfall unter Kontrolle zu bringen und die Wirtschaft zu stabilisieren. Das ist ihr aus heutiger Sicht gelungen. Bei allen Erfolgen hat sich aber an den massiven strukturellen Problemen der iranischen Wirtschaft wenig geändert. Der Bankensektor sitzt auf gewaltigen Ausständen uneinbringlicher Kredite. Eine Währungsreform ist dringend erforderlich und sie wird auch bereits von der iranischen Zentralbank vorbereitet.
Die iranische produzierende Industrie ist zu 80 Prozent veraltet, viele Unternehmen, besonders im staatsnahen Bereich, haben Liquiditätsengpässe. Die Kreditzinsen für Unternehmen liegen derzeit bei 18 Prozent im Durchschnitt, wodurch es für iranische Firmen fast unmöglich ist, an frisches Geld zu kommen. In vielen industriellen Bereichen muss die Anlagenstruktur vollkommen erneuert werden. Das betrifft nicht nur den petrochemischen Bereich, sondern auch die Automobilindustrie, die Stahlindustrie und die Zementindustrie – um nur einige Sektoren zu nennen.
Gleichzeitig hat der Iran mit erheblichen Umweltproblemen in den Ballungsräumen zu kämpfen. Wasserknappheit ist in einigen Provinzen zunehmend ein Thema und wird aus meiner Sicht das größte iranische Problem überhaupt im nächsten Jahrzehnt werden.
medianet: In welchen Branchen bietet der iranische Markt in den kommenden Jahren die größten Möglichkeiten für österreichische Firmen?
Weingartner: Es ist nicht so, dass der Iran in den letzten Jahren nicht von europäischen Unternehmen bearbeitet wurde. Das Importvolumen aus dem EU-Raum betrug in den ersten elf Monaten 2015 ca. 5,8 Mrd. Euro. Allerdings – das Importvolumen des Iran aus China lag im gleichen Zeitraum bei knapp 15 Mrd. Euro. Durch die Sanktionen haben europäische Unternehmen in den letzten Jahren massiv Marktanteile vor allem an asiatische Firmen verloren. Dieser Trend wird sich nach der nunmehrigen Aufhebung der EU-Sanktionen bis zu einem gewissen Grad wieder umkehren. Ich denke, dass gerade die europäischen Unternehmen die kurzfristigen Gewinner der Sanktionsaufhebungen sein werden. In den niedrigpreisigen Marktsegmenten werden die chinesischen Unternehmen aber ihre starke Position behaupten können, die sie sich in den letzten Jahren erarbeitet haben.
Bedarf gibt es in allen Branchen. Interessant ist etwa der Industriebereich, besonders die Automobilindustrie. Große Projekte sind außerdem im Infrastrukturbereich zu erwarten, besonders in der Schieneninfrastruktur, im Energiebereich, im Bereich des Gesundheitswesens und in der Umwelttechnik. Und schließlich gibt es im Iran eine sehr kaufkräftige Mittel- und Oberschicht, die auch westliche Konsumprodukte stark nachfragt.
medianet: Welche Besonderheiten bietet der iranische Markt? Was müssen Unternehmer beachten?
Weingartner: Der iranische Markt birgt für viele Unternehmen großes Potenzial, erfordert aber Geduld und Ausdauer. Erfolgreiche Unternehmen bereiten den Markt jahrelang auf, bevor sie erste wirkliche Geschäftserfolge einfahren können. Die so geschlossenen Kooperationen sind dann aber oft langanhaltend und nachhaltig. Aus diesem Grund haben Unternehmen, die auch in den schwierigen Sanktionszeiten dem iranischen Markt treu geblieben sind, einen erheblichen Startvorteil gegenüber jenen, die erst jetzt beginnen, den Markt zu bearbeiten.
Der Preis ist wichtig, aber die Produktqualität spielt oft eine mindestens ebenso große Rolle. Das kommt unseren Unternehmen entgegen, die hohe Qualität anbieten, die natürlich auch ihren Preis hat. Um auf dem iranischen Markt erfolgreich zu sein, muss man außerdem mit einem Partner vor Ort arbeiten. Eine ‚ferngesteuerte' Marktbearbeitung funktioniert erfahrungsgemäß nicht.
Marktsondierungen
Für heuer ist eine Reihe weiterer Marktsondierungen geplant. Vom 30. Jänner bis 3. Februar 2016 organisiert das Außenwirtschaftscenter Teheran in Kooperation mit dem Internationalisierungscenter Steiermark (ICS) eine Iran-Reise mit den Schwerpunkten Automotive, Industrie und Infrastruktur.Im Rahmen der Internationalsierungsoffensive „go-international” gibt es vom 27. Februar bis 1. März eine Marktsondierung nach Teheran zum Thema Bildung, Aus- und Weiterbildung. Bei der Messe „Project Iran 2016” vom 24. bis 27. April 2016 ist die österreichische Baubranche mit einer Gruppenausstellung vertreten. Infos der WKO unter: https://goo.gl/XZmVUV (sb)