Gastbeitrag ••• Von Anne M. Schüller
Das Suchverhalten und die Entscheidungsprozesse der Kunden haben sich längst schon weitaus drastischer verändert, als die Unternehmen das wahrhaben wollen. Viele Anbieter kommen den sich zunehmend digitalisierenden, zu Netzwerkschwärmen verbundenen Konsumenten längst nicht mehr hinterher. Deren Gewohnheiten ändern sich laufend. Ihre Anspruchshaltung steigt ständig. Messlatte ist nicht länger der Wettbewerb, sondern branchenübergreifend der Beste seines Fachs.
Darüber hinaus sind die Kunden jederzeit absprungbereit. Im Web wird man ständig zur Untreue verführt. So wird Neues laufend getestet. Wechseln ist völlig normal. Die Neukundengewinnung erfordert eine endlose Kraftanstrengung. „Solide” Leistungen und Beliebigkeit fallen gnadenlos durch. Standard und Mittelmaß locken heute niemanden mehr. Anbieter, die sich nicht auf eine ganz individuelle Art besonders anziehend machen können, verschwinden vom Markt.
Produkt als Dienst am Kunden
Zudem haben die Leute fast alles, Erstausstattungen werden kaum noch gebraucht. Klassische Statussymbole verlieren an Reiz. Immaterielles erhält zunehmend Bedeutung. Erlebnisse sind vor allem der optionsfreudigen jungen Generation wichtiger als Besitz. „Sharen”, also das Teilen von Dingen und mithin auch die Wiederverwendbarkeit, sind neue Megatrends.
Jenseits des Nötigen kauft man Neues nur dann, wenn es entweder unverzichtbar ist und/oder Hyperrelevanz für einen hat. Ein wesentliches Ziel für Firmen in der digitalisierten Ökonomie ist also das Erreichen der Hyperrelevanz. Hyperrelevanz genießen nur Unternehmen, Produkte und Marken, an denen man einfach nicht vorbeikommt. Sie bieten eine derart unwiderstehliche Leistung, dass Kunden „meilenweit gehen”, um stolze Nutzer oder Besitzer zu sein.
Anziehung mit Hyperrelevanz
Unannehmlichkeiten und Marotten werden der Marke verziehen – man ist ja Fan. Missionarisch trägt man ihre Botschaft hinaus in die Welt. Man will nur mit „dem einen” Anbieter zusammenarbeiten und nur „dieses eine” Produkt kaufen, anderes kommt nicht in die Tüte. Hyperrelevante Marken sind somit äußerst begehrenswert.
Der beste Indikator für Hyperrelevanz: Das sind die Namen der Marken, die immer dann fallen, wenn es um etwas Bedeutsames geht.
Sie erzeugen Hyperrelevanz in ihrer Kategorie und genau in der Zielgruppe, die sie erreichen wollen. Man kann oder will auf sie nicht verzichten. Solche Marken stellen eine Identifikationsfläche dar. Sie sind überaus nützlich, anderen beispielhaft überlegen, dem Üblichen weit voraus, charismatisch, faszinierend, sozusagen behaftet mit einer gewissen Magie.
Dies alles erreicht man nicht nur durch vortreffliche Funktionsmerkmale, erstklassige Abläufe und die Fürsprache Dritter, sondern auch durch Design. Dabei ist mit Design keineswegs nur eine ansprechende Optik gemeint, sondern auch eine umwerfende inhaltliche Komposition.
Letzteres macht zum Beispiel die Haselnusscreme Nutella für viele hyperrelevant. Die wollen eben Nutella – und keinen Abklatsch, kein Plagiat.
Den Zeitgeist beflügeln
Hyperrelevante Marken erlöschen nicht nach einem kurzen Hype. So wie etwa Tesla, Nike, Starbucks oder Red Bull beflügeln sie vielmehr den Zeitgeist. Einige sind nur in eingeweihten Kreisen bekannt, andere sind in aller Munde und werden ständig zitiert, weil jeder sie kennt. Der Eindruck von Hyperrelevanz wird weithin geteilt und ringt den Leuten Bewunderung ab.
Technologie kann dabei allenfalls kurzfristig begeistern. Zudem ist Technologie nicht exklusiv. Deshalb ist sie schnell imitiert. So sorgt sie bestenfalls nur sehr temporär für einen Wettbewerbsvorteil.
Abseits der Preisspirale
Auch Produkte per se sind ruckzuck kopiert. Zudem sind sie leicht vergleichbar. Hierdurch geraten sie sofort in den Preiswettbewerb. Und im Preiswettbewerb verliert jedes Produkt sein Charisma. Customer Experiences hingegen und personalisierte Servicemomente sorgen für Differenzierung, für Individualisierung, für Emotionalisierung – und damit für Hyperrelevanz.
Hyperrelevanz erzielt man zum Beispiel auch durch den Netzwerkeffekt. Der besagt: Wo viele sind, wollen viele sein. Und wo niemand ist, will niemand sein. Warum das so ist? Mit jedem neuen Akteur auf einer Plattform – egal ob Anbieter oder Kunde – steigt der Nutzen für alle Teilnehmer. Wer also die Regeln der Plattform-Ökonomie gut beherrscht, liegt in Sachen Hyperrelevanz schnell vorn.
Wo hingegen mit den üblichen Standards gearbeitet wird, tut sich Hyperrelevanz schwer. Natürlich muss Qualität nach unten abgesichert werden und gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Doch jede Normierung erzeugt Isomorphie. Das heißt: Alles gleicht sich immer mehr an. Genau deshalb wird man gewöhnlich. Doch gewöhnlich ist das Gegenteil von begehrlich – und der Todesstoß für jegliche Hyperrelevanz.