Wien. Das Thema Ernährung ist ein kontroverses und fand in all seinen Facetten selten so viel Raum in Gesellschaft und Medien wie heute. Die Doktrin der Selbstoptimierung verleiht gewissen Ernährungsweisen sogar das Potenzial, Statussymbol oder zumindest ein politischer Akt zu sein: In etwa nach dem Schema, „Mit kritischem Konsum zum guten Gewissen”. Alles in allem lässt sich in den entwickelten Ländern dieser Welt ein neogrüner Shoppingtrend beobachten, der sich „Nachhaltigkeit” auf die Fahne schreibt – und an dem die deutsche Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann einiges auszusetzen hat. Denn das vermeintlich nachhaltige Einkaufsverhalten wurde, so Hartmann, von der konventionellen und weniger nachhaltig agierenden Lebensmittelindustrie längst durchschaut – und vereinnahmt.
Ende der Märchenstunde
Supermärkte und Diskonter, erklärt Hartmann im Gespräch mit medianet, seien Teil eines unfairen, ausbeuterischen Systems und das Einkaufen dort daher problematisch: „Die Tatsache, dass im Supermarkt ein paar Produkte angeboten werden, die ‚Bio' oder Fairtrade sind, ändert überhaupt nichts an der Struktur und den Einkaufspraktiken von Handelsketten, die für einen großen Teil der weltweiten Armut sowie Klima- und Umweltzerstörung mitverantwortlich sind.” Das „größte Übel”, das es gibt, ist für die Autorin die weltweite Massenproduktion von Fleisch – und dessen steigende Nachfrage. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wurden im Jahr 2013 weltweit bereits 308,2 Mio. t Fleisch produziert – vor allem Schwein (114,2 t) und Geflügel (106,4 t). Der pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch lag in den Industrieländern damit im selben Jahr bei 79,3 kg – in den Entwicklungsländern bei 33,3 kg (siehe Grafiken). „Der Fleischkonsum muss reduziert werden”, so Hartmann. „Bereits jetzt werden zwei Drittel der weltweiten Ackerflächen für die Produktion von Fleisch genutzt – also für den Anbau von Futtermittel und für Weideflächen.”
„Keine Einzefälle”
Vor diesem Hintergrund scheint eine vegane oder zumindest fleischlose Ernährung deshalb natürlich sinnvoll. Doch gerade auf der medialen Seite stoßen diese Ernährungsvarianten häufig auf eine Antihaltung. „Das hat mit Rationalität nichts zu tun, sondern kommt bei den Rezipienten einfach total gut an”, kommentiert Hartmann. Das Deklarieren von Fleisch zum gesunden und notwendigen Nahrungsmittel sei einfach nur bequem, „weil die Leute ja hören wollen, dass Fleisch essen eigentlich viel besser ist und wir alle nichts ändern müssen”. Zudem würden der Pferdefleisch-skandal oder der Aufschrei, den die Dumpingpreise bei Diskonter-Fleischprodukten in Deutschland erzeugten, weniger abschreckend wirken. Im Gegenteil: „Diese Skandale erwecken den Anschein, es handle sich dabei um Einzelfälle und der Rest ist in Ordnung. Dabei verschleiern diese Vorfälle, dass sie eine strukturell und systematisch bedingte Ursache haben.” Mit Argusaugen schaut Hartmann der Lebensmittelindustrie auf die Finger. Auch Greenwashing lasse sich immer wieder beobachten. Besonders mit Lebensmittelkonzernen geht die Autorin auf ihrem Blog und in ihren Büchern („Ende der Märchenstunde” & „Wir müssen leider draußen bleiben”) hart ins Gericht. Hartmann spricht die Dinge offen aus: „Was Konzerne freiwillig versprechen, verändert nichts am System – deswegen glaube ich ihnen kein Wort.”
Essen, das niemand braucht
Ihr Geld, so die Autorin, verdient die Lebensmittelindustrie damit, dass sie „schlechtes Essen” produziert und verkauft: „Konzerne stellen Dinge her, die kein Mensch braucht und haben noch dazu eine unglaubliche Macht, die nicht gerechtfertigt ist.” Fertigprodukte würden heute im Wesentlichen aus Fett, Stärke und Zucker bestehen; Fett bedeutet dabei überwiegend Palmöl „und damit die Produkte nach etwas aussehen und schmecken, werden sie mit Chemie vollgepumpt, mit Farbstoffen und künstlichen Aromen”. Insbesondere Palmöl liefert einen bitteren Beigeschmack: Der Verbrauch des unter anderem in Lebensmitteln und Kosmetika enthaltenen und früher gern mit der Bezeichnung „pflanzliche Fette” verschleierten Öls hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Der Großteil stammt aus Indonesien und Malaysia – im Jahr 2012 produzierten die beiden Länder 23,7 Mio. bzw. 18,8 Mio. t Palmöl (Quelle: FAOSTAT, 2013). Die Nachfrage nach billigem Fett verhalf den beiden Ländern zwar zu wirtschaftlichem Wachstum, doch für die riesigen Anbauflächen werden Regenwälder dem Erdboden gleichgemacht, Tiere und indigene Völker müssen Platz machen.
Der Beigeschmack von Palmöl
„Ich habe versucht, in Indonesien das nachhaltige Palmöl zu finden, welches unter anderem auch von Unilever, Nestlé und anderen propagiert wird. Aber: Es gibt schlicht und einfach kein nachhaltiges Palmöl. Auch Palmöl mit dem Siegel des Runden Tischs für nachhaltiges Palmöl (RSPO) wird unter bedenklichen Bedingungen in gerodeten Regenwäldern und unter Landrechts- und Menschenrechtsverletzungen gewonnen”, lautet Hartmanns Fazit. Schlimmer noch: „Die Konzerne wissen genau, was in den Ländern passiert, aus denen ihre Rohstoffe stammen, oder in denen sie produzieren lassen. Aber niemand kann ihnen was anhaben, weil sie besser durch die Gesetze – die sie erheblich beeinflussen – geschützt sind, als ihre Opfer.” In El Salvador sah sich Hartmann an, wo westliche Markenunternehmen Sportbekleidung herstellen lassen. „Die Fabriken, in denen Adidas, Puma, Nike und Co. produzieren lassen, stehen allesamt in Sonderwirtschaftszonen. Das heißt, sie zahlen keine Steuern in dem Land, in dem sie herstellen”, kritisiert die Autorin.
TTIP stärkt nur Konzerne
Die Industrie gehe schließlich immer dorthin, wo Umwelt- und Menschenrechte eine kleine bis gar keine Rolle spielen. „Es wird niemals Massenproduktion von Industrieartikeln geben ohne Ausbeutung – das Ganze wäre schlichtweg nicht profitabel.” Auch vor dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen USA und EU, TTIP, warnt Hartmann. TTIP würde erneut und ausschließlich die Macht und den Profit der Konzerne stärken: „De facto höhlen solche Abkommen Menschen-, Umwelt-, Arbeits- und Bürgerrechte aus, indem sie die Handlungsmöglichkeiten von Bürgern und Politik einschränken.” Sich selber nicht länger als passiven Konsumenten, sondern als Bürger mit Rechten und Pflichten zu begreifen, sei deshalb ein erster wichtiger Schritt in Richtung Veränderung, empfiehlt Hartmann.