••• Von Helga Krémer
Die Definition: Omnichannel-Management, Omnichannel-Retailing oder „All-Kanal-Vertrieb” bezeichnet das synergetische Planen, Steuern und Kontrollieren der zahlreichen verfügbaren Vertriebskanäle und Kundenkontaktpunkte („Customer-Touchpoints”), um das Kundenerlebnis und den Unternehmenserfolg über die verschiedenen Vertriebskanäle und Prozessschritte hinweg zu optimieren. Kunden können zu jeder Zeit zwischen den verschiedenen Kanälen (stationär, online, mobil, Callcenter, Soziale Medien, Kataloge) wechseln. Kanäle und Marken stehen miteinander in Wechselwirkung.
Omnichannel kann man als Weiterentwicklung von Multichannel betrachten. Omni aus dem lateinischen omnis bedeutet alle, jeder, gesamt, ganz; Multi hingegen „nur” viele. Multichannel besagt lediglich, dass ein Unternehmen mehrere unterschiedliche Kanäle für Kunden anbietet. Diese Kanäle sind dann oft auch noch unabhängig voneinander organisiert.
Im Gegensatz dazu unterscheidet sich Omnichannel-Marketing vom traditionellen Multichannel-Ansatz dadurch, dass bei der Omnichannel-Lösung alle Kanäle nahtlos miteinander kommunizieren und alle Kontaktpunkte, über die der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt tritt, synchronisiert werden, um eine einheitliche Customer Journey auf allen Kanälen zu gewährleisten.
Die Erfahrung zählt
Auf dieser Customer Journey gelte es nun, dem Kunden eine angemessene Customer Experience zu bieten. Soll er doch schließlich wiederkommen – egal ob „offline” ins Geschäft oder „online” in den Webshop.
Hier liegt auch gleich der erste Stolperstein, denn ein Webshop soll keine weitere Filiale darstellen, die mit den anderen in Konkurrenz steht. Im Idealfall sind beide verbunden und beide profitieren voneinander. Wovon dann wieder der Kunde profitiert. Denn der Kunde will ein Erlebnis, will Produkte live sehen, sie angreifen, sie „erfahren”. Ist der Pulli wirklich kuschelig, oder doch eher mit Schmiergelpapier vergleichbar? Welcher Akkuschrauber liegt besser in der Hand? Welcher ist leichter? Das könnte mir der online-Shop auch verraten. Aber ob mir vielleicht der schwerere doch von der Haptik her lieber ist, da bin ich im stationären Handel besser aufgehoben. Und da wäre ja auch noch die persönliche Beratung …
Omnichannel ist eine zwischen digitalem und stationärem Handel geschlagene Brücke, er ist ein Marketinginstrument. Ein geläufiges Beispiel für gelungenes Omnichannel-Marketing wäre etwa das Unternehmen, das für seine koffeinhaltigen Heißgetränk-Kapseln plus Maschinen mit einem Hollywood-Schönling wirbt: Im Store wird probiert, gekostet, da wird die Marke präsentiert – bestellt wird online. What else?
Kundenansprache
Denn so sehr sich der „gemeine” Kunde oft in der Anonymität des World Wide Web versteckt, so sehr schätzt er die persönliche Ansprache und die auf ihn passgenau zugeschnittenen Informationen in dem zu ihm passenden Format auf dem von ihm präferierten Kanal. Er will wahrgenommen werden. Er will das Gefühl haben: „Ich bin wichtig”. Zugegeben, das ist bei einem Stammkunden sehr viel einfacher zu bewerkstelligen als bei einem Neukunden. Aber mit der richtigen Customer-Experience wird aus dem Neu- bald ein Stammkunde.
Es hängt alles vom Content ab, ist sich die Expertenrunde einig. Wann oder ob überhaupt ein Flugblatt? Wann ein Newsletter? Oder doch auch mal ein stylishes Kundenmagazin auf hochwertigem Papier in Farbe gedruckt? Es gelte, die richtige Dosis herauszufinden und mit Ressourcen vorsichtig umzugehen und dabei ganz nebenbei Informationen zu sammeln (und dann aber auch auszuwerten), Kunden kennenzulernen.
Eine neue Welt erobern
Omnichannel kann für einen Händler aber auch bedeuten, sich aus seiner Komfortzone begeben zu müssen und Neuland zu betreten. Dies tunlichst unterstützt von einem Profi, mit dem die Omnichannel-Reise gemeinsam angetreten wird. Hier, man muss es leider sagen, tritt dem Europäer oft sein Mangel an Mut und seine Einstellung zu Fehlern ins Kreuz.
Digitalisierung ist nicht Softwareentwicklung oder ein paar Scripts programmieren. Digitalisierung ist vielmehr Transformation. In jedem Prozess der Veränderung sollte zweierlei immer dabei sein: Der Wille und der Mut, Neues einfach auszuprobieren. Mag sein, dass der theoretische Ansatz vielversprechender war als die Praxis. Und? Es muss nicht alles auf den ersten Wurf perfekt sein. Auch nicht auf den zweiten.
„Durch Fehler wird man klug, darum ist einer nicht genug”, sagte schon Wilhelm Busch. Unternehmen zeichnen sich durch ihre Fehlerkultur aus – wenn sich Mitarbeitende nicht trauen, ehrliches Feedback zu geben, wird das für Unternehmen à la longue nicht gesund sein.
Das amerikanische Mindset tut sich da wesentlich leichter: Beta-Versionen kommen auf den Markt und werden oftmals gemeinsam mit dem Kunden beziehungsweise mit dem Endverbraucher getestet und verbessert wieder getestet, verbessert …
Will der Kunde, dass, z.B. die App auf Anhieb funktioniert? Wenn es ihm so kommuniziert wird, sehr wahrscheinlich. Will der Kunde als wertvolles Mitglied auf der gemeinsamen Reise ins Omnichannel-Universum wahrgenommen werden? Bei entsprechender Kommunikation ganz sicher.
Vom Datenschatz
Erfolgreiche Digitalisierung im Handel steht und fällt mit der Qualität der Daten. Schon auch Kundendaten, aber in erster Linie die des Unternehmens. Welche Flächen? Wo? Wie viele Stores? Welcher hat wann offen? Welche Produkte? Von wem? Wie viele? Um erfolgreich digitalisieren zu können, muss der Unternehmer sein Geschäft kennen – und auch offen sein für Neues.
Des Österreichers liebgewonnene Einstellung „was-brauch-i-des” oder auch „des-hamma-immer-scho-so-g’mocht” passt nun mit Digitalisierung nicht recht zusammen, ganz abgesehen davon, dass in Unternehmensbereichen mit dieser Einstellung viel Geld verborgen liegt, was wiederum Sparpotenzial birgt.
Oder Preisunterschiede, auch davon raten die Experten dringend ab: Egal auf welchem Kanal – Homepage, App Store – überall und zu jeder Zeit die richtigen Informationen, also auch die gleichen Preise. Kohärenz heißt das Zauberwort. Verschiedene Kanäle dürfen keinesfalls verschiedene Informationen zur Folge haben.
Wohin die Handelsreise geht
Fakt ist: Kunden werden immer anspruchsvoller – sei es, weil sie mehr auf die Qualität achten, auf den Preis schauen oder sich mit starren Öffnungszeiten nicht (mehr) zufriedengeben wollen. Fakt ist auch: Wer im Einzelhandel reüssieren will, muss agil sein, sich etwas trauen und sich zumuten, mit der Zeit gehen zu können.
Ganz allgemein rechnen die Experten damit, dass der Handel unabhängiger von Öffnungszeiten und Mitarbeitern werden wird. Beim Lebensmitteleinzelhandel sprechen die Feinkostabteilungen für hybride Lösungen. (Interessanterweise hält die Mehrheit der Konsumenten die Ware in den Feinkostabteilungen für hochwertiger als die in der Vitrine.)
Blickt man über Österreichs Tellerrand hinaus, wird offensichtlich, was alles möglich ist. Rund um die Uhr einkaufen an jedem Tag der Woche? Das sogenannte 24/7 ist in den USA seit jeher kein Thema. Denn es muss ja nicht bedeuten, dass jemand permanent im Laden stehen muss. In Kernzeiten könnte das Geschäft mit kompetenten Mitarbeitern geführt werden, außerhalb der Kernzeiten als autonomer Store.
Den kompletten Inhalt des Einkaufswagerls im quasi Vorbeigehen zur automatischen Kassa ohne Ausräumen gescannt bekommen? Gibt es bereits. Die Zeitersparnis ist enorm.
Auswirkungen
Wird Omnichannel-Marketing den stationären Handeln zum Verschwinden bringen? Nein. Ist der Fortschritt aufzuhalten? Nein. Wird Omnichannel-Marketing alle Beteiligten in Nerds verwandeln? Unwahrscheinlich. Besteht die Möglichkeit, dass der eine oder die andere seinen oder ihren Horizont erweitert? Ganz bestimmt.
Die Digitalisierung hält für alle Beteiligten im Handel, egal auf welcher Seite der Ladentheke, wunderbare Möglichkeiten bereit – ein Schatz, der nur darauf wartet, gehoben zu werden. Omnichannel ist dafür bestens geeignet.