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Redaktion 22.09.2023

„Nachhaltigkeit muss weiter leistbar bleiben”

EY-Retailexperte Martin Unger analysiert die Ergebnisse des „Sustainable Commerce Report 2023”.

••• Von Paul Hafner

Mit der Nachhaltigkeit ist es so eine Sache: Zwar ist sie stets in aller Munde, bleibt aber dann häufig doch vorrangig ein Lippenbekenntnis – sowohl seitens der Unternehmen als auch der Konsumenten. Die Wichtigkeit, welche umweltverträglichem Handeln in Umfragen seit Jahren immer wieder und von beiden Seiten in Einklang beigemessen wird, spiegelt sich in den Zahlen zum Konsum, aber auch in der Konsequenz der getätigten Maßnahmen nur bedingt.

Gleichzeitig lässt sich klar konstatieren, dass die Stoßrichtung stimmt – das zeigen nicht zuletzt diverse hehre Initiativen im Lebensmittelhandel. Es geht etwas weiter – aber eben nicht so schnell, wie es für die Bekämpfung des Klimawandels vonnöten wäre. Mit der anhaltenden Teuerung ist im vergangenen Jahr ein weiterer „Bremsklotz” hinzugekommen, wie es Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will im Rahmen der Präsentation des „Sustainable Commerce Report 2023” formuliert; die aktuellen Krisen hätten die Investitionsbereitschaft des Handels in Nachhaltigkeit verringert.
Neben mangelnder Kapitalausstatung geben die im Zuge der Studie befragten Händler (107 Mitglieder des Handelsverbands) auch eine Unklarheit über die Wünsche sowie die Zahlungsbereitschaft der Kunden als größte Hürde an.

Einvernehmlicher Stillstand

Ob beim Kauf von Lebensmitteln, Kleidung, Möbeln oder Elektrogeräten: Verbraucher achten zurzeit vor allem auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis (über 80%) und eine hohe Produktqualität (über 70%) – erst dahinter folgen Nachhaltigkeitsaspekte wie Regionalität, Tierwohl und umweltschonende Verpackung (Lebensmittel) bzw. Verzicht auf fragwürdige Inhaltsstoffe und faire Arbeitsbedingungen (Kleidung).

Zwar haben sich die Prioritäten gegenüber der Vergleichsstudie von 2021 kaum verschoben, doch gewinnt das Kriterium des „generell niedrigen Preises” signifikant an Bedeutung: War dieser in 2021 nur für die Hälfte der Österreicher wichtig, so ist dies heuer bei Lebensmitteln für rund zwei Drittel ein wesentliches Kaufkriterium, bei Bekleidung für knapp 60%. Fast die Hälfte der Befragten (47%) gibt explizit an, dass sie sich Öko-Produkte derzeit aufgrund der allgemeinen Teuerung nicht leisten kann.

Ball liegt bei den Händlern

„Beim Kauf von Möbeln oder Elektrogeräten ist die Preissensibilität etwas geringer, längerfristige Investitionen werden also auch von anderen Kriterien abhängig gemacht bzw. wurden schlicht schon im Rahmen des Cocooning während der Pandemie angeschafft. Aber gerade bei Produkten des täglichen Bedarfs ist zurzeit Sparen angesagt”, analysiert Will. Wer es sich hingegen auch jetzt noch leisten kann, ist durchaus bereit, für Nachhaltigkeit weiterhin etwas mehr Geld hinzulegen.

Konkret gibt rund die Hälfte der 1.000 Befragten an, für Bio-Produkte, Erzeugnisse aus der Region oder fair gehandelte Waren tiefer ins Geldbörserl zu greifen. Besonders Regionalität nimmt beim Einkauf einen hohen Stellenwert ein: 52% sind bereit, für Produkte aus der Region zu überzahlen.

Ein Drittel ist resignativ

Immerhin ein gutes Drittel (34%) ist der Ansicht, dass nachhaltige Bemühungen von Einzelnen und auf lokaler Ebene sowieso nichts bewirken. Produzenten und Lieferanten sowie die Politik werden am stärksten als Verantwortungsträger für Nachhaltigkeit gesehen. Will: „Nicht alles können die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst bestimmen, oft stehen die Rahmenbedingungen einem nachhaltigeren Konsum entgegen. Wirtschaft und öffentliche Hand haben eine wichtige Hebelwirkung für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen. Wir alle sind gefordert, die notwendigen Weichenstellungen voranzutreiben, damit die Menschen nachhaltiger konsumieren können.”

Ball liegt bei den Händlern

Auch für Martin Unger, Leiter des Sektors Konsumgüter und Handel bei EY Österreich, bleibt der Ball bei den Unternehmen: „Im aktuellen Wirtschaftsumfeld ist es zwar bemerkenswert, dass Nachhaltigkeit in den Köpfen der Menschen einen so hohen Stellenwert genießt und sich im Vergleich zu 2021 wenig verändert hat. Trotzdem zeigen die Zahlen eindeutig: Es müssen deutlichere Anreize geschaffen werden, damit Nachhaltigkeit für die breite Masse leistbar bleibt.”

Der Handel habe in den kommenden Jahren „gewaltige regulatorische Anforderungen zu erfüllen”, erinnert Unger daran, dass Druck auf Unternehmen nicht nur in Form veränderter Konsumentenerwartungen daherkommt. Ob Einwegpfand, Mehrwegquote oder Lieferkettengesetz: Die zunehmende unternehmerische Ausrichtung auf Kreislaufwirtschaft ist keine Option, sondern gesetzlich auferlegt.
Unger: „Eine Empfehlung, die mir am Herzen liegt, ist, Nachhaltigkeit nicht als von der Unternehmensstrategie separiert zu sehen, sondern sie zu integrieren.” Dabei ortet er durchaus einen Bedarf in der Präzisierung der Ziele, denn: „Der Konsument wünscht sich klare, glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation.”

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