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© Boutiquehotel Stadthalle/Tina Herzl

Redaktion 05.05.2023

Grüne Gamechanger trafen sich in Wien

Finale des mehrjährigen EU-Projekts „European Tourism Going Green 2030” mit Expertentagung.

••• Von Alexander Haide

Greenwashing funktioniert schon lange nicht mehr und vergrault eher die potenzielle Kundschaft. Deshalb erwerben 70 bulgarische, deutsche, italienische, kroatische, rumänische und österreichische Tourismus-KMU, vom Campingplatz bis zum Qualitätshotel, im Rahmen der EU-Initiative „European Tourism Going Green 2030” streng geprüfte Nachhaltigkeitszertifikate. Doch wie wichtig ist die Transformation zum Green Tourism, welches sind die Hürden und was belastet die Unternehmen? Experten, die an der Green Tourism Conference am 3. und 4. Mai teilnahmen, beantworteten im Vorfeld einige entscheidende Fragen.

Stefan Gössling ist Professor an der School of Business and Economics der Linnaeus University in Kalmar, Schweden. Fabian Weber lehrt als Professor am Institut für Tourismus und Mobilität an der Hochschule Luzern.


medianet:
Ist der Paradigmenwechsel zum nachhaltigen Tourismus, Green Tourism, eher eine Belastung oder eine Chance für Unternehmen bzw. für den Tourismus im Allgemeinen?
Stefan Gössling: Ganz klar eine Chance. Ich habe gerade einen umfassenden Bericht erarbeitet, der sich mit Push- und Pull-Faktoren sowie den Barrieren zu mehr Nachhaltigkeit bei touristischen Unternehmen befasst. Wir haben schon sehr viel ‚Push' im System, höhere Energiekosten, Klimagesetze, etc., aber es gibt eben auch viel ‚Pull': Durch Effizienzmaßnahmen lassen sich teure Energie sparen, Gäste erwarten mittlerweile, dass sich Unternehmen stark für Nachhaltigkeit einsetzen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, finanzielle Zuschüsse für Umstellungsmaßnahmen zu bekommen, und wer sich nachhaltiger aufstellt, der kann damit Werbung machen. Das führt zu mehr Sichtbarkeit, höherer Zufriedenheit bei den Gästen, mehr loyalen Gästen, die zurückkehren. Man wird auf den entsprechenden Plattformen stärker empfohlen und kann Preise gewinnen. Mitarbeiter sind motivierter – und bleiben länger im Betrieb. Die Liste der Vorteile ist lang.
Fabian Weber: Natürlich ist es für viele touristische Unternehmen, insbesondere KMU, eine Herausforderung, ihre Betriebe konsequent nachhaltig auszurichten. Trotzdem liegt darin eine große Chance, da diese Betriebe für zukünftige Anforderungen besser aufgestellt und wettbewerbsfähiger sein werden.

medianet:
Welches sind die wichtigsten Maßnahmen, die auf dem Weg zum Green Tourism in Unternehmen umgesetzt werden müssen?
Gössling: Wir brauchen mehr Kommunikation zum Thema, denn noch immer verstehen viele Menschen nicht die Ernsthaftigkeit des Klimawandels oder die Implikationen nicht-nachhaltigen Handelns für andere Menschen und die Umwelt. Die Aufmerksamkeit muss weiterwachsen, aber auch das Wissen zu Klimawandel, Energie und Nachhaltigkeit. Ideal ist es, wenn man eine Solaranlage installiert. Da verstehen viele Menschen zum ersten Mal, was eine Kilowattstunde Strom ist – und es macht Spaß, zuzusehen, zum Beispiel per App, wie die Anlage auf dem Dach arbeitet. Eine tolle Einstiegsstrategie, um Klimawandel eben auch mal positiv zu sehen: Jeder kann etwas machen. Und es lohnte sich auch schon vor dem Ukrainekrieg und den Energiepreiserhöhungen. Eine Solaranlage ist sehr ökonomisch.

Was einzelne Maßnahmen sein können, ist Ebenen-abhängig. Die nationalen Tourismusorganisationen sollten aufhören, in sehr weit entfernten Märkten Werbung zu machen. Das ist nicht mal ökonomisch sinnvoll und für den Klimaschutz eine Katastrophe. Restaurants sollten in jedem Fall auch mehrere vegetarische und sogar vegane Angebote machen. Das ist mittlerweile eine grundsätzliche Erwartung von Gästen. Beherbergungen sollten Ökostrom kaufen und sich zertifizieren. Durch so eine Zertifizierung spart man viel Geld, weil man sieht, wo man als Betrieb überall verschwendet. Dann gibt es natürlich noch viele andere Möglichkeiten, aber das sprengt hier den Rahmen.

Weber: Wichtig ist primär, dass das Nachhaltigkeitsengagement im Management verankert wird und dadurch sichergestellt werden kann, dass das Thema regelmäßig auf die Agenda kommt, systematisch überprüft wird und dadurch eine stetige Wei­terentwicklung stattfinden kann.

medianet: Wie wichtig sind Konferenzen wie die Green Tourism Conference? Für Erfahrungsaustausch? Networking?
Gössling: Beides, denke ich. Zugegebenermaßen fahre ich selbst selten zu Konferenzen, weil ich die Emissionen sparen will. Nationale Konferenzen, die mit dem Zug erreichbar sind, ­finde ich allerdings sehr gut. Das hilft wirklich, Erfahrungen ­auszutauschen und auch gemeinsam nach vorn zu denken.

Die Green Tourism Conference wird ja vor allem von Öster­reichern besucht – was Sinn macht, auch weil Österreich mittlerweile in meiner Wahrnehmung das weltweit führende Land ist beim Klima­schutz im Tourismus.

Weber: Konferenzen wie die Green Tourism Conference ermöglichen wertvollen Erfahrungsaustausch und Netzwerkpflege. Sie können bestenfalls auch inspirieren und die Unternehmen darin bestärken, ihren Betrieb laufend in Richtung Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln.

Grüne Zukunft ist Realität

Ein Musterbeispiel an Nachhaltigkeit ist das Boutiquehotel Stadthalle, das erste SDG-Hotel weltweit, das die Sustainable Development Goals bereits erfüllt. Besitzerin Michaela Reitterer, die ebenfalls bei der Green Tourism Conference als Vortragende teilnahm, unterstrich die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit nicht als Marketingmaßnahme zu sehen: „Greenwashing ist komplett out, das nehmen dir die Gäste übler, als wenn du nichts machst. So tun als ob geht gar nicht! Ich kann auch nicht am kosteneffizientesten und am grünsten sein, das wird sich nicht ausgehen. Wir haben täglich Entscheidungen zu treffen. Wie viele Tausend Euro ist uns das wieder befüllbare Biowaschgel im Jahr wert? Der große Deal ist aber, dass jedes Zimmer unter einem SDG-Motto steht: Nachdem wir mit Ressourcen und energietechnisch ökologisch schon an Grenzen stoßen, wollen wir das Bewusstsein unserer Gäste für die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen heben. Dieses unglaublich wichtige Thema geht in der öffentlichen Wahrnehmung total unter. Und dabei haben wir doch wieder einen Weg gefunden, besonders nachhaltig zu wirtschaften. Alle Zimmer werden auf Upcycling-Basis hergestellt.”

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