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Redaktion 11.09.2015

Orwell trifft Apple

Selbstfahrende Autos und gesundheitsschützende Armbanduhren als Vorboten einer schönen neuen Welt.

•• Gastkommentar von Günter Koch

WIEN. Die dominanten Hypes unserer Tage sind geradezu idealtypisch auf die Abdeckung von Bedürfnissen in den unteren Etagen der Maslowschen Bedürfnispyramide ausgerichtet: Gesundheit, Mobilität, Wohlbefinden. In erster Näherung sind die Versprechen zweier personalisierbarer Technologieprodukte auch zu verführerisch, um sie nicht haben zu wollen: Das selbstfahrende Auto und die gesundheitsschützende Armbanduhr.

Wettlauf um die Datenhoheit

Was Apple und Co. bestens beherrschen, ist, den prospektiven Käufer dort abzuholen, wo er steht. Die Apple Watch wird laut deFacto Research eben erst einmal als luxuriöse Uhr und Terminkalender genutzt, erst an folgender Stelle als verlängertes Mobiltelefon für Textnachrichten, als Informationsauskunftssystem, dann als Satellit zu unserem Smartphone – und derzeit noch unter ferner liefen zum Monitoring unserer Gesundheitsdaten.
Nach einer gemeinsamen Verlautbarung von Apple und IBM wird dazu eine gemeinsame Firma gegründet, die Informationen rund um Gesundheit und körperliches Wohlbefinden auf Mio. von Apple-Geräten auswerten und diese dann Unternehmen aus dem Gesundheitssektor wie etwa Johnson & Johnson oder Medtronic anbieten soll; Krankenversicherungen haben sich ebenfalls schon angemeldet.

Ebenso einflussreich für unsere Lebensgestaltung wird sein, was alles aus unseren Fahrzeugen an die Datensammler übermittelt wird. Auch hier haben die kommerziellen Datenverwerter ihren Stecker am Bordcomputersystem. Allianz und andere große Versicherer – schon heute sind dies Signal Iduna und S-Direkt – bieten demnächst Polizzen an, deren Tarif den Fahrstil der Kunden berücksichtigt. Sobald das automatische Notrufsystem (eCall wird in allen neuen Autos ab 2018 eingebaut sein) eingerichtet ist, wird es kein Halten mehr geben und ein Wettlauf über die Datenhoheit im Auto entbrennen.
Das sind die auffälligsten von vielen Datensammelaktivitäten, mittels derer man uns im übertragenen Sinne „in die Unterwäsche“ schauen wird. Es scheint so zu sein, dass bald kein Geheimnis mehr unentdeckt bleibt und wir alle in unserem Denken und Verhalten durchsichtig, ab- und einschätzbar werden, was unsere Triebe, Wünsche, Leidenschaften – und die Bereitschaft zum Geldausgeben betrifft.

Faustischer Rohrkrepierer

Was wir vergessen, ist, dass unser gesellschaftlicher und persönlicher Fortschritt auch damit zusammenhängt, dass wir hart erkämpfte Grundrechte wie Mitsprache, Schutz des Privaten und Solidarität im Gesundheitswesen zu unserem Vorteil nutzen konnten. Die (neo)liberale Strategie, alles durch ein offenes Marktgeschehen sich selbst regulieren zu lassen, bringt fraglos dem Vorteile, der in diesem Wettbewerb obenauf zu schwimmen versteht. Es ist aber auch ein sicheres Rezept, dass die Gesellschaft sich ausdifferenziert: Der Gesündere wird dem Kranken immer überlegener, der Klügere den weniger Intelligenten ausbooten, der junge Starke den alten Schwachen immer mehr als Klotz am Bein empfinden.

Diese schöne neue Welt stellt unseren sozialen und demokratiepolitischen Konsens auf den Prüfstand. Was sich auf den ersten Blick als Gimmick zur Lebensqualitätsverbesserung vorstellt, kann sich als faustischer Rohrkrepierer erweisen. Spätestens wenn man ein Fall für die medizinische Versorgung – oder im Falle der Autoversicherung für eine Schadensbegleichung – geworden ist, wird man feststellen, dass die glänzende Münze eine matte Rückseite hat. Fortschritt ist nicht nur eine Frage der Einführung neuer Technologien; auch Innovationen auf dem Gebiet gesellschaftlicher und ethischer Regeln werden zu fördern sein, so wie für den Führerschein der Zukunft nicht mehr die Fähigkeit zum Lenken eines Fahrzeugs abzuprüfen sein wird, sondern die Beherrschung der künstlichen Intelligenz des Automobils.

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