••• Von Paul Hafner
Bevor die Corona-Pandemie und die Auswirkungen der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung die Schlagzeilen dominierten, war im Handel über Jahre hinweg die Nachhaltigkeit das Überthema Nummer eins gewesen. Doch wenngleich zu Beginn der Krise Plastikreduktion, Vermeidung von Lebensmittelabfall und der Bau von Photovoltaikanlagen etwas aus dem Fokus gerückt sind, hat sich das Bedürfnis nach umweltschonendem Konsum entgegen vielen Befürchtungen als krisenresistent erwiesen.
Davon weiß eine neue Horváth-Studie zu berichten, die der Konsumgüterlandschaft einen im doppelten Sinn nachhaltigen Wandel attestiert – und aktuell eine Dynamisierung und Veränderung des Kaufverhaltens beobachtet, auf die Hersteller „mit entsprechenden Kapazitäten und Prioritäten reagieren müssen”, wie Studienautor Michael Buttkus betont.
Grüne Welle
Die Studienergebnisse offenbaren deutlich, welch hohen Stellenwert nachhaltig produzierte Konsumgüter mittlerweile in der Kaufentscheidung quer durch alle Verbraucherschichten haben. So zeigt sich, dass die Ausgaben für nachhaltige Produkte, gemessen an der allgemeinen Ausgabenbereitschaft, vergleichsweise stabil geblieben sind bzw. im Bereich Lebensmittel sogar steigen, obwohl 54% der Befragten angeben, weniger Geld für Konsumgüter auszugeben und 46% generell weniger konsumieren.
Kurzum: Die reduzierte Konsumlaune berührt die Bereitschaft für den Kauf nachhaltiger Produkte nur geringfügig: Nicht einmal ein Viertel der Befragten (24%) gibt aus Kostengründen weniger für Bio- und/oder Fairtrade-Lebensmittel aus, und nur unwesentlich mehr (26%) stecken bei nachhaltiger Kleidung zurück.
Einen „kollektiven Sparkurs” samt Leerkaufen der günstigsten Produkte habe es gemäß Analyse schon nur zu Beginn der Krise – Stichwort „Hamsterkäufe” – gegeben; das Phänomen sei aber nicht repräsentativ für den weiteren Verlauf des Einkaufsverhaltens über den März hinaus. So erlebten etwa Bio-Lebensmittel ein wahres Hoch.
Darüber hinaus habe sich herausgestellt „ dass viele Personen die Pandemie nutzten, um den eigenen Lebensstil zu reflektieren. Themen wie Regionalität, Solidarität und Gesundheitsbewusstsein rückten in den Vordergrund”, so Buttkus.
Der Faktor Preis
Ein oft überschätzter Aspekt in der Debatte um nachhaltige Produkte ist, gerade im Lebensmittelbereich, die Preissensibilität. Obwohl auch Diskonter mittlerweile über ein großes Sortiment an Bio- und Fairtrade-Artikeln unterschiedlicher Produktgruppen im Angebot verfügen, wird nachhaltiger Konsum häufig als Luxus und stark einkommensabhängig aufgefasst.
Auch diesem auf den ersten Blick naheliegenden Vorurteil weiß die Studie andere Ergebnisse entgegenzusetzen: Zwischen den Gruppen „nachhaltig” und „weniger nachhaltig” lebender Konsumenten gab es keinen signifikanten Unterschied bzgl. der Einkommensverteilung. Auch unter Geringverdienern finden sich Befürworter eines „grünen Lebensstils”; ebenso gibt es Top-Verdiener, die sich für nachhaltiges Denken und Handeln nicht begeistern können. Das unterschiedliche Wertesystem zwischen den Gruppen sei somit – wird in der Studie gefolgert – einkommensunabhängig.
Die höchste Mehrausgabebereitschaft für Nachhaltigkeit liegt generell im Lebensmittelbereich und hier insbesondere bei Schokolade: Konsumenten empfanden einen Preis für Bioschokolade als optimal, der 42% über dem Premiumprodukt ohne Siegel lag. Fair produzierte Schokolade erhöhte die Preisbereitschaft immerhin um 14%. Buttkus: „Nachhaltigkeit beruhigt also nicht nur das unternehmerische Gewissen, sondern lässt auch deutlich höhere realisierbare Endverbraucherpreise zu.”
Orientierung ist gefragt
Die Bereitschaft für ein Preisplus zeigt sich darüber hinaus auch im Textilbereich: Für nachhaltige und fair produzierte Kleidungsstücke waren die Verbraucher gemäß Studie bereit, um ein Fünftel mehr zu zahlen als für ein konventionell hergestelltes, ebenfalls hochwertiges Produkt.
Transparenz steht dabei an oberster Stelle: Zahlreiche Siegel wollen faire Produktionsbedingungen und „cleane” Inhaltsstoffe im Regal deutlicher hervorheben; doch kommt dies nicht immer beim Kunden an. Überraschend: Die Datenlage zeigt, dass ein frei erfundenes Siegel über alle untersuchten Kategorien (Food&Beverages, Körperpflege und Textil) hinweg öfter „erkannt” wurde als eines der tatsächlich existierenden Pendants.
Eine bedeutende Ausnahme stellt hier das Fairtrade-Logo dar, das, bestens etabliert, von 92% der Menschen erkannt wird und auch von fast ebenso vielen in seiner Bedeutung erfasst wird. Österreich-Geschäftsführer Hartwig Kirner prognostizierte schon im Frühjahr, dass im Zuge des krisenbedingten Bio-Booms auch die Nachfrage nach fairen Produkten dauerhaft steigen würde – und Lebensmittel „wieder an Wert gewonnen haben”.
Was die Konsumenten ärgert
Einblick in das Gemüt der Konsumenten liefert die Studie auch mit der Erfragung jener Aspekte, die sie beim Kauf nachhaltiger Produkte stören. Hier zeigt sich, dass es weniger die Produkteigenschaften sind, die noch verbesserungswürdige Ökoqualität und Fairness, sondern allem voran die Täuschungen und Fehlinformationen bei Produktauszeichnung und Produktkommunikation.
„Irreführende Herkunftsnachweise, Fake-Siegel auf Produktverpackungen und Fantasienamen sind alles andere als geeignet, das Vertrauen in Bio und Fair zu stärken”, so Buttkus. Authentische Geschichten, die zur eigenen Marke passen und die aktuelle Lage widerspiegeln, sind wichtiger als Gütesiegel. „So lässt sich gerade in Corona-Zeiten das eigene Profil schärfen und die Nachhaltigkeit glaubhaft in der eigenen Marke verankern”, erklärt Buttkus.
Auch die bei vielen Anbietern bestehende Kluft „zwischen unternehmenseigenen Sustainability-Ambitionen und der Realität” sei vor dem Hintergrund steigender Konsumentenerwartungen und der klaren Verbraucheranalysen dringend zu schließen, wird in der Studie argumentiert.
Richtige Gelegenheit
Weil die Kunden gerade jetzt durch die Krise besonders sensibilisiert für die Themen Regionalität, Fairness und Nachhaltigkeit sind, empfehlen die Studienautoren, die „grünen und fairen Initiativen mit entsprechenden Kapazitäten und Prioritäten voranzutreiben”. Nachhaltigkeit sei im Begriff, schlichtweg zum „Hygienefaktor” und damit essenziell für die ganzheitliche Ausrichtung der Unternehmen zu werden. Die Ergebnisse würden zeigen, dass es hier um nicht weniger als die Wettbewerbspositionierung gehe.
Wichtig sei es, die eigenen Nachhaltigkeitsansprüche zu definieren, mit dem Unternehmen abzugleichen und mit dem direkten Wettbewerb ins Verhältnis zu setzen. Der Kauf nachhaltiger Produkte ist nicht (mehr) ökologischen Randgruppen und Eliten vorbehalten, sondern findet in der Mitte der Gesellschaft Anklang und hat sich auch als krisenfest erwiesen – das ist die Quintessenz der Studie, die nicht zuletzt signalisiert: Nachhaltigkeit und Profitabilität müssen einander keineswegs ausschließen. Nachhaltige Produkte werden vom Kunden mit einem Mehrwert assoziiert, der sich in erhöhter Zahlungsbereitschaft widerspiegelt.
So wie die Pandemie viele Kunden zur Reflexion ihres Lebensstils gedrängt hat, sollen demnach Konsumgüterhersteller ihre Produkte und Prozesse einer systematischen Analyse im Hinblick auf neue Anforderungen unterziehen – und das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus rücken.