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© Nicole Heiling

Paul Hafner 21.06.2019

Die „Snackification” der Esskultur

Hanni Rützlers neuer Food Report berichtet vom Siegeszug der Snacks, der Zukunft der Lebensmittelverpackungen und „Urban Food”.

••• Von Paul Hafner

Snacks treten an die Stelle traditioneller Mahlzeiten und weichen auch in der Gastronomie die Dreieinigkeit von Vorspeise, Hauptgang und Dessert auf. Essenszeiten verlieren an Bedeutung, unsere Gewohnheiten passen sich zeitlich und räumlich unserem von Mobilität und Flexibilität geprägtem Alltag an. Das Supermarkt-Angebot an „On-the-Go”-Food wird weiter zunehmen.

Hanni Rützler berichtet im Food Report 2020 von den Ess-Trends der Gegenwart und bietet einen Ausblick in die Esskultur der Zukunft. Das Schlagwort der Stunde: „Snackification”.

Man ist,was man nicht isst

In den vorherrschenden Essgewohnheiten einer Gesellschaft kommen viele Aspekte ihrer Lebenskultur zum Vorschein. Doch laut Hanni Rützler gilt weniger, dass der Mensch ist, was er isst: „Inzwischen ist der Mensch auch immer mehr das, was er aus Überzeugung nicht isst.” Noch nie konnten wir so frei entscheiden, was wir essen und was wir nicht essen wollen.

„Diese Wahlfreiheit differenziert unsere Esskultur immens aus”, betont die Trendforscherin – und doch entstehen gerade durch den Hang zur maximalen Individualität einige Mega­trends, auf die Supermärkte und Gastronomie bereits reagieren oder bald reagieren werden müssen. Rützler sieht die Restaurants vor der Herausforderung, „auch Konzepte, Portionsgröße und Servicezeiten zu adaptieren”.

„Snackification” und „Mimas”

Der „Snack” macht eine Bedeutungswandlung durch: Einst mit salzigen oder süßen zwischenmahlzeitlichen Belohnungen und Heißhunger assoziiert, legt der Begriff in Werbung und Alltag zunehmend seine negative Konnotation ab. „Langsam wandeln sich Snacks zu ‚kleinen Mahlzeiten', von denen Konsumenten erwarten, dass sie gesund und genussvoll zu gleich sind”, erklärt Rützler und nennt die „neuen Mini-Mahlzeiten” verkürzend „Mimas”.

Ob nun Snack oder Mima, die kleine Mahlzeit verliert den Charakter der Zwischenmahlzeit: Sie wird zum eigentlichen Essen. Das liegt laut Rützler zum einen an der zunehmenden Popularität internationaler Spezialitäten wie Tapas, Ramen und Mezzes, aber auch am viel höheren Anteil an Single- und Zwei-Personen-Haushalten gegenüber früher und schließlich auch der Flexibilisierung des Arbeitslebens. Häufig wird allein oder „mit situativen Esspartnern” gegessen.
Das hohe Gesundheitsbewusstsein – ein weiterer anhaltender Trend – tut sein Übriges: Üppige Menüs mit Suppe und Nachspeise entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist, man isst lieber weniger, dafür öfter. Der Late-Night-Snack ist das (nicht zwangsläufig süße) Betthupferl von heute.

Flexitarier auf dem Vormarsch

Die Wiederentdeckung von traditionellen Innereien und deftigen Fleischgerichten, für die Rützler exemplarisch das Wiener Gasthaus Buchecker & Sohn anführt, stellt dabei für Rützler keinen Widerspruch dar. Gemüse mag dem Fleisch die Hauptrolle am Teller abgenommen haben – völliger Fleischverzicht, so prophezeit sie, werde sich aber nicht zur Leitkultur der Zukunft entwickeln. Die Entwicklung gehe vielmehr Richtung Flexitarismus: Konsumenten essen weiterhin Fleisch, aber wesentlich weniger und sie achten dabei auf Qualität und Herkunft.

„Cultured Meat”, synthetisch hergestelltes Fleisch, steht indes „kurz vor dem Durchbruch”, was einen Wandel in der Produktion zur Folge haben könnte, da Fleisch und Fisch künftig „aus Zellkulturen in urbanen Produktionsstätten” auf kleinstem Raum hergestellt werden könnten.

Stadtbauern im Aufwind

Damit ist auch ein weiterer von Rützler beobachteter Trend angesprochen: Urban Food, also Essen aus urbaner Landwirtschaft. Es stehe für „ein neues Bewusstsein und eine daraus entstehende Bewegung, die mit neuen Technologien substanzielle Alternativen für unser Ernährungssystem entwickelt”.

Fokussiert wird dabei auch Biodiversität, Tierwohl und Klimawandel, Stadtbauern gewinnen an Bedeutung, und „Produktion, Verarbeitung und Konsum” rücken wieder näher zusammen.
Im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion könnten, dem Beispiel der Stadtimker folgend, auch Algen, Pilze und Schnecken – von Rützler subsumiert als „New Urban Foods” – als Nahrungsmittel infrage kommen.

Beyond Plastic

Der abschließende Schwerpunkt in Rützlers Report ist der Zukunft der Lebensmittelverpackungen gewidmet.

Hierbei gehe es nicht nur um alternatives Verpackungsmaterial, sondern um den Verzicht auf überflüssige Verpackung: „Müllvermeidung, alternative Kunststoffe und das Denken in Materialkreisläufen werden zu den wichtigsten Herausforderungen für Lebensmittelproduzenten, Handel und Konsumenten.” Die Bereitschaftschaft der Kunden, verpackungsfrei einzukaufen, steige jedenfalls.

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